Indonesien:Mit Turnschuhen in die Zukunft

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Konzerne wie Adidas wollen nicht als Ausbeuter dastehen, die Bedingungen in Indonesiens Fabriken sind deshalb besser geworden - und die Jobs sind begehrt.

Von Jonas Viering

Sie wohnt auf sechs Quadratmetern. Statt Wänden trennen nur aufgespannte Tücher ihren Schlafplatz von dem ihrer Mitbewohnerinnen. Sie muss von 66 Euro Mindestlohn im Monat leben, wenn sie keine Überstunden macht.

In der Sportschuhfabrik PT Panarub nahe Jakarta sitzen und stehen die Arbeiterinnen sehr nahe beieinander, immer tausend in einer Halle. (Foto: Foto: Jonas Viering)

Sie wird sich die Turnschuhe, die sie mit zehntausend anderen in der Fabrik für Adidas nahe Jakarta im Niedriglohnland Indonesien zusammennäht, niemals selbst leisten können. Und doch ist Renjani nicht unglücklich.

Nein, viel Geld hat sie nicht. "Aber mit all den Überstunden kann ich in manchen Monaten sogar ein bisschen was sparen", sagt sie. Bei 60 statt regulär 45 Wochenstunden verdiene sie rund 110 Euro monatlich.

"Nie hatte ich eigenes Geld - das ist jetzt anders"

Einen billigen Video-CD-Spieler hat sie sich schon gekauft. "Mein Leben ist heute besser als früher", sagt Renjani. Vor ein paar Jahren noch hat sie auf der winzigen Gummibaumplantage ihrer Mutter in der tiefsten Provinz des südlichen Sumatra geschuftet. "Nie hatte ich eigenes Geld - das ist jetzt anders, ich bin frei", erzählt die heute 24-Jährige.

Auch die Arbeitsbedingungen seien über die Zeit besser geworden, sagt sie. Nur ihren wahren Namen, den will sie nicht nennen. Zu groß ist die Angst, einfach so entlassen zu werden.

"Wir sind keine Maschinen" - unter diesem Titel hatte die Nichtregierungsorganisation Oxfam 2002 einen Bericht über Arbeitsbedingungen in indonesischen Fabriken veröffentlicht, die zu hundert Prozent für westliche Konzerne fertigen.

Daraus wurde eine Beschwerde gegen Verletzung der OECD-Arbeitsrichtlinien, über die bis vor wenigen Tagen Adidas und die Clean Clothes Campaign (CCC) beim Berliner Bundeswirtschaftsministerium als nationaler Kontaktstelle stritten.

Einigen konnten sie sich nicht, und Sanktionsmöglichkeiten bietet das Verfahren nicht. Dennoch ist die Geschichte von Renjani und der Sportschuhfabrik PT Panarub eine Geschichte darüber, wie Globalisierung eher besser als schlechter funktioniert.

Wechselwirkung

Die Anklagen der CCC, Renjanis gar nicht so düstere Schilderungen, der stete Verweis bei Adidas auf die konzerneigenen Regeln für faire Arbeitsbedingungen - dies alles steht nicht im Widerspruch zueinander, sondern in Wechselwirkung.

Ohne all die Kampagnen von Gruppen wie der CCC wären die Sportschuhfabriken im armen Süden vielleicht wirklich alle nur Sweatshops, kleine Fabriken in Hinterhöfen. Tatsächlich aber ändert sich heute manches zum Besseren, so wie jetzt bei PT Panarub.

Adidas lagert die Produktion zu Fremdfirmen in Billiglohnländern aus - ein Teil der Globalisierung. Aber bei einer solchen Marke wirkt die Globalisierung auch in der anderen Richtung: Sie kann es sich nicht leisten, bei ihren Käufern in reichen Ländern als Ausbeuterin dazustehen.

"Der Fall der Ngadinah Mawardi hat die Augen geöffnet", sagt Carmelo Noriel von der UN-Arbeitsorganisation ILO in Jakarta. 2001 wurde die bei PT Panarub beschäftigte Arbeiterin von der Polizei festgenommen - wenige Monate zuvor hatte sie als Vertreterin der kleinen, radikalen Gewerkschaft Perbupas einen Streik organisiert.

Der Fall erregte internationales Aufsehen. Adidas, besorgt um sein Image, intervenierte massiv bei der Regierung. Ngadinah kam frei.

