"Hilfe zur Selbsthilfe":Arbeitszwang ohne Arbeit

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Ginge es nach dem aktuellen Hartz IV-Gesetz, müsste man Wüstenbewohnern kräftig die Wasserration kürzen. Damit sie vor Not emsig im Sand nach einer Quelle suchen. Obwohl alle wissen, dass kein Wasser da ist. Ein Kommentar von Jens Schneider.

Von Jens Schneider

Wie würde man bei Wasserknappheit in der Wüste das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe" umsetzen?

Wo keine Arbeit ist, hilft auch kein Zwang. Foto: dpa (Foto: N/A)

Wenn es nach dem aktuellen Hartz IV-Gesetz der Bundesregierung ginge, müsste man den Wüstenbewohnern vermutlich kräftig die Wasserration kürzen.

Damit sie vor Not richtig in Bewegung geraten und emsig im Sand nach einer Quelle zu suchen beginnen, obwohl alle wissen, dass es aussichtslos ist, weil kein Wasser da ist.

Den Menschen wird nicht geholfen, aber der Helfer spart

Dann könnte man ihnen noch Werkzeug und Baumaterial kürzen, mit dem sie von anderswoher eine Wasserversorgung aufbauen könnten. Den Leuten würde damit nicht geholfen, aber der Helfer spart Wasser und Material.

In der Bundesrepublik des Jahres 2004 hat die Wüste, in der so verfahren wird, hübsche grüne Hügel wie die Lausitz und malerische Gipfel wie das Erzgebirge. Oder sie besteht aus weiten Brachen wie Teile Vorpommerns.

Was dort in bedrückendem Ausmaß fehlt, ist Wirtschaftskraft. Es mangelt an Kaufpotenzial und Arbeitsplätzen.

Fünf-Euro-Stundenlöhne

Da hilft es nichts, wenn man den Arbeitslosen nun abverlangt, dass sie niedrig bezahlte Jobs annehmen, denn darauf wollen sich viele längst einlassen.

Aber auch Arbeit zu kaum zumutbaren Stundenlöhnen um fünf Euro gibt es nur wenig. Schon lange übersteigt die Nachfrage nach solchen Jobs das Angebot, selbst wenn viele Betroffene im Erzgebirge trotz vierzig Stunden Arbeit ihre Familie von ihrem Einkommen nicht ernähren können.

Wer aber den Arbeitslosen die Unterstützung kürzt, ohne Alternativen aufzuzeigen, vermindert nur ihr Einkommen — und damit die Kaufkraft der Region. Er beschleunigt einen Mechanismus, der ausblutende Landstriche nach unten zieht.

Der Slogan "Fördern und Fordern" verkommt zur Floskel, weil über Wege, Arbeit zu schaffen, nicht ausreichend nachgedacht wurde.

Wer das erkennt, ist kein Vulgärmarxist — was sich schon daran erkennen lässt, dass Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt, ein vom Sozialismus-Verdacht gänzlich freier Christdemokrat, den Protest gegen Hartz IV anführt.

Kein Ostgejammer

Milbradt ist, was den Sozialstaat angeht, rigoros: Der Staat soll sich so weit wie möglich zurückhalten. Daran hat er sich bei seiner Sparpolitik in Dresden erfolgreich gehalten.

Wenn Politiker wie Milbradt Hartz IV die Zustimmung verweigern, ist das kein Ostgejammer, sondern Ausdruck berechtigter Sorge nicht nur aus sozialpolitischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Motiven, zumal sich zunehmende Ignoranz gegenüber der besonderen Lage des Ostens auch auf anderen Feldern zeigt.

Essenzielle Debatten werden boulevardesk geführt

So bei dem im Frühjahr mühsam abgewehrten Versuch, die Mittel für die Investitionsförderung im Osten drastisch zu kürzen. Dabei ist das Hauptproblem nicht, dass die Bundesregierung auch im Osten sparen will, das ist unvermeidbar.

Nur scheint dafür jegliches Konzept zu fehlen. Die Art, in der Politik für die neuen Länder gemacht wird, spiegelt jedoch deutlich wider, wie boulevardesk essenzielle Debatten in Deutschland mittlerweile geführt werden.

Erinnern wir uns: Wie aus dem Nichts brach im Frühjahr bundesweite Erregung über Verschwendung beim Aufbau Ost aus. Es gab keine Talkshow, die das Thema ausgelassen hätte. Keinen Experten, erst recht keinen Möchtegern-Experten, der sich nicht beteiligt hätte.

"Sonderwirtschaftszone" und "Leuchtturmförderung"

Ebenfalls aus dem Nichts tauchte eine willkürlich zusammengesetzte Kommission unter Führung von Klaus von Dohnanyi auf. Sie war so halbwegs von der Bundesregierung beauftragt.

Es gab keine fertigen Papiere, doch kursierten genug diffuse Schlagwörter von "Sonderwirtschaftszone" bis "Leuchtturmförderung".

Daneben tauchten durchdachte Konzepte auf. Die gingen aber in der medialen Aufregung unter. Als die Dohnanyi-Kommission endlich ihre Vorschläge präsentierte, war die Debatte schon wieder vorbei.

Letztlich wurde die Ostpolitik zu einem von der Kassenlage diktierten Abfallprodukt der vermeintlich großen Linie im Westen.

Anschein der Fürsorge

Auch das spontane Treffen des Bundeskanzlers mit den Spitzen der Ost-Länder nach deren Ablehnung von Hartz IV bedient nur die Spielregeln der auf Symbolakte fixierten Aufregungsdemokratie. Es wird der Anschein der Fürsorge erzeugt.

Dieser Gipfel kann aber nur Sinn haben, wenn er in eine konsequente Debatte über den Aufbau Ost mündet — eine Debatte, die keine zufälligen Kommissionen, sondern jene Politiker führen, die zuständig sind und Entscheidungen umsetzen.

Eine Diskussion muss das sein, die Besonderheiten des Ostens berücksichtigt und strukturelle Reformen grundsätzlich prüft. Eine Debatte, an deren Ende festgelegt wird, was dringlich ist und worauf verzichtet werden kann.

Renaissance der PDS

Dabei sollte auch herauskommen, wie ein "Fördern und Fordern" im Osten — etwa durch Lohnsubventionen — tatsächlich aussehen könnte, und wo diese Politik an ihre Grenzen stößt.

Wenn nichts passiert, werden die politischen Folgen — nicht nur für die derzeit in Berlin regierenden Parteien — dramatisch sein. Die Renaissance der PDS und die Tendenz zur Wahlenthaltung geben davon eine Ahnung.

Gewiss dürfen Wahlergebnisse allein eine Regierung nicht daran hindern, das Richtige zu tun. Aber vorher sollte sie gründlicher prüfen, was das Richtige ist.

© SZ vom 13. Juli 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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