Inflations-Weltmeister:Türkische Lira verliert sechs Nullen

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Bei der ersten Währungsreform in der Republikgeschichte will die Türkei ihren Spitzenplatz als Inflations-Weltmeister los werden.

Von Christiane Schlötzer

(SZ vom 31.10.03) - Vor 50 Jahren hatte der türkische Ministerpräsident Adnan Menderes einen Traum. "In jeder Mahalle soll es einen Millionär geben." Eine Mahalle ist die kleinste Verwaltungseinheit einer türkischen Stadt.

Symbol für das Versagen der türkischen Wirtschaftspolitik: Der 20-Millionen-Lira-Schein, der im Jahr 2001 eingeführt werden musste. (Foto: Foto: AP)

Menderes Wunsch ist inzwischen wahr geworden, aber nicht so, wie sich das der Reform-Premier einst vorgestellt hat. Heute ist auch jeder türkische Bettler quasi Millionär. Doch dafür muss er schon für ein Glas Jogurt eine Million auf den Ladentisch legen. Die Türkei ist seit langem Inflations-Weltmeister.

Aber Ankara will diesen Spitzenplatz los werden. Finanzminister Kemal Unakitan peilt für 2003 eine Jahresinflationsrate von 12 Prozent an, und Wirtschaftsminister Ali Babacan verspricht eine Währungsreform - die erste in der 80jährigen Republikgeschichte.

Sechs Nullen sollen die türkischen Geldscheine verlieren. Das neue Geld wird es vom 1. Januar 2005 an geben. Ein Jahr lang sollen alte und neue Währung nebeneinander in Gebrauch sein. Die Währungsreform soll zeigen, dass die jetzige türkische Regierung ein Jahr nach ihrem Amtsantritt die Inflation tatsächlich in den Griff zu bekommen versucht.

Preisanstieg von 23 Prozent im September

Im September stiegen die Verbraucherpreise um 23 Prozent. Im September 2002 waren es noch 45 Prozent. 2001 hatte die Türkei ihre schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten erlebt. Im Februar 2001 musste sie den Wechselkurs der Lira freigeben, deren Wert taumelte dann im freien Fall nach unten.

Bankenpleiten, Korruption und politische Blockaden in Ankara sorgten für ein Katastrophenklima. Im November 2003 schickte der Wähler die gesamte politische Führung aufs Altenteil.

Die neue konservative Regierung unter Tayyip Erdogan setzte sich ehrgeizige Reform-Ziele und überzeugte damit den Internationalen Währungsfonds (IMF), bei dem die Türkei tief in der Kreide steht. Die IMF-Kontrolleure waren bei ihrer letzten Inspektion Mitte Oktober voll des Lobes. Die Zinslast im Staatshaushalt sinkt langsam, aber stetig. Auf 42 Prozent in diesem Jahr nach 44 Prozent im Vorjahr (in Deutschland sind es 25 Prozent).

Selbst der Irak-Krieg hat entgegen pessimistischer Prognosen die Türkei nicht von ihrem Konsolidierungskurs abgebracht. In zwei Monaten legte der IMKB-Index der Istanbuler Börse um 50 Prozent zu.

Zinstief

Die Zinsen sind so tief wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Auch das Wachstum der türkischen Wirtschaft fällt in diesem Jahr mit 5 Prozent höher als erwartet aus. Drei internationale Kreditbewertungsagenturen haben die Türkei bereits hochgestuft.

Da schien Wirtschaftsminister Babacan der Augenblick günstig zu sein für die Ankündigung der Währungsreform. Finanzminister Unakitan hatte bereits verraten, dass die Regierung die vielen Nullen auf den Geldscheinen streichen möchte, war aber von Babacan zurückgepfiffen worden. Der wollte die Revolution selbst verkünden. Das tat Babacan am 80. Jahrestag der Republik auf einem Empfang in New York. Wie die neue Währung aussehen wird und wie sie heißen soll, sagte der Minister allerdings nicht.

Der erste Schein der Türkischen Lira (TL) wurde im Dezember 1927 gedruckt - noch mit arabischen Lettern. Ein US-Dollar war damals eine Lira wert. Die Inflation war gering. 1938 lag der Wert des Dollar bei 1,3 Lira. 1970 musste man für einen Dollar 13,5 Lira hinlegen, zehn Jahre später zehn mal so viel: 135 Lira. So ging es weiter, in immer rascheren Schritten. Am Donnerstag kostete ein Dollar 1 525 000 Lira. Gäbe es die neue Währung schon, wären es 1,525 TL.

Auf dem derzeit größten Geldschein stehen sieben Nullen, sein Wert beträgt 20 Millionen TL. Türken sind an das Rechnen mit großen Zahlen gewöhnt. Touristen dagegen verzweifeln schon bei einer Taxifahrt, wenn sie die Summe auf dem Taximeter mit einem Bündel zerknitterter Banknoten begleichen wollen. Oft geben sie zu viel, weil sie die Umrechnung in Dollar oder Euro nicht im Kopf haben.

Türken rechnen immer doppelt

Das passiert keinem Türken. Der rechnet immer doppelt, denn die Lira ist nur noch Alltagswährung. Wohnungsmieten oder ein neues Auto müssen meist in Devisen, also in Dollar oder Euro, bezahlt werden. Alte Autos kann man noch mit Lira-Bündeln kaufen. Bei größeren Summen erreicht man schnell Zungenbrecher-Zahlen.

Eine Währungsreform ist teuer. Eine um die vielen Nullen bereinigte Währung aber macht die Buchhaltung billiger, von Banken bis zum kleinen Bakkal (Lebensmittelladen).

Gespart wird in der Türkei längst in Devisen. Wer Geld übrig hat, legt Dollar oder Euro auf Konten oder unters Kopfkissen. Viele Türken würden daher heute lieber gleich den Euro offiziell in ihrem Land einführen. Das Maastrichter Inflationsziel mit einer Geldentwertung von 1,2 Prozent aber hat die Türkei zuletzt 1964 erfüllt.

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