Hartz IV:Versicