Heinrich von Pierer:Schlechter Abgang für den "guten Menschen aus Erlangen"

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Es ist das jähe Ende einer Vorzeigekarriere: Der ehemalige Siemens-Vorstandschef und Aufsichtsrat Heinrich von Pierer stolpert endgültig über die Schmiergeldaffäre des Technologiekonzerns. Dabei galt der 62-Jährige noch vor wenigen Monaten als nahezu unantastbar.

Es mag Zufall sein, dass Hilmar Kopper erst vor wenigen Tagen sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender bei Daimler-Chrysler an einen Jüngeren abgab. Doch nun tritt auch Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer von seinem Posten zurück: Wie Kopper galt von Pierer als einer der letzten großen Vertreter der Deutschland AG.

Von Pierers Abgang ist allerdings weit unrühmlicher als der Koppers und das ist zunächst erstaunlich. Denn im Gegensatz zu Kopper, der mit seinem bisweilen ruppigen Umgangsformen immer wieder Eklats auslöste, galt von Pierer lange Zeit als der "gute Mensch aus Erlangen", der sogar bei den Gewerkschaften ankam. Doch am Ende seines Berufslebens stolperte von Pierer über die zahlreichen Affären, die Siemens nun schon von vergangenen November an in Atem halten.

Fast väterlicher Führungsstil

Unauffällig, aber äußerst ehrgeizig - so beschreiben Mitarbeiter und Vertraute den ehemaligen Vorstandschef von Siemens. Und trotz der jüngsten Kritik trauern viele Mitarbeiter noch immer dem leutseligen und manchmal fast väterlichen Führungsstil des heute 66-Jährigen nach, nachdem der amerikanisch geprägte Klaus Kleinfeld den Chefsessel übernommen hatte. Auch, weil dieser begann, die noch zu Pierers Zeit aufgestellten Renditeziele einzufordern.

Begonnen hatte der gebürtige Mittelfranke seine Karriere bei Siemens 1969 in der Rechtsabteilung des Konzerns, 1977 übernahm er dann die Kraftwerkssparte - und fiel seitdem als passionierter Befürworter der Kernkraft auf.

1992 stieg er zum Vorstandschef auf, er soll das Unternehmen, das lange Zeit als verschlafen galt, zu dem gemacht haben, was es heute ist: Ein Weltkonzern mit 475.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 87 Milliarden Euro.

Episode aus einer anderen Zeit

Aus heutiger Sicht erscheint es wie eine Episode aus einer anderen Zeit: Es war vor fünf Jahren in Erfurt, als der Siemens-Konzern seine Halbjahreszahlen präsentierte.

Am Abend zuvor, beim Abendessen in einem italienischen Restaurant, erhob sich plötzlich der Betriebsratsvorsitzende des örtlichen Generatorenwerks von Deutschlands größtem Elektronik-Unternehmen. Sichtlich gerührt dankte der Mann dem Firmenlenker Heinrich von Pierer für seinen jahrelangen Einsatz für den Betrieb und die 500 Mitarbeiter.

Am Ende seiner Rede überreichte er dem Siemens-Chef eine Urkunde: Es war die Ernennung Pierers zum Betriebsrat ehrenhalber.

Wut bei der IG Metall

Gewerkschafter gucken ungläubig, wenn sie heute diese Geschichte hören. Seit ruchbar wurde, dass in der Zeit von Pierers als Vorstandsvorsitzender von der Konzernseite her eine Art Gegengewerkschaft aufgebaut worden sein soll, ist die Wut bei der IG Metall groß. Deutschlands größte Gewerkschaft hat in der Angelegenheit sogar Strafanzeige gestellt.

Dabei legte von Pierer wie wenige andere Manager großen Wert auf ein gutes Verhältnis zur Belegschaft und Arbeitnehmervertretern. Konsens statt Streit, zufriedene Beschäftigte statt demonstrierende Mitarbeiter - diese Losung hielt von Pierer eigentlich immer hoch.

Nachdem nun der Skandal um die gefügig gemachten Arbeitnehmervertreter der eigenartigen Splittergewerkschaft Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) hochkam, erschien von Pierer vielen Beobachtern aber in einem anderen Licht. Dabei ist allerdings nicht erwiesen, ob er persönlich tatsächlich mit hinterhältigen Methoden die Arbeitnehmervertretungen an den Standorten Nürnberg und Erlangen schwächte oder davon wusste.

Verdienste treten in den Hintergrund

Man mag es als tragisch betrachten, dass hinter den jüngsten Korruptions- und Schmiergeldskandalen bei Siemens die jahrelangen Verdienste von Pierers in den Hintergrund treten.

Dass der promovierte Jurist über ein Jahrzehnt lang unangefochten an der Siemens-Spitze stand, soll nach Meinung von Branchenkennern vor allem daran gelegen haben, dass er den Konzern auf einen neuen Zeitgeist ausgerichtet hat.

In den ersten Jahren in dem Job wurde er an den Kapitalmärkten als Zauderer verspottet - zu geringe Renditen, zu sozial, ein Portfolio wie ein Gemischtwarenladen, lauteten die Vorwürfe.

Ehrgeiziges Renditeprogramm

Ende der Neunziger machte der Franke das Unternehmen mit ehrgeizigen Renditeprogrammen fit für den globalen Wettbewerb - und erntete dafür dann auch viel Lob.

In diesem Zustand übergab Pierer, der verheiratet ist, drei Kinder, fünf Enkel und das Parteibuch der CSU hat, seinem Nachfolger Klaus Kleinfeld im Januar 2005 das Haus.

In seiner neuen Funktion als Siemens-Aufsichtsratsvorsitzender blieb von Pierer in der Öffentlichkeit aber durchaus präsent: Er stellte immer wieder politische und wirtschaftliche Forderungen, die er für notwendig hielt und machte auch von sich reden, als er im Bundestagswahlkampf 2005 den Posten des obersten Technologieberaters des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder aufgab und recht unverblümt in das Lager der damaligen Herausforderin Angela Merkel wechselte.

Früherer bayerischer Jugendmeister

Dabei hatte von Pierer mit Schröder aus der gegnerischen Partei durchaus so einiges verbunden: Beim Tennismatch gab der frühere bayerische Jugendmeister dem Altkanzler durchaus den ein oder anderen Ratschlag.

Seinen Hobbys wird von Pierer künftig stärker frönen können, aber ob sich der umtriebige Manager schon darauf freut, dürfte im Augenblick fraglich sein.

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