Hightech in Lichtenfels:Die dritte Dimension

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Kleiner Ort, große Zukunft: Das 20 500 Einwohner zählende Städtchen Lichtenfels profitiert von einem Hight-Tech-Start-up. (Foto: Jacek Kaminski/imageBROKER)

Ausgerechnet im strukturschwachen Oberfranken errichtet General Electric ein globales Kompetenzzentrum in Sachen 3-D-Druck. Mit Hilfe eines pfiffigen Unternehmers und eines schnellen Bürgermeister.

Von Uwe Ritzer, Lichtenfels

Alles spricht scheinbar gegen diesen Landstrich. Die Jungen ziehen weg, die Bevölkerung überaltert, die Einwohnerzahl sinkt, Schulen, Geschäfte und Wirtshäuser machen dicht, es wird häufiger gestorben als geboren. Vielerorts fehlen Ärzte und es gibt weit und breit keine Großstadt, an der sich das Umland hochziehen könnte. Das bayerische Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik hat hochgerechnet, wohin das alles führen wird: Bis 2031 wird Oberfranken noch einmal zehn Prozent seiner Einwohner verlieren.

Der nordöstlichste der sieben bayerischen Bezirke Bayerns ist der krasse Gegensatz zum prosperierenden Ballungsraum München. Andreas Hügerich kennt all die Hiobsbotschaften, schließlich ist er in Oberfranken aufgewachsen. Aufhalten mag sich der erst 33-jährige Bürgermeister von Lichtenfels damit aber nicht. Schließlich sei das, was er gerade mit dem Städtchen erlebe, "die Chance schlechthin, ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl, allenfalls vergleichbar mit der Einführung der Eisenbahn", sagt er.

Tatsächlich geschieht in dem 20 500 Einwohner zählenden Städtchen gerade etwas, wovon jeder Bürgermeister träumt. Die Start-up-Firma eines einheimischen und mit seiner Heimat eng verwurzelten Unternehmerpaares schießt förmlich durch die Decke. Und zwar in einem Bereich, dem Experten große Zukunft prophezeien. Die Firma Concept Laser ist eine Technologie- und Jobmaschine in Sachen Industrie 4.0. Sie entwickelt und produziert Maschinen für den 3-D-Druck von Metallteilen. Hauptabnehmer sind die Luft- und Raumfahrtindustrie, aber auch Medizintechnik- oder Schmuckhersteller kaufen die Anlagen aus Oberfranken, die Metallpulver in dünnen Schichten auftragen und mit Laserstrahlen härten.

"Ein guter Unternehmer kümmert sich auch um die Region."

Und dann kommt auch noch ein ganz Großer und steigt ein. Im Herbst übernahm der Technologie- und Mischkonzern General Electric (GE) für gut 500 Millionen Euro 75 Prozent von Concept Laser. Um die Erfolgsgeschichte zu toppen, investieren beide Firmen nun weitere 100 Millionen Euro in ein globales Forschungs- und Entwicklungszentrum in Sachen 3-D-Druck. "Viele hätten es nie für möglich gehalten, dass Hochtechnologie in einem ländlichen Raum wie diesem entstehen kann", sagt Frank Herzog. Er nennt sich selbst wahlweise "Heavy Metaller" oder schlicht: Erfinder. Als Schüler schmiss er nach der zehnten Klasse das Gymnasium, um sich zum Industriemechaniker ausbilden zu lassen. "Ich wollte immer praktisch arbeiten", sagt er. Und zwar mit Metall. Er holte das Fachabitur nach und studierte Maschinenbau. Beim Ferienjob im Betrieb des Onkels seiner heutigen Frau Kerstin sah er, wie aus Epoxidharz mit Hilfe von UV-Licht schichtweise Bauteile entstanden. Und fragte sich: Warum nicht auch aus Metall?

2000 machten sich Frank und Kerstin Herzog - auch sie ist Maschinenbauingenieurin - in ihrem Heimatort Lichtenfels mit Concept Laser selbständig. 17 Jahre später zählt die Firma 350 Beschäftigte; allein seit Jahresanfang wurden 130 neue Mitarbeiter eingestellt. Fast 80 Stellen sind noch offen, und die Auftragsbücher werden immer voller. 800 Anlagen hat Concept Laser bereits ausgeliefert; in zehn Jahren sollen es 6 500 sein. Helfen soll dabei GE.

