Industriekonzern:Erstmal ohne Chef

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Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger fühlte sich von Anteilseignern hängen gelassen. Einen Nachfolger gibt es vorerst nicht, ein Trio soll nun den Konzern führen.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Als Heinrich Hiesinger vor sieben Jahren als Chef bei Thyssenkrupp antrat, gab er sich auffällig bodenständig. "Ich gestehe, ich bin als Minderjähriger auf dem Hof meiner Eltern ohne Führerschein mit dem Trecker gefahren", erzählte der Schwabe damals und fügte mit einem Schmunzeln an: "Ich hoffe, Sie fordern jetzt nicht meinen Rücktritt." In den Folgejahren rettete Hiesinger den Traditionskonzern vor der Pleite, die nach milliardenschweren Fehlentscheidungen allzu stolzer Ruhrbarone vor ihm gedroht hatte.

Rücktritt? War in all den schwierigen Jahren kein Thema. Nun aber, nachdem Hiesinger endlich eine Lösung für die krisenanfällige Stahlsparte fand, hat er sich plötzlich zum Abschied entschlossen. Der Aufsichtsrat hat seinem Abgang am Freitag zugestimmt. "Die breite Unterstützung der Aktionäre" sei die Grundlage, um einen Konzern wie Thyssenkrupp weiterzuentwickeln, erklärt Hiesinger in einem Brief an die Beschäftigten. Diesen Rückhalt hat der 58-Jährige offenbar verloren.

Die Entscheidung kam auch für den Aufsichtsrat so überraschend, dass er einen Nachfolger nicht parat hatte. Einstweilen soll nun das bestehende Trio aus Finanz-, Personal- und Rechtsvorstand den Konzern leiten. Erstmal ohne Chef soll es also weitergehen. Hiesingers Nachfolge will Thyssenkrupp "in einem strukturierten Prozess" regeln. Mithin stellt der Konzern seine neue Strategie, die Hiesinger eigentlich Anfang nächster Woche vorstellen wollte, auch vorerst zurück. Den Weg in die Zukunft soll ein anderer weisen.

Thyssenkrupp ist eines der letzten großen Industrie-Konglomerate hierzulande. Der Konzern stellt nicht nur Stahl her und handelt mit Metall, er fertigt Aufzüge und Rolltreppen, Autoteile und Anlagen, Marineschiffe und U-Boote. Hiesinger hat diese Vielfalt des Geschäfts stets verteidigt. Doch folgen viele Konzerne einem entgegengesetzten Trend. Bayer gab seine Chemie- und seine Kunststoffsparte ab, spezialisiert sich auf Pharma und Landwirtschaft. Eon und RWE tauschen Geschäfte: Der eine will sich ganz auf Kraftwerke, der andere auf Netze konzentrieren. Konglomerate wie General Electric (GE) zerbröseln und verlieren an der Börse an Wert.

Das Problem hat auch Hiesinger: Seit seinem Antritt hat die Thyssenkrupp-Aktie ein Viertel an Wert verloren. Zwar hat der Ingenieur Krisensparten wie den Edelstahl oder die Stahlwerke in Übersee verkauft. Erst am vergangenen Wochenende besiegelte Thyssenkrupp, die krisenanfälligen Stahlwerke in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata auszulagern. Doch geht der Umbau wichtigen Investoren nicht schnell genug.

Größte Aktionärin von Thyssenkrupp ist die Krupp-Stiftung, die 21 Prozent der Anteile hält. Sie hatte seit Herbst viele Gelegenheiten, Hiesinger öffentlich den Rücken zu stärken. Doch getan hat sie nichts. Erst nach seinem Abgang dankte Kuratoriumschefin Ursula Gather ihm für den Kulturwandel und die Neuausrichtung des Traditionskonzerns.

Der zweitgrößte Anteilseigner, der Finanzinvestor Cevian, der mehr als 15 Prozent der Aktien besitzt, kritisierte indes den Vorstand mehrmals öffentlich. "Thyssenkrupp ist mit der Strategie des Konglomerats und seiner Matrix-Organisation gescheitert", sagte der Gründer der schwedischen Investmentfirma, Lars Förberg, kürzlich. Rechne man den Wert der einzelnen Sparten zusammen, argumentiert Cevian, müsste eine Thyssenkrupp-Aktie 50 Euro wert sein. Tatsächlich notiert das Papier bei 22 Euro.

Er geht: Heinrich Hiesinger. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Selbst Union Investment, die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken, fordert, dass der Konzern seine Strategie nun verändern solle. Und mit Elliott ist im Frühjahr ein weiterer unbequemer Investor eingestiegen. Der Fonds des Milliardärs Paul Singer ist dafür bekannt, Druck auf vermeintlich unterbewertete Unternehmen aufzubauen, um die Aktien später mit Gewinn verkaufen zu können.

Als der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp vor einer Woche über die Stahlfusion abstimmte, verweigerten gleich drei Vertreter der Kapitalseite die Zustimmung. Von einem "sehr überzeugendem Votum" konnte Hiesinger anschließend nur sprechen, weil die Arbeitnehmervertreter geschlossen dafür votiert haben. Ihnen hat der Konzern etwa versprochen, betriebsbedingte Kündigungen in der Stahlsparte bis ins Jahr 2026 auszuschließen.

Umso mehr beunruhigt der überraschende Führungswechsel nun viele Beschäftigte. "Hiesinger stand dafür, dass alle Umbrüche sozial verträglich gelaufen sind", sagt ein Betriebsrat in Essen. "Jetzt befürchten wir, dass man in Zukunft nicht mehr so schonend mit uns umgehen wird."

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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