Immobilien von Unternehmen:Wohnen mit Kollegen

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Wegen hoher Mieten baut Facebook eine Stadt für Mitarbeiter. Viele deutsche Konzerne haben hingegen ihre Werkswohnungen verhökert. Nun denken Unternehmen um.

Von Benedikt Müller

Für einen Digitalkonzern wie Facebook ist es ein reichlich analoges Vorhaben: Wie in dieser Woche bekannt wurde, will das soziale Netzwerk nahe dem Firmensitz in Kalifornien eine kleine Stadt mit 1500 Wohnungen für seine Beschäftigten bauen. So will Facebook die örtliche Wohnungsnot lindern, die der Konzern freilich mit verursacht hat.

Zwar hatte die Idee, dass Unternehmen Wohnraum für ihre Beschäftigten bauen, gerade in Deutschland lange Tradition. Davon haben sich aber viele internationale Konzerne verabschiedet. Facebook ist nun das prominenteste Beispiel eines Umdenkens: Je teurer Wohnungen in boomenden Regionen werden, und je mehr die Firmen um Fachkräfte konkurrieren, desto attraktiver wird ein Arbeitgeber, der neuen Mitarbeitern eine Dienstwohnung anbietet. Auch hierzulande bauen erste Unternehmen wieder Wohnungen für Beschäftigte.

Facebooks Wohnungsproblem wird vielen Firmen bekannt vorkommen. Im Silicon Valley haben Tech-Unternehmen seit 2010 etwa 640 000 Arbeitsplätze geschaffen. Doch es sind nicht ansatzweise so viele Wohnungen entstanden. Daher sind die Mieten in Facebooks Heimatstadt Menlo Park inzwischen höher als in New York. In vielen Ländern, die sich zu Wissensgesellschaften entwickeln, entstehen neue Arbeitsplätze vor allem in Ballungszentren, wo viele gut ausgebildete und kreative Menschen leben. Hochschulen und Forschungslabore, Konzerne und Gründer profitieren dort voneinander.

In Deutschland konzentriert sich das Job-Wachstum zwar nicht auf ein Silicon Valley. Doch sind etwa in Berlin seit 2010 gut 230 000 Arbeitsplätze entstanden; die Stadt zieht junge Menschen aus ganz Europa an. In München ist die Zahl der Arbeitnehmer um mehr als 100 000 gestiegen. Allenthalben hinkt der Wohnungsbau hinterher ( Grafik). Daher pendeln so viele Menschen wie nie zuvor; die Mieten steigen.

Facebooks Plan wirft nun die Frage auf: Wie viel Verantwortung sollten Firmen übernehmen, die in engen Wohnungsmärkten weitere Arbeitsplätze schaffen? Wie sollten sie auf hohe Mieten reagieren?

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(Foto: imago)

Werkswohnungen im Wandel der Zeit: Küche eines Reihenhauses in der Fuggerei in Augsburg,...

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(Foto: Oleg Nikishin/Getty)

...Betriebsstadt Norilsk in Russland,...

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(Foto: Reuters)

...geplanter Neubau von Facebook in Kalifornien,...

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(Foto: Alamy/mauritius images)

...Siemensstadt in Berlin,...

...von Krupp gestiftete Gartenstadt Margarethenhöhe in Essen.

Die Idee, dass die Wirtschaft in den Wohnungsbau investiert, reicht bis ins Jahr 1521 zurück. Damals stiftete Jakob Fugger, berühmter Kaufmann und Bankier, seiner Heimatstadt Augsburg eine Reihenhaus-Siedlung für Bedürftige. Bis heute wohnen etwa 150 Menschen zu sehr niedrigen Mieten in der stiftungsfinanzierten Fuggerei.

Industriekonzerne begannen Mitte des 19. Jahrhunderts, Siedlungen für die vielen Beschäftigten zu bauen, die aus der Provinz in die Städte zogen. Der Stahlunternehmer Alfred Krupp ließ zunächst die Meisterhäuser für Führungskräfte errichten; es folgten Kolonien für Tausende Arbeiter, die fortan einen kurzen Weg zu ihren Schichtdiensten hatten. Stadtteile wie Bochum-Stahlhausen oder die Berliner Siemensstadt zeugen bis heute von dieser Hochphase des Werkswohnungsbaus.

In der DDR wurden ganze Betriebsstädte am Reißbrett geplant, etwa Eisenhüttenstadt. Nach russischem Vorbild entstanden dort Hochhäuser, Schulen und Krankenhäuser rund um ein Eisenwerk. Dieses Wohnen unter Kollegen, in Blickweite der Fabrik, muss freilich nicht jedem gefallen.

Das Institut Regiokontext schätzt, dass es Ende der 1970er-Jahre etwa 450 000 bezahlbare Werkswohnungen in Deutschland gab. Doch setzte sich danach die Überzeugung durch, Konzerne sollten sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Die meisten Großunternehmen, etwa auch die Bundesbahn, verkauften ihre Mietshäuser an Finanzinvestoren. Dahinter steckte auch die Erwartung, in einer schrumpfenden Bevölkerung würden Wohnungen nie mehr knapp. Heute sind die Bestände in milliardenschweren Wohnungskonzernen wie Vonovia oder Vivawest aufgegangen. Diese erhöhen regelmäßig die Miete, wo es die Nachfrage zulässt.

In teuren Städten zahlen viele Firmen Zulagen - eine ökonomische Katastrophe

Eine große Ausnahme ist Volkswagen. Dort pochten Arbeitnehmer-Vertreter darauf, dass der Konzern seine 9000 Wohnungen behält. Diese erweisen sich nun als kluge Investition. Seit wenigen Jahren baut der Autohersteller sogar neue Wohnungen, die er - wenn möglich - an eigene Fachkräfte vermietet. Kommunale Gesellschaften wie die Stadtwerke München oder die Hannoverschen Verkehrsbetriebe errichten neuerdings zusätzliche Wohnungen auf Grundstücken, die sie nicht mehr benötigen. "Die Einschätzung, dass es sich lohnt, Mitarbeiter-Wohnungen zu bauen, setzt sich allmählich durch", sagt Regiokontext-Chef Arnt von Bodelschwingh. In angespannten Wohnungsmärkten seien sie ein gutes Argument, um Fachkräfte zu gewinnen. "Das gilt vor allem auch für Arbeitgeber, die tariflich gebunden sind und keine hohen Lohnzulagen zahlen können."

Wenn es Unternehmen schwerfällt, neue Mitarbeiter zu gewinnen, weil die Wohnungen in der Nähe so teuer sind, scheinen Lohnzulagen zwar naheliegend; Facebook etwa zahlte seinen Beschäftigten zuletzt 10 000 Dollar. Sie entlasten den Wohnungsmarkt aber nicht, ganz im Gegenteil. "Durch Lohnzulagen steigt die Kaufkraft einzelner Beschäftigter", sagt Bodelschwingh, "das treibt die Preise im gesamten Markt". In München beispielsweise, wo zahlungskräftige Konzerne wie Allianz oder BMW zu Hause sind, stiegen die Mieten seit 1995 um 70 Prozent - das durchschnittliche Einkommen dagegen nur um ein Drittel. Andere Unternehmen, beispielsweise Siemens, sichern sich bei Wohnungsunternehmen Belegrechte für ihre Beschäftigten. Das entlastet den Wohnungsmarkt zwar nicht, richtet aber auch keinen Schaden an.

SZ-Grafik; Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (Foto: SZ-Grafik)

Ökonomisch am wertvollsten ist es, wenn Unternehmen neu bauen - oder bauen lassen. "Dann entstehen bezahlbare und bedarfsgerechte Wohnungen", sagt Bodelschwingh, "weil der Bauherr die Nachfrage genau kennt". Besonders günstig werden diese Neubauten, wenn die Unternehmen eigene Flächen nutzen, die sie nicht mehr brauchen. Dann fallen die Grundstückskosten weg, die in den Ballungsräumen seit Jahren stark steigen und den Wohnungsbau verteuern.

Auch die Bundesregierung setzt sich im Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen für mehr Mitarbeiter-Wohnungen ein. "Für das Anwerben von Fachkräften können betriebseigene und günstige Wohnungen für Unternehmen zukünftig ein echter Vorteil werden", sagt ein Sprecher des Bauministeriums. Und wenn eine Firma alleine zu klein ist, empfiehlt Regiokontext, dass mehrere Mittelständler gemeinsam mit der Bauwirtschaft Wohnungen für ihre Beschäftigten bauen, im Idealfall auf dem Grundstück eines Partners. Dann wäre gar das alte Manko gelöst, dass man in seiner Wohnsiedlung immer nur den eigenen Kollegen über den Weg läuft.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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