Die Herzogs haben sich gezielt nach einem starken Partner umgeschaut. "Uns war klar, dass wir auf Dauer nicht jährlich Umsatz und Mitarbeiterzahl verdoppeln und das enorme Wachstum aus eigener Kraft stemmen können", sagt Herzog. Von 48 Kandidaten blieb am Ende GE übrig. Dort verfolgt man ehrgeizige Pläne in Sachen industrieller 3-D-Druck.

Außer Concept Laser übernahm General Electric auch den schwedischen Spezialisten Arcam, der statt mit UV-Licht mit Elektronenstrahlen arbeitet. Eine eigene Sparte "GE Additive" wurde gegründet, deren Sitz vermutlich in Deutschland angesiedelt wird. Bis 2020 erhofft sich GE eine Milliarde Euro Umsatz. "3-D-Druck ist die Zukunft der industriellen Produktion", sagte Mohammad Ehteshami, Chef der neuen Sparte, dem Handelsblatt.

Andreas Hügerich hört das alles gern. Der Lichtenfelser Bürgermeister ist ein drahtiger, sportlicher Mann, der in seiner Freizeit Marathon läuft. Auch beruflich bereitet er sich auf einen langen Lauf vor. Hunderte neue Arbeitsplätze, die meisten davon im qualifizierten bis hochqualifizierten Bereich, im Idealfall langfristig auch Zulieferer und Impulse für das örtliche Handwerk und Gewerbe - "das bedeutet für uns, dass wir die Infrastruktur anpassen müssen", sagt der Bürgermeister. Also soll investiert werden, in Wohngebiete, Kindertagesstätten, Schulen. Nicht nur Lichtenfels, die ganze Region werde vom Verbund Concept Laser/GE profitieren, prophezeit der Sozialdemokrat. Nur schnell müsse man sein. Als Frank Herzog Mitte März im Rathaus mit dem Wunsch nach Flächen für das globale Forschungs- und Entwicklungszentrum für 3-D-Metalldruck ankam, trommelte Herzog binnen 48 Stunden die Grundstückseigentümer eines möglichen Gewerbegebietes zusammen. Vier Wochen später war alles unter Dach und Fach. "Gigantisch" nennt Unternehmer Herzog das.

Am Marktplatz von Lichtenfels deuten nur ein paar Plakate auf die Zukunft hin. "Lichtenfels Vision Zukunft" steht darauf, und: "Weltklasse in 3 D." Ein Infozentrum soll entstehen, wo man sich derzeit noch als die deutsche Korbstadt feiert. Im 19. Jahrhundert ernährte die Korbindustrie die Menschen am Obermain; sie verkaufte ihre Waren von Lichtenfels in alle Welt. Aber das ist sehr lange her. Korbmacherei ist heute mehr Kunsthandwerk als Wirtschaftszweig, davon kann die Region nicht mehr leben. Ähnlich an Bedeutung verloren die Polster-, die Möbel-, die Glas- und die Porzellanindustrie, die einst zigtausende Arbeitsplätze in Oberfranken boten.

Die Herzogs haben beim Deal mit GE darauf gepocht, dass am Standort Lichtenfels nicht gerüttelt wird. "Ein guter Unternehmer kümmert sich nicht nur um seine Firma, sondern auch um die Region, in der er lebt und arbeitet", sagt Frank Herzog. Und High-Tech sei heutzutage auch in der Provinz möglich. Bei GE sieht man das genauso. "Concept Laser ist dort entstanden und gewachsen und wäre niemals so groß und wertvoll geworden, wäre der Standort schlecht", sagt ein Konzernsprecher. Die anstehende 100-Millionen-Euro-Investition sei ein doppeltes Statement. "Es ist ein klares Bekenntnis zum Thema pulverbasierter Metall 3-D-Druck und zum Standort Lichtenfels."

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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