In Entwicklungsländern hergestellt und in den Industrieländern gerne gekauft: Adidas-Schuhe. (Foto: Foto: Jonas Viering)

Oxfam und die CCC legten nach, warfen Adidas weiterhin Unregelmäßigkeiten bei der Bezahlung und Schikanen vor. Der Konzern reagierte. Obwohl das Unternehmen stolz auf sein System der Kontrolle von Arbeitsbedingungen verweist, beauftragte es das unabhängige amerikanische Workers Rights Consortium (WRC) mit einer Untersuchung seines Zulieferers PT Panarub.

Der kürzlich veröffentlichte Bericht zeigt säuberlich und erbarmungslos die Ergebnisse von mehr als 150 Befragungen auf. Keine großen Skandale sind darunter, aber viele, zu viele kleine Missstände: An der Heißklebe-Maschine fanden die Inspektoren Arbeiter mit Brandwunden, weil ihnen die Handschuhe fehlten. Manche Aufseher hätten Näherinnen an den Haaren gezogen und beschimpft, hörten die WRC-Leute. Mitarbeiter sprachen von einem "Klima der Angst". Und vier renitente Mitglieder der Perbupas-Gewerkschaft seien erst willkürlich versetzt, dann "ungesetzlich entlassen" worden.

Transparenz ist angesagt

Adidas reagierte erneut, in fast allen Punkten will der Konzern einlenken. Vierteljährlich will das Unternehmen nun über die Fortschritte bei der Umsetzung der WRC-Empfehlungen berichten - Transparenz ist angesagt. Die Perbupas-Aktivisten sind bereits wieder eingestellt worden. Die firmeneigene Poliklinik soll künftig alle Familienmitglieder der Arbeiter kostenfrei behandeln.

Auch Hendrik Sasmito, Direktor von Panarub, gibt klein bei: "Vielleicht waren wir etwas stur, weil wir so lange immer mit nur einer Gewerkschaft zu tun hatten statt mit mehreren. Aber Adidas hat uns da voran geschubst."

Im Werk stehen und sitzen die Arbeiterinnen dicht an dicht, immer tausend in einer Halle. Hängen mit der Nase sehr eng über ihren Nähmaschinen, an denen aus ausgestanzten roten Lederfetzen der teure Fußballschuh "Predator Pulse" entsteht. Alles ist aufgeräumt, gelbe Linien markieren die Wege durch die Halle. Viele Arbeitsplätze sind mit Girlanden aus bunten Plastikblumen geschmückt, die Beschäftigte selbst mitgebracht haben.

Draußen wirbt ein Transparent für Abendschulkurse, Zuschuss der Firma inbegriffen. Manche der älteren Arbeiter können kaum schreiben, heute gelten dagegen zwölf Jahre Schulbildung als Einstellungsbedingung. Von Bildungsdumping keine Spur.

Andere Maßstäbe

So sehen Arbeitsbedingungen in Indonesien nicht oft aus - und deshalb misst eine Arbeiterin wie Renjani die Probleme mit anderen Maßstäben als unabhängige Beobachter aus dem Westen.

"Wer überhaupt einen Job im formellen Sektor hat, und dann auch noch in einer großen Firma, ist vergleichsweise privilegiert", sagt Asep Suryahadi vom renommierten Forschungsinstitut Smeru in Jakarta.

Zwei Drittel der Indonesier arbeiteten im informellen Sektor; wer aber auf der Straße gebratenen Reis verkaufe, verdiene eben meist weniger als die Adidas-Näherinnen.

"Die wirklich schlimmen Arbeitsbedingungen sind in einheimischen Kleinunternehmen zu finden, wo Arbeiter von morgens sieben bis abends zehn Uhr schuften und ihren Schlafplatz in der Werkstatt auf dem Fußboden haben." In Bereichen, die von der Globalisierung kaum erfasst sind.

Natürlich haben nicht alle Partnerfabriken von Multis solche Bedingungen wie Panarub. So hat die CCC bei der Adidas-Fabrik Nikomas Gemilang noch viele Fragen. Schwierig ist die Kontrolle besonders bei No-Name Produkten.

Die berühmte Parole "No Logo" der Globalisierungskritiker im Gefolge von Naomi Klein aber trifft das Problem heute gerade nicht. Die starke Marke macht Adidas verwundbar. Längst nutzen auch die teils eher schwachen Gewerkschaften in Indonesien Partner wie die CCC, um über den Umweg Europa Druck auf Arbeitgeber auszuüben.

