Herbstgutachten für die Bundesregierung:Institute bezweifeln Erfolg der Hartz-Reform

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Die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten in ihrem Herbstgutachten, das sie heute vorstellen, einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit. Beim Wachstum 2005 sehen sie Deutschland wieder als Schlusslicht in Europa.

Von Ulrich Schäfer

Die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bezweifeln, dass die rot-grünen Reformen für eine Wende am Arbeitsmarkt sorgen werden. In ihrem Herbstgutachten, das sie heute in Berlin vorstellen, warnen die Institute, dass die Auswirkungen vorerst "gering bleiben werden". Insbesondere durch die Hartz-IV-Reform könne sich im nächsten Jahr ein durchschnittlicher Anstieg der Zahl der Arbeitslosen "um knapp 100.000 ergeben". Die Ökonomen sagen für 2005 ein Wachstum von 1,5 Prozent voraus. Deutschland fiele damit wieder auf den letzten Platz in der Europäischen Union zurück.

Die Institute warnen in ihrem halbjährlichen Gutachten, das sie im Auftrag der Regierung erstellt haben, insbesondere davor, allzu große Hoffnungen in die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu setzen. Dies werde im nächsten Jahr zu einem Anstieg, nicht aber zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit führen.

Zwiespältige Bilanz

Es ist davon auszugehen, dass sich bei der Integration Langzeitarbeitsloser wegen Anlaufschwierigkeiten keine allzu großen Beschäftigungseffekte einstellen", heißt es in dem Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. So erwarten die Ökonomen, dass zu Beginn des nächsten Jahres 300.000 ehemalige Sozialhilfe-Empfänger erstmals in der Arbeitslosenstatistik auftauchen werden, von denen aber mittelfristig nur 200.000 einen neuen Job finden werden.

"Dabei handelt es sich allerdings zum großen Teil um Ein-Euro-Jobs", schreiben die Institute. Gleichzeitig werde die Zahl der Arbeitslosen, die sich in Ich-AGs selbstständig machen, kaum noch steigen, weil für deren Förderung nun strengere Regeln gelten.

Die Institute ziehen in ihrem mehr als hundert Seiten starken Gutachten eine höchst zwiespältige Bilanz der bisherigen Arbeitsmarktreformen. So seien bislang zwar 165.000 Ich-AGs gegründet und zudem etwa 600.000 Mini-Jobs geschaffen worden; allerdings sei "eine rege Inanspruchnahme der neuen Instrumente noch kein Gradmesser für den Erfolg der Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik". Insbesondere die Mini-Jobs hätten "die Erosion der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verstärkt".

So weisen die Institute mehrmals darauf hin, "dass sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten in mehrere Minijobs aufgespalten worden sind", mit anderen Worten: Die Unternehmen haben, um Kosten zu sparen, reguläre Vollzeitstellen abgeschafft und durch Teilzeitjobs ersetzt, auf die nur geringe Steuern und Sozialversicherungsbeiträge anfallen.

Geringe Dynamik

Die Regierung habe "damit indirekt die Probleme in der Sozialversicherung verschärft". Kritisch bewerten die Institute auch den Boom bei den Ich-AGs. Sie gehen davon aus, dass nach Ablauf der staatlichen Förderung viele Gründer "wieder aufgeben werden".

Ähnliche Verdrängungs- und Mitnahmeeffekte erwarten die Institute auch bei den "Ein-Euro-Jobs", mit denen Langzeitarbeitslose wieder an den Berufsalltag herangeführt werden sollen. So rechnen die Institute entgegen den Beteuerungen der Regierung damit, dass die Kommunen und Wohlfahrtsverbände "reguläre Tätigkeiten in Ein-Euro-Jobs umwandeln". Um dies zu verhindern, sollten Umfang und Dauer der gemeinnützigen Tätigkeit begrenzt werden.

Sollten hier und anderswo Korrekturen unterbleiben, dann sei, so warnen die Institute, "die Gefahr groß, dass der Staat in wachsenden Segmenten des Arbeitsmarkts Arbeitsplätze auf Dauer subventioniert".

Der Stillstand am Arbeitsmarkt hat nach Ansicht der Wissenschaftler auch mit der geringen Wachstumsdynamik zu tun. So wird die deutsche Wirtschaft nach Ansicht von fünf der sechs Institute zwar dieses Jahr um 1,8 und im nächsten Jahr um 1,5 Prozent wachsen. Dies sei aber für hiesige Verhältnisse schon ein hoher Wert. Nächstes Jahr werde Deutschland beim Wachstum wieder auf den 25. und damit letzten Platz in der Europäischen Union zurückfallen.

Dieses Jahr rangiert die Bundesrepublik auf Rang 19 vor Österreich, den Niederlanden, Malta, Portugal und Italien, wie aus dem Gutachten hervorgeht. Nur das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ist optimistischer und rechnet für 2005 mit einem Plus von zwei Prozent.

Größtes Problem der deutschen Konjunktur sei auch im nächsten Jahr die schwache Binnennachfrage. So werde der private Konsum zwar erstmals seit langem wieder wachsen; dies sei jedoch zu wenig, um die schwindende Dynamik im Export auszugleichen.

Bremsend auf die Kauflust wirkten unter anderem die hohen Energiekosten und die unsicheren Aussichten bei Löhnen und Gehältern. Die Institute gehen davon aus, dass Deutschland auch im nächsten Jahr -- und damit zum vierten Mal in Folge -- gegen die Schuldengrenze des EU-Stabilitätspakts verstoßen wird. Das Defizit werde in diesem Jahr 3,8 und im nächsten Jahr 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.

© Quelle: sueddeutsche.de/SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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