Hoffnung bei Saab:Moderne im Abseits

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Auch in Schweden werden Stellen gestrichen — aber die ganze Region will den Konzern in der Spur halten.

Von Thomas Steinfeld

Anfang der Woche war man in Schweden schon zum unlauteren Wettbewerb übergegangen.

So hoffnungslos schien die Lage zu sein, so nahe das Ende der Automobilproduktion in der kleinen Stadt Trollhättan nahe der Westküste, dass die Boulevardpresse einen Reporter vor die Werkstore von Rüsselsheim schickte.

Franz und die Ortsgruppe 112

Das erste, was ihm aufgefallen zu sein scheint, waren eine "Omi Klause" vor dem Werkstor 20, in der er die Bierflaschen zählte: "Hier saufen die Opel-Arbeiter während der Arbeitszeit", berichtete er mit Bild nach Hause, und zwei Tage lang rissen die Witze über "Franz" nicht ab, den deutschen Monteur, der lallend nach einem Schraubenschlüssel fragt.

Dann aber nahm ein größerer Skandal seinen Lauf, und er galt einer zentralen Instanz des schwedischen Arbeitslebens, der Gewerkschaft der Metallarbeiter: Funktionäre der Ortsgruppe 112 hatten, wie sich erwies, über Jahre hinweg Teile der Streikkasse in Kopenhagener Nachtclubs durchgebracht und vom Geld der Mitglieder sogar türkisfarbene Dildos gekauft.

Vielleicht war das schlechte Gewissen noch lebendig, als am Donnerstag bekannt wurde, dass die deutschen Fabriken von den Kürzungen bei General Motors weitaus heftiger getroffen werden als Saab in Trollhättan: "Die Bänder bei Opel stehen still", stand auf den Plakaten der Abendzeitungen, in einer Aufmachung, die wie Trauer und Betroffenheit wirkte.

Dabei weiß man in Schweden sehr genau, dass man im Wettbewerb darum, wer die mittelgroßen Autos - der Opel Vectra und der Saab 9-3 sind in wesentlichen Teilen baugleich - bei General Motors bauen darf, nun allenfalls einen Aufschub bekommen hat.

Den 540 Arbeitern und Angestellten, denen nun gekündigt wird, gingen im vergangenen Jahr schon 1400 voraus, und die nächste Entscheidung im Zweikampf der Werke Rüsselsheim und Trollhättan ist für das Frühjahr angekündigt.

Die Produktivität sei höher in Schweden, heißt es, die Gewerkschaft nicht so bockig, auch lägen die Löhne niedriger. Das stimmt. Richtig ist aber auch, dass es weit ist nach Trollhättan: Hinter Göteborg, fünfhundert Kilometer nördlich von Hamburg, biegt man von der Autobahn ab, und dann folgt man achtzig Kilometer einer zweispurigen Straße, die an dem Götaälv entlangläuft, einem breiten, von großen Containerschiffen befahrenen Fluss, der vom See Vänern zur Nordsee führt.

Wäre hier nicht so viel Verkehr, auf dem Strom, auf der Straße, auf der (immer noch einspurigen) Bahnstrecke - dies wäre eine Landschaft für Peer Gynt, wild und romantisch, mit hohen grauen Felsen, tiefen Wäldern und Hunderten von Seen.

Ein großer Teil der schwedischen Fabriken liegt in solcher Umgebung, denn die Industrialisierung hat sich in diesem Land zuerst auf dem Land und dann in den Städten vollzogen - mit der Folge, dass die Moderne in Schweden etwas ausgesprochen Provinzielles an sich haben kann, und umgekehrt.

Der Geist im Schloss

Gebaut wurden die Fabriken dort, wo es Gruben gab, Holz und Wasser, das man in Energie verwandeln konnte. Das ist auch in Trollhättan so: Die größte Attraktion der Stadt mit ihren gut 50.000 Einwohnern ist der gigantische Wasserfall, mit dem der Götaälv beginnt - und die nicht minder beeindruckende Schleuse, mit der die Schiffe aus dem Fluss in den See und wieder zurück befördert werden.

"Brukssamhälle" heißt ein solcher Ort auf schwedisch, "Fabriksgemeinde", womit auch immer ein mehr oder minder großer geographischer Abstand zur nächsten richtigen Stadt gemeint ist.

Und wenn es, vor allem nach der Erschließung des Landes durch die Eisenbahn, Hunderte von ihnen gegeben hatte, so gingen sie in den vergangenen Jahrzehnten doch alle demselben Schicksal entgegen.

Auch Trollhättan hat reichlich Erfahrung mit dem so genannten Strukturwandel, ebenso wie das benachbarte Uddevalla, wo es einst großen Werften gab, und wo heute die Cabriolets von Volvo zusammengeschraubt werden.

Um Saab zu verstehen, das Auto wie die Fabrik wie die Arbeiter, die dazugehören, muss man eine Vorstellung von dieser Art ebenso ländlicher wie weltläufiger Moderne haben - oder wäre Ende des 19. Jahrhunderts jemand in Lüneburg oder Wismar darauf gekommen, im großen Stil Wasserturbinen und Lokomotiven zu bauen?

Autos — nebenbei

In Trollhättan entstand in den Dreißigerjahren die schwedische Flugzeugindustrie. Aus ihren freien Kapazitäten ging eine Autofabrik hervor, die ebenso eigenwillige wie technisch avancierte Fahrzeuge mit Pilotenkanzeln hervorbrachte, stromlinienförmige Kraftwagen, die weniger mit leichter Hand bedient als vielmehr gründlich gefahren werden wollten.

Ein eigenartiger, eigenwilliger Stolz verknüpfte sich mit ihnen, erkennbar schon am Schlüssel, der nicht unter dem Lenkrad, sondern zwischen den beiden Vordersitzen untergebracht ist. So baut nur ein tüftelnder Ingenieur einen Apparat, in diesem Schloss steckt der Geist einer mechanischen Werkstatt, und es schadet nichts, wenn man damit allein ist - es ist die bessere Lösung.

Jetzt sagt Roger Andersson, Gemeinderat im Vorort Grastorp, man werde sich, falls nötig, auch in den Kindergärten auf einen Drei-Schicht-Betrieb in der Autofabrik einstellen. Der Betriebsrat Paul Akerlund meint: "Wir werden diesen Wettbewerb gewinnen." Und Per Augustsson, der Vorstandsvorsitzende, erklärt: "In Schweden haben wir eine Kultur der Zusammenarbeit."

Damit hat er Recht, denn die Gewerkschaften spielten für die Modernisierung der schwedischen Industrie eine entscheidende Rolle, einschließlich Fort- und Weiterbildung ihrer Mitglieder - auch wenn sie, wie der Vorstand der Ortsgruppe 112, bei ihrer Urbanisierung manchmal über das Ziel hinausschießen.

© SZ vom 16.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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