Hörbücher boomen:Das lukrative Geschäft der Vorleser

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Noch nie gab es so viele Titel und Neuerscheinungen bei Hörbüchern wie in diesem Jahr. Doch die Zukunft der Branche gehört vor allem Download-Portalen im Netz.

Harald Schwarz

Es gab Zeiten, da wurde Claudia Baumhöver für verrückt erklärt. "Ja, genau diese Worte" seien damals gefallen, erinnert sich ihre Sprecherin Heike Völker-Sieber.

Damals - das war 1994: Die studierte Sozialpädagogin Baumhöver wechselte von der Filmfirma Columbia Tristar Pictures als Chefin zum gerade gegründeten Hörverlag in München. Die Gründungsgesellschaften dieses Unternehmens waren beispielsweise literarische Verlage wie Carl Hanser, Suhrkamp, Kiepenheuer & Witsch und Klett-Cotta.

Ihren Wechsel zum Hörverlag konnten viele Weggefährten nicht verstehen. Alle früheren Versuche, Literatur auf Tonträgern im Buchmarkt auf breiter Front zu etablieren, galten als gescheitert. Die jeweiligen Medien wurden verspottet als "Buchersatz" für ältere Menschen und Sehbehinderte.

Doch die 1959 in Münster geborene neue Hörverlag-Managerin ließ sich nicht beirren. Es hat sich gelohnt. Heute ist sie geschäftsführende Gesellschafterin beim Branchenprimus auf dem Markt für Hörbücher. Und: Die Nachfrage beschert den Audiobooks jährlich zweistellige prozentuale Steigerungsraten beim Umsatz. Im vergangenen Jahr kletterten die Hörbuch-Umsätze in Deutschland um 17,4 Prozent auf etwa 200 Millionen Euro, so der Börsenverein des deutschen Buchhandels.

Erfolgsverwöhnte Hörbuchbranche

Er stellt fest, die Branche sei "erfolgsverwöhnt". Ihr Anteil am Gesamtmarkt sei zwar noch relativ klein, doch sei er seit 2003 von 2,8 Prozent auf 4,3 Prozent geklettert. Das Geschäft ist somit in eine stattliche Dimension gewachsen. Sogar 300 Millionen Euro Umsatz trauen Experten dem Segment in den nächsten fünf Jahren zu.

Dem Vernehmen nach erzielen die Anbieter mehrheitlich Gewinne. Allerdings bereiten ihnen steigende Produktionskosten Sorgen, zumal die Verkaufspreise im härter werdenden Konkurrenzkampf keineswegs beliebig erhöht werden können. Anerkannte Größen in der Branche sind hinter dem Primus Hörverlag Firmen wie Random House Audio, Lübbe Audio, Jumbo, Der Audio Verlag (DAV), Steinbach sprechende Bücher, Kein & Aber, Argon, Hörbuch Hamburg sowie Tacheles/Roof Music.

Das Unternehmen Frankfurter Buchmesse stellt angesichts des Booms bei vertonter Literatur fest: "2007 ist das Jahr des Hörbuchs." Noch nie habe es so viele Verlage und unterschiedliche Titel auf dem deutschsprachigen Markt gegeben. Noch nie seien so viele Neuerscheinungen produziert und auf so vielen Vertriebswegen an die Hörer gebracht worden. Und noch nie sei die Branche angesichts von Preisdumping und Download-Zuwächsen "derart im Umbruch" gewesen.

Auf der Buchmesse präsentieren sich diesmal mehr als 700 internationale Aussteller, die Hörbücher anbieten. Nach Erkenntnissen der Buchmesse erscheinen dieses Jahr 2000 neue Titel, insgesamt seien 20.000 Hörbücher erhältlich. Bei gut acht Millionen CD- und Download-Käufern allein in Deutschland habe sich das Audiobook "längst als eigenständige Form der Literaturumsetzung etabliert".

Auch das Ausland entdecke den Reiz: Deutlich mehr Österreicher und Schweizer greifen zu Hörbüchern. Auch das Angebot in französischer, spanischer, ungarischer und russischer Sprache wachse. Traditionell stark sei das Hörbuch-Interesse - von den USA und Großbritannien einmal abgesehen - in den skandinavischen Ländern.

Jedes zweite Hörbuch als Download bis 2012

Verkauft werden Hörbücher in Deutschland längst nicht nur im klassischen Buchhandel. Es gibt sie an Tankstellen und Raststätten, in Spielwaren- und Blumenläden, in Apotheken und bei Discountern. Auf dem Vormarsch befinden sich aber insbesondere Download-Portale im Internet, die dem Hörbuch auf Compact Disc (CD) immer mehr Konkurrenz machen. Jedes zweite Hörbuch im deutschsprachigen Raum soll bis zum Jahr 2012 als reine Datei verkauft werden. Der Download-Anteil wird derzeit auf etwa ein Zehntel am gesamten Hörbuchmarkt geschätzt.

Auffallend ist ein Trend in der Branche: Es wird ungekürzt ein Werk produziert; diese Fassung wandert als Angebot ins Internet, um dann auf der Basis dieser Fassung eine gekürzte CD-Variante herzustellen. Als Marktführer in der Download-Sparte gilt der Anbieter Audible.de.

Zum Leidwesen der Unternehmen locken die florierenden Geschäfte mit Hörbüchern Quereinsteiger an, die mit Preisdumping und verminderter Produktqualität um Kunden buhlen. Sie werfen beispielsweise Hörbücher auf den Markt, die ohne Regie auskommen. Der Hörverlag hält von mangelhaft produzierten Schnäppchen nichts. "Für uns ist das kein gangbarer Weg", sagt Völker-Sieber und weiß sich auf einer Linie mit Baumhöver, die aus der einstigen "Eine-Frau-Firma" einen Verlag mit 40 Beschäftigten machte. Die Hörer dieser Bücher sind laut Studien überdurchschnittlich gebildet, einkommensstark, mobil, flexibel und kulturell interessiert.

Umwälzungen in der Branche wird es auch weiterhin geben. Wo heute noch die CD als Tonträger dominiert, könnte der Nachfolger schon feststehen. Die Firma Extrememory meint: "Das Hörbuch der Zukunft kommt auf einer Speicherkarte." Zur Buchmesse hat das Unternehmen die ersten Hörbücher in dieser Variante herausgebracht, darunter ist der Klassiker "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer".

© SZ vom 9.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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