Heile-Welt-Szenarien:Werbung, die Mütter hassen

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Lebensmittelwerbung für Mütter ist klischeehaft und realitätsfern, sagt eine Studie von Euro RSCG. Marketingchefs halten Heile-Welt-Szenarien indes für unverzichtbar.

Martin Jahrfeld

Die Launen der lieben Kleinen bringen Deutschlands TV-Werbemuttis nicht aus der Fassung. Meist ziehen sie mit engelsgleichem Lächeln flugs das richtige Produkt aus dem Kühlschrank, das in der nächsten Szene auch schon servierfertig auf dem Tisch landet, um von leuchtenden Kinderaugen bestaunt zu werden. Die Botschaft solcher Spots könnte kaum eindeutiger ausfallen: Mutti ist doch immer wieder die Beste.

Die Sehnsucht nach einer intakten Familienwelt ist bei Konsumenten stark. (Foto: Foto: W & V)

Doch leider ist Mutti in Wahrheit von solcher Werbung schwer genervt. Laut einer aktuellen Untersuchung von Euro RSCG unter 1071 Müttern glauben 60 Prozent, dass die Auftraggeber solcher Spots nur wenig Ahnung von den Realitäten eines normalen Familienlebens haben.

40 Prozent zeigen sich von der Werbung mit Heile-Welt-Familien eher abgestoßen, 77 Prozent äußerten den Wunsch, dass die Werbung vielmehr zeigen solle, welches Chaos in Familien mitunter herrsche.

Frauen entscheiden über die Organisation der Familie

Offensichtlich kommunizieren viele Lebensmittelmarken komplett an dieser wichtigen Zielgruppe vorbei. "Die Studie zeigt, dass die Alltags- und Lebensrealitäten der Mütter sich längst weiter als die öffentliche Wahrnehmung entwickelt haben. Die Frauen haben sich vom traditionellen Perfektionsdruck befreit und entscheiden selbst, wie sie ihre Familien organisieren", glaubt Ursula Fuhrhop, Head of Strategic Planning bei Euro RSCG.

Eine Untersuchung von IP Deutschland und Super-RTL zum Thema Lebensmittelwerbung im TV kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Vermarkter warnen ebenfalls vor allzu starker Idealisierung und empfehlen mehr Alltagstauglichkeit: "Food-Werbung sollte realitätsbezogen sein und Anregungen liefern, die in den echten Familienalltag passen. Darstellungen strahlender Familienwelten kommen dagegen genauso wenig an wie zweckfreier Genuss", glaubt Cornelia Krebs, Abteilungsleiterin bei IP Deutschland.

In der Euro-RSCG-Untersuchung, bei der die Befragten 36 Lebensmittelmarken hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit bei Müttern und Familien beurteilten, wurden vor allem einige Light- und Tiefkühlprodukte abgestraft. Marken wie Dudarfst, McCain und Wiesenhof erzielten Zustimmungswerte von deutlich weniger als 50 Prozent.

Wenn aber hinter dem Tiefkühlprodukt ein Traditionsunternehmen steht, ist die mütterliche Zuneigung ungleich größer. So gelten etwa Iglo und Dr. Oetker für 60 bis 65 Prozent der Befragten als Marken, die die familiäre Situation von Müttern gut verstanden haben.

Wenig Vertrauen in die Lebensmittelbranche

Auch andere Traditionsmarken wie Hipp, Hohes C und Kellogg's genießen vor allem bei jüngeren Müttern einen deutlichen Vertrauensvorschuss vor weniger etablierten Produkten.

Die Lebensmittelindustrie hat es generell schwer mit den Müttern. Angesichts von Lebensmittelskandalen - Stichwort Gammelfleisch - sowie allgemeiner Skepsis über die Qualität verwendeter Zusatzstoffe äußerten nur 19 Prozent der in der Studie Befragten grundsätzliches Vertrauen in die Branche.

"Die Mütter wollen gesündere Produkte. Die Nahrungsmittelindustrie muss deshalb dringend etwas tun, um das Vertrauen in die Branche zu stärken", plädiert Andreas Geyr, Chef von Euro RSCG Deutschland, der die Studie in Auftrag gegeben hat.

