Hollande-Bilanz:Grau ist schwer vermittelbar

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François Hollande verteidigt seine Bilanz: Sein wichtigstes Versprechen bleibt unerfüllt.

Von Leo Klimm, Paris

Einen gewissen Mut kann man François Hollande nicht absprechen. Am Montag ist Frankreichs Präsident nach Florange zurückgekehrt. Das lothringische Industriestädtchen steht im kollektiven Bewusstsein der Franzosen für Scheitern. Für Hollandes Scheitern. Für manche sogar für seinen Verrat. Im Jahr 2013 hat der Staatschef die Schließung zweier Hochöfen des Stahlkonzerns ArcelorMittal in Florange zugelassen. Und dabei den Bruch mit dem linken Flügel seiner sozialistischen Partei in Kauf genommen, der eine Verstaatlichung gefordert hatte. Jetzt also kam Hollande nach Florange zurück - weil er findet, der Ort ist kein Symbol des Scheiterns. Sondern seines Erfolgs.

Tatsächlich rang Hollande ArcelorMittal damals im Gegenzug für die Schließung der Hochöfen neue Jobangebote für die betroffenen Arbeiter ab und Investitionen in das benachbarte Stahlwerk. Das läuft weiter, zählt heute zu den modernsten der Welt gehört, beschäftigt 2000 Mitarbeiter. Und in einem Forschungszentrum, das Hollande am Montag einweihte, soll der Stahl der Zukunft entwickelt werden.

Die hohe Arbeitslosigkeit ist die größte Sorge der Franzosen, noch vor der Terrorgefahr

So, wie es eine Frage des Standpunkts ist, ob Florange Fiasko oder Erfolg ist, verhält es sich mit der gesamten wirtschaftspolitischen Bilanz zu Ende von Hollandes fünfjähriger Amtszeit. Das Bild ist nicht eindeutig, nicht ganz schwarz, nicht ganz weiß - eher grau. Zufrieden mit Hollande ist eigentlich niemand in Frankreich, wo er Linken als zu unternehmensfreundlich gilt und Bürgerlichen als zu zaghaft. Will Hollande, der in Umfragen weit abgeschlagen ist, bei der Wahl im April 2017 ernsthaft antreten, muss er jetzt die Wähler überzeugen, dass es Frankreich "besser geht", wie er sagt. Doch grau ist schwer vermittelbar. Und vor allem ist das wichtigste Versprechen des Präsidenten nicht eingelöst: eine dauerhafte Besserung am Arbeitsmarkt.

Hollandes 2012 begonnene Amtszeit ist gezeichnet von spektakulären Krisen bei Industriekonzernen. Das Drama um Florange gehört dazu. Auch die Rettung von PSA Peugeot Citroën mit Staatsgeld, die eine Fabrikschließung und den Abbau Tausender Jobs nicht verhindern konnte; am Montag wurden neue Stellenverluste bekannt. Oder die Beinahe-Pleite des Atomkonzerns Areva. Oder der Ausverkauf des Traditionsunternehmens Alstom.

Betrachtet man die gesamte Wirtschaft, geht es Frankreich heute aber in der Tat besser als während der Euro-Krise 2012, als Hollande das Land mit schwachem Wachstum, hohem Staatsdefizit und stetig steigender Arbeitslosigkeit vom Konservativen Nicolas Sarkozy übernahm. Die negative Dynamik scheint bei allen drei Indikatoren gestoppt. Ein leichter Aufschwung - 2016 dürfte das Wachstum bei 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen - ist nicht zu bestreiten. Doch das reicht nicht.

Unfreundlicher Empfang für Hollande in Florange: Arbeiter von ArcelorMittal protestieren gegen die Wirtschaftspolitik des Präsidenten. (Foto: Vincent Kessler/Reuters)

Entscheidend ist aus Sicht der Wähler, ob der Aufschwung am Arbeitsmarkt ankommt. Die hohe Arbeitslosigkeit ist, das zeigen die Umfragen, die größte Sorge der Franzosen, noch vor der allgegenwärtigen Terrorgefahr. Der Staatschef selbst hat seine erneute Kandidatur an einen "langen und wiederholten Rückgang" der Erwerbslosigkeit vor 2017 geknüpft. Bald endet das Jahr 2016 - und Hollande ist dem eigenen Maßstab zufolge im Prinzip schon gescheitert. Obwohl seine Regierung versucht, der Verwirklichung seines Versprechens mit staatlich subventionierten Jobs und Weiterbildungsmaßnahmen nachzuhelfen, kann bisher höchstens von einer Stagnation der Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau die Rede sein: Gipfelte die Quote 2015 bei 10,2 Prozent, liegt sie 2016 etwas unter der Zehn-Prozent-Marke. Im Sommer schlug die Zahl der Erwerbslosen sogar plötzlich wieder nach oben aus. Ein Problem Frankreichs ist, dass die Zahl der Erwerbsfähigen wegen des Bevölkerungswachstums jährlich um gut 100 000 Personen steigt.