Renjani ist selbst Mitglied einer Gewerkschaft; nicht bei der bedrängten Perbupas, sondern wie acht von zehn Panarub-Beschäftigten bei der großen SPN. "Unser Hauptproblem ist, dass Firmen wie Nike oder Adidas in Indonesien kein eigenes Investment haben, sondern nur Verträge mit einheimischen Fabriken", sagt Joko Hariono, SPN-Verantwortlicher für die Industriegebiete in Tangerang.

In Verhandlungen verwiesen die indonesischen Arbeitgeber aber "immer nur auf die Verträge mit den Multis, die ihnen keinen Raum für Zugeständnisse an die Arbeiter lassen", sagt er.

Länder ohne freie Gewerkschaften

Seit die Gewerkschaften in Indonesien erstarkt seien, klagt Hariono, verlagerten die Konzerne ihre Produktion nach China oder Vietnam - in Länder ohne freie Gewerkschaften. Paradebeispiel ist für ihn die Schließung der indonesischen Nike-Fabrik Doson vor zwei Jahren.

Dies, nicht die Arbeitsbedingungen bei Panarub, seien die wahren Folgen der Globalisierung. Dass die Verlagerung etwas mit den Gewerkschaften zu tun hat, bestreiten die Arbeitgeber. Tatsächlich tobt aber in Indonesien eine Debatte über zu hohe Arbeitskosten und einen zu wenig flexiblen Arbeitsmarkt - ganz wie in Deutschland, nur auf ungleich niedrigerem Niveau.

Die Zahl der Beschäftigten in der indonesischen Schuh-Industrie stürzte staatlichen Daten zufolge von 2002 zu 2003 um sechzig Prozent auf 128.000 ab. Arbeitgeberverbände machen den seit 1999 verdreifachten Mindestlohn dafür verantwortlich, der faktisch ein Standardlohn ist.

Zugleich aber schwand die Kaufkraft. Zahlen der US-indonesischen Handelskammer belegen, dass in Dollar gerechnet der Lohn sogar sank. Das Mindestentgelt liegt demnach unter dem von Niedriglohn-Konkurrenten wie den Philippinen oder China, wenn auch über Vietnam.

So dürften die wahren Nachteile des Standorts Indonesien andere sein: geringe Produktivität infolge schlechter Bildung, die unsichere Entwicklung der jungen Demokratie, das Terrorrisiko in dem islamischen Land; vor allem aber staatliche Bürokratie, Korruption und mangelnde Rechtssicherheit.

Lohnkosten fallen kaum ins Gewicht

Vertrauliche, wenige Jahre alte Daten von Nike-Indonesien aber zeigen: Bei den teuersten Modellen zahlt die Marke der Fabrik 20 US-Dollar pro Paar, bei den Spitzenmodellen wie dem "Air Max" meist aber nur die Hälfte. Der Anteil der Lohnkosten hieran beträgt je nach Arbeitsaufwand zwischen 1,12 und 1,53 Dollar - fällt also kaum ins Gewicht.

Weder Adidas noch Nike wollen diese Rechnung bestätigen, aber sie gilt so oder so ähnlich noch immer für alle Sportschuhmarken. Das bedeutet: Eine Lohnerhöhung beispielsweise um 50 Prozent würde den Endverkaufspreis nur um vielleicht 60 Euro-Cent erhöhen. Wäre also eine große Veränderung für die Arbeiter nur eine kaum merkliche für die Konsumenten?

Adidas sperrt sich. Marktstudien hätten gezeigt, dass der Verbraucher schlicht nicht bereit sei, höhere Preise zu zahlen. Das Gleiche gelte für den Handel. "Wir stehen da permanent unter Druck", sagt Bill Anderson, bei Adidas Asien/Pazifik für Soziales zuständig.

Renjani besitzt selbst ein Paar Sportschuhe. Sie tragen die berühmten drei Streifen, darauf ist sie stolz - aber es sind nachgemachte Billig-Adidas. "Die Marke ist halt cool", findet Renjani. Adidas, das ist der Westen, die Unabhängigkeit, der Erfolg. Die gefälschten Schuhe sind in Indonesien auf den Märkten für umgerechnet fünf bis sechs Euro zu kaufen. Renjani hat Ratenzahlung vereinbart.

© SZ vom 03.07.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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