Ich-AG:Überleben in der Nische

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Hunderttausende haben sich als Ich-AG eine selbstständige Existenz aufgebaut, oft mit originellen Ideen - trotzdem wird die staatliche Förderung nun umgekrempelt.

Arne Boecker

Er war bundesweit einer der Schnellsten. Gerade mal zwei Tage war das Förderinstrument Ich-AG in der Welt, als sich Wolfgang Hoffmann am 3. Januar 2003 selbstständig machte. Zu DDR-Zeiten hatte er in Schwerin einen Lebensmittelladen geführt, dann, nach der Wende, wurde er arbeitslos. Mit Hilfe der Ich-AG kehrte er zurück auf den Arbeitsmarkt, so etwas wie eine letzte Chance für den damals 48-Jährigen. "Kredite gab's auf der Bank für mich nicht", erinnert er sich. Dass Wolfgang Hoffmann sein neues Geschäft - Zigaretten, Zeitungen, Süßkram - topmodisch "Tabakshop" nannte, nutzte nichts: Nach zwei Jahren musste er aufgeben.

Unwort ohne Zukunft: Die staatliche Förderung wird nun umgekrempelt (Foto: Foto: dpa)

Horst Schmitt von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nord, redet nicht über Einzelfälle, aber eine Anmerkung hat er doch: "Das Instrument Ich-AG hat oft umso besser funktioniert, je origineller die Geschäftsidee des Antragstellers war - die Nische als Chance." Für noch entscheidender als den Geschäftsplan hält Schmitt allerdings die Persönlichkeit des Ich-AGlers. "Der sollte einen guten Schuss Gründergeist besitzen", sagt Schmitt. "Dazu gehört, dass er seine Kompetenzen ständig überprüft und verbessert." Ein Unternehmer müsse "sich immer wieder selbst motivieren und auch mal eine Durststrecke überstehen können", sagt der Arbeitsmarkt-Experte und schickt hinterher: "Das Wort selbstständig setzt sich nun mal aus selbst und ständig zusammen."

An diesem Samstag wird der Begriff Ich-AG beerdigt. Als Teil der Hartz-Gesetze sollten Ein-Mann/Frau-Betriebe dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Ganz nebenbei, so dachten Peter Hartz & Co., könnte so eine neue Generation von Gründern heranwachsen.

Drei Viertel der Ich-AGs haben überlebt

Von Beginn an umwehte Zweifel den flotten, neuen Bindestrich-Begriff; 2003 wählte man ihn sogar zum "Unwort des Jahres". Vor allem Industrieverbände und Handelskammern argwöhnten, dass Arbeitslose sich in Ich-AGs flüchten, um den Schritt hinauszuzögern, der vom Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II - besser bekannt als Hartz IV - führt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) haben aber seit der Einführung drei Viertel der Ich-AGs überlebt. Allein 2005 gründeten noch fast 100 000 Deutsche eine Ich-AG. Sie erhalten über drei Jahre fast 15 000 Euro, um ihr Geschäft zu etablieren. Zunächst beträgt der Zuschuss 600 Euro im Monat, später sinkt er ab. Allein im vergangenen Jahr musste die BA für die Förderung 1,35 Milliarden Euro ausgeben.

Silke Mühlenstedt hat die Ich-AG tüchtig geholfen, allerdings macht sie eine Einschränkung: "Wer selber aktiv ist, dem tut die Ich-AG gut." Die Idee der 39-jährigen Hamburgerin ist nun wirklich originell: Sie tritt als Clown in Betrieben oder Krankenhäusern auf. Dröge Abteilungsleiter mischt sie als komische, gelegentlich tollpatschige Kellnerin auf, kranke Kinder bringt sie mit Spielchen zum Lachen. Silke Mühlenstedt, Künstlername "Lili", lobt das Coaching, das ihr die Arbeitsagentur zuteil werden ließ. "Darunter waren wertvolle Tipps, um sich in der Entertainment-Branche zu behaupten", sagt sie. So dürfte Mühlenstedt der einzige Clown in Deutschland sein, der sich unter eigenem Logo vermarktet. Zudem habe sie als eine Ich-AG keine Krankenkassenbeiträge zahlen müssen. "So war ein bisschen Geld übrig, um in den Gelben Seiten zu inserieren", sagt sie.

"Es war zunächst eine rein finanzielle Abwägung, die Ich-AG zu gründen", sagt die Modedesignerin Bettina Schilling. Sie entschied sich gegen die einmalige "Überbrückung" zur Existenzgründung, die die Arbeitsagenturen alternativ zur Ich-AG ausgereicht haben. So konnte sie ihre Hamburger Boutique kontinuierlich über drei Jahre aufbauen. "Vor allem im ersten Jahr, als ich einen Kundenstamm aufbauen musste, war es schon recht beruhigend, dass ich nicht erst mal die Miete verdienen musste", sagt die 39-Jährige.

Als Tangolehrer erfolgreich

Riego Heins ist gelernter Außenhandelskaufmann. Weil der Arbeitsmarkt auch in dieser Branche eher mau ist, machte Heins sein Hobby zum Beruf: Der 44-Jährige ist Tangotänzer. Als Lehrer betreibt er in Hamburg inzwischen ein eigenes Studio, das "Tango Malena". "An der Ich-AG gefällt mir besonders, dass man seinen Job selbst gestalten kann", sagt Heins. Mit Blick auf Ich-AG-Kollegen ergänzt er: "Wer allerdings kein klares Konzept hat, neigt schnell dazu, sich hängen zu lassen." An dieser Stelle hätte sich Heinz ein wirksameres Controlling gewünscht. In einigen Fällen, ergänzt er, sei es Ich-AGlern "wohl zu leicht gemacht worden, an Geld heranzukommen". Für Druck sorge allerdings der schrumpfende Zuschuss. Im zweiten Jahr müssten die Zahlen stimmen, sagt der Tangolehrer, "Liquidität ist schließlich auch für uns das A und O" .

Clownin, Modedesignerin, Tangolehrer: Alle diese Ich-AGs haben sich als so originell und durchdacht erwiesen, dass sie gute Chancen haben, aus der staatlichen Förderung herauszuwachsen. Allerdings: Die drei Jungunternehmer hätten auch losgelegt, wenn Peter Hartz die Ich-AG nicht erfunden hätte. "Ohne die Ich-AG wäre die Sache allerdings viel komplizierter geworden", sagt Bettina Schilling.

Modifiziertes Nachfolgemodell

Auf Drängen der CDU kippt die Bundesregierung nun die Ich-AG, um ein modifiziertes Modell einzuführen, das aus zwei Phasen besteht: In der ersten, neun Monate dauernden Phase bekommt der Existenzgründer - zusätzlich zum Arbeitslosengeld - 300 Euro im Monat, dann muss die Verwaltung entscheiden, ob die Förderung tatsächlich sinnvoll ist. Unter anderem muss der Gründer spätestens jetzt belegen, dass er sich zum Selbstständigen eignet. Bejaht die Agentur für Arbeit dies, fließen weitere sechs Monate je 300 Euro - bei gleichzeitigem Wegfall des Arbeitslosengeldes. Eine Milliarde Euro, so ist zu hören, will die Bundesregierung dadurch sparen.

© SZ vom 1.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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