"Er hat sein Rendezvous mit der Geschichte verpasst", kritisiert der Ökonom Aghion

Die Schaffung neuer Jobs, die derzeit im Mittelstand im Gang ist, reicht bislang nicht, um das aufzufangen. "Der Arbeitsmarkt hat gebraucht, bis er wieder angesprungen ist", räumt Hollande ein. Die Effekte seiner angebotsorientierten Politik stellten sich nur langsam ein, wirkten dafür aber nachhaltiger. Die Wähler sollen ihm vertrauen. In der nächsten Wahlperiode sollen sie alle von den Vorzüge seiner Wirtschaftspolitik profitieren.

Die war seit 2013 angebotsorientiert, eher unternehmensfreundlich. Hollandes wichtigste Hilfe für die Wirtschaft ist ein Steuerbonus von 43 Milliarden Euro, der auf die Lohnsummen der Firmen angerechnet wird. Das stärkte die Wettbewerbsfähigkeit französischer Betriebe und sollte Anreize schaffen für Neueinstellungen. Wie eine erste Auswertung durch ein regierungsnahes Institut kürzlich zeigte, haben die Unternehmen durch den Bonus bisher aber vor allem ihre Gewinnmargen gesteigert. Da die Firmen jedoch nun die Investitionen hochfahren, könnten in einem nächsten Schritt auch neue Jobs geschaffen werden. Wohl zu spät für Hollande.

Während seine Steuerpolitik den Unternehmen zugute kam, mussten die privaten Haushalte diese Entlastungen ausgleichen. Die Steuerlast vor allem der Gutverdiener stieg gleich zu Beginn der Amtszeit stark an - und sank seither nicht. "Wir hätten bei den Steuern vielleicht etwas weniger zulangen können", räumt Hollande mit typischer Lakonie ein. Nur den symbolträchtigen, hoch umstrittenen Spitzensteuersatz von 75 Prozent für Einkommensmillionäre hat er nach zwei Jahren sang- und klanglos wieder einkassiert.

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg, Nationale französische Statistikbehörde (Foto: SZ-Grafik)

Schließlich sollten das sogenannte Macron-Gesetz, benannt nach dem inzwischen zum Rivalen gewandelten Ex-Wirtschaftsminister - und eine Reform des Arbeitsrechts den Wünschen der französischen Wirtschaft nach Liberalisierung von Märkten entgegenkommen. Allerdings fielen diese Reformen sehr behutsam aus, als sich Widerstand bei den Gewerkschaften und anderen Interessengruppen regte - etwa Notaren und Kieferorthopäden. Viele Experten zweifeln daher, ob diese Gesetze Beschäftigungseffekte entfalten.

Der renommierte Ökonom Philippe Aghion, der Hollande 2012 im Wahlkampf unterstützt hatte, wirft dem Präsidenten sogar vor, so zu sein, wie seine Bilanz: unentschieden. "Er hat sein Rendezvous mit der Geschichte verpasst", sagt Aghion. "Er hätte eine echte Staatsreform unternehmen können, aber er hat es nicht getan." Hollande mag durch vorsichtiges Sparen das französische Haushaltsdefizit gesenkt haben - die volkswirtschaftliche Struktur seines Landes hat er nicht angerührt: Der Anteil der Staatsausgaben an der Wirtschaftsleistung liegt noch immer bei 56 Prozent. Für Aghion hätte der Präsident aus den günstigen Rahmenbedingungen billiger Energiepreise, niedriger Zinsen und eines günstigen Euro mehr machen müssen, um Frankreichs Wirtschaft wieder zu einem Motor in Europa zu machen.

Hollande meint, er habe genug getan. Er habe das Land "wieder aufgerichtet", sagt er. "Ich bin bereit für ein Inventar." Damit meint er nicht sich selbst - er meint: Er ist bereit für die Generalabrechnung zu seiner Wirtschaftspolitik.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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