Eine Marke, die etwas getan hat, ist Frosta. Als erster Tiefkühlanbieter, der auf den Einsatz von Geschmacksverstärkern, Farbstoffen sowie künstlichen oder natürlichen Aromen komplett verzichtet, wirbt die Marke mit einem Reinheitsgebot und unter dem Motto "Wir haben nichts zu verbergen". Laut Peter Pirck, Gesellschafter der Brandmeyer Markenberatung in Hamburg, "ein gelungenes Beispiel, wie eine Marke den scheinbaren Widerspruch zwischen Tiefkühlkost und gesunder Ernährung aufhebt".

Die Studie scheint Frosta Recht zu geben: In der Wahrnehmung der Mütter als verständnisvolles Unternehmen liegt der Tiefkühlanbieter vor großen Marken wie Pfanni, Kraft und Thomy.

Mehr Realität in der Werbung

Der Wunsch nach mehr Wirklichkeitsnähe in der Werbung ist jedoch zweischneidig. Dass viele Mütter ihr Küchen-Engagement wegen beruflicher Belastungen reduziert haben und bei der Zubereitung komplexerer Gerichte mitunter überfordert sind, ist zwar bundesdeutsche Realität, gilt in der Werbung jedoch auch aus gutem Grund als tabu.

"Ungeachtet gesellschaftlicher Veränderungen ist die Sehnsucht nach einer intakten Familienwelt in vielen Zielgruppen und vor allem bei jüngeren Konsumenten nach wie vor stark. Auch Food-Werbung sollte sich daran orientieren", betont Iglo-Marketingleiter Thomas Bruneforth.

In seinen aktuellen TV-Kampagnen bemüht sich der Tiefkühlanbieter deshalb um eine Balance zwischen Ideal und Wirklichkeit: In den Iglo-Spots für die Produktlinie Gourmet werden Mütter zwar nicht auf die Funktion der Köchin reduziert, spielen für den Familienzusammenhalt jedoch gleichwohl eine zentrale Rolle.

Familiäre Konflikte können angedeutet werden, müssen aber stets in einem "fröhlichen Gesamtzusammenhang" stattfinden. "Man muss die familiäre Realität der Zielgruppen kennen, aber nicht spiegeln", betont Bruneforth. Ein im Familienverbund kochender Vater sei deshalb unproblematisch, eine alleinerziehende Mutter hingegen schon.

Heile-Welt-Szenarien weniger gefragt

Auch Unilever sieht seine Strategie von den Ergebnissen der Studie nicht in Frage gestellt, obwohl einige Unilever-Marken wie Pfanni, Rama und Bertolli bei der Befragung der Mütter nur mäßige Werte erhielten. Ein aktueller Spot für Bertolli zeigt einen mit Einkaufstüten beladenen Senioren, der seine Fitness dokumentiert, indem er einen ins Rollen geratenen Kinderwagen rettet.

"Das ist natürlich nicht realitätsnah und soll es auch nicht sein. Wir wollten eher eine witzige Geschichte erzählen", erklärt Unilever-Sprecherin Katja Praefke. In den Spots für Familienmarken wie Knorr, Pfanni und Rama seien Heile-Welt-Szenarien jedoch schon seit längerem nicht mehr allgegenwärtig. "Hier scheuen wir uns nicht, die Probleme und Konflikte innerhalb der Familie zu thematisieren", betont Praefke.

In einem aktuellen Spot für Rama Cremefin etwa zanken zwei Gören darüber, ob Mutti den Pudding mit Sahne oder mit Vanillesauce zubereiten soll. "Wir wollen realistische Familienbilder, aber auf eine sympathische Art und Weise", sagt die Unilever-Sprecherin.

Auch Peter Pirck hält wenig davon, die Zielgruppe allzu deutlich mit schroffer Wirklichkeit zu konfrontieren. Ungeachtet veränderter Rollenmuster in den Familien seien traditionelle Familienbilder im Bewusstsein der Konsumenten immer noch stark verankert: "Die idealtypische Rolle der Mutter als Versorgerin und emotionaler Mittelpunkt der Familie steht auf der gesellschaftlichen Werteskala immer noch weit oben. Die Werbung sollte das nicht überstrapazieren, aber auch nicht ignorieren."

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