IFA:Digitale Hoffnungen

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Unterhaltung jederzeit und überall - so etwa stellt sich die Industrie die digitale Welt von morgen vor. Und bietet auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin erste Einblicke.

Von Walter Ludsteck

(SZ vom 30.8.2003) — Wenn Herr U. in seinem Berliner Arbeitszimmer den Zweitfernseher mit Antenne einschaltet, sieht er nur noch graues Geflimmer. Ein Pech für ihn, dass seit Anfang August in Berlin analoges, per Antenne empfangbares Fernsehen nicht mehr ausgestrahlt wird.

Ein Glück für die Besitzer digitaler Fernsehapparate, die nun statt vorher sieben analogen Programmen 27 digitale Kanäle per terrestrischer Übertragung zur Auswahl haben. Eine Freude auch für die Unterhaltungselektronik-Hersteller, die neue digitale Fernseher verkaufen oder herkömmliche Geräte mit Zusatzgeräten (so genannten Set Top Boxen) für die digitale Technik aufrüsten können.

Was vielen Berlinern gar nicht aufgefallen ist, weil die meisten von ihnen Fernsehen per Satellit oder Kabel empfangen, war für die TV- und Audiobranche ein Signal. Für sie ist Berlin nur der Anfang. Bis 2010 soll nach einer früheren Regierungsempfehlung das gesamte Fernsehen in Deutschland digital werden.

Aufbruchstimmung in der Industrie

Da die Industrie gleichzeitig - allerdings bisher mit mäßigem Erfolg - auf die Einführung des digitalen Radios dringt, beginnen sich die letzten großen Lücken der digitalen Wertschöpfungskette zu schließen. Kein Wunder also, dass die krisengeplagte Unterhaltungselektronik-Industrie auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) von "Aufbruchstimmung" spricht.

Sie wittert neue Milliardengeschäfte und forciert die digitale Vernetzung - mit Hilfe des Internets, über Fernsehen und Radio, per Mobilfunk. Die Idee der digitalen Kette vom Produzenten zum Konsumenten ist ein alter Traum der Branche. Damit lassen sich, so die Erwartung, Musik, Spielfilme und Informationen ohne Zwischenstufen in die Wohnzimmer der Bürger transportieren, lassen sich auch Inhalte ohne große Kosten mehrfach verwerten.

So reicht bei Spielfilmen der Einsatz der digitalen Technik im Prinzip von der Erstellung, der Übertragung zu den Kinos und der Vorführung über den Verkauf von CD und DVD bis zur Ausstrahlung im Fernsehen und dem Online-Vertrieb über das Internet. Bisher ließ sich nur ein Teil dieser Vision verwirklichen.

Bezahlbare Geräte

Zwar werden heute schon Fotos, Videos, Songs, Spiele, sonstige Multimedia-Informationen und Dienste digital transportiert, aber noch nicht nahtlos und auf allen verfügbaren Wegen. Doch die Branche schöpft neue Hoffnung. Der technische Fortschritt geht weiter und die digitalen Geräte und Komponenten werden allmählich auch bezahlbar.

Vor allem zwei Entwicklungen bereiten der Branche Freude - die rasante Einführung der Breitbandnetz-Anschlüsse und der Ausbau der drahtlosen Übertragung. Das eine ist Voraussetzung für den schnellen Internet-Zugang, für das problemlose Herunterladen von Musik und Videos. Das andere kommt dem Trend zur Mobilität entgegen.

Zu letzterem tragen auch die Entwicklung kleiner, oft nur fingernagel-großer elektronischer Speicher mit enormer Kapazität und die Datenkomprimierung bei. Damit lassen sich tausende von Musiktiteln (oder sonstige Daten) für unterwegs aufnehmen. Oft geben die Hersteller inzwischen einfach an, für wie viele Wochen der tragbare Musik-Vorrat reicht.

Die Tendenzen schlagen sich auf der IFA in Geräten, Diensten und Projekten nieder. Per Fernbedienung im Versandhaus- oder Reisekatalog blättern, Internet-Radio hören, Musikstücke und Filme herunterladen, Fotos von der digitalen Kamera direkt am Fernsehschirm betrachten - technisch ist inzwischen fast alles vernetzbar. Wem vieles vom PC her bekannt vorkommt, der hat Recht. Doch jetzt ist es die Unterhaltungselektronik-Industrie, die die Vernetzungs-Initiative ergreift.

Unterhaltung überall

Die Ziele der Branche gehen weit über den PC hinaus; sie richten sich auf alle Übertragungswege und Wiedergabegeräte. Dazu gehört zum Beispiel auch das "intelligente" Heim mit digital gesteuerter Heizung oder Beleuchtung. Für die Großen der Branche, die hier drängen, geht es dabei nicht nur um neue Absatzmärkte.

Für sie ist die Digitalisierung und Vernetzung zudem ein Mittel, um sich von den lästigen Billiganbietern zu distanzieren. Deutlich wird bei den zur Funkausstellung präsentierten Innovationen, dass Computertechnik und Unterhaltungselektronik immer enger zusammenwachsen. Der PC wirkt dabei als Drehscheibe und Speichermedium im Hintergrund. Fenster zum Zuschauer oder -hörer sind die Fernseh- und Audiogeräte.

Von allen führenden Unterhaltungselektronik-Herstellern wurden in Berlin jetzt zu Home-Server verwandelte PC vorgestellt. Über sie sollen die Geräte im Haus vernetzt werden. Und über sie soll man künftig auch von außen auf die eigene Musiksammlung oder die digital gespeicherten Fotos und Videos zugreifen können.

Unterhaltung jederzeit und überall - ob die Verbraucher das wollen, ob sie über den Fernseher Bestellungen aufgeben oder von unterwegs den Film vom letzten Urlaub sehen möchten, muss sich noch zeigen. Die Industrie verspricht mehr Komfort, einfachere Bedienung und vielfältigere Inhalte. Das hat sie allerdings immer schon versprochen - und nicht immer gehalten.

Doch wenn man sieht, welchen Stellenwert Internet oder Mobilfunk inzwischen bei den Bürgern haben, ist die Komplettierung der digitalen Kette wahrscheinlich keine Frage mehr. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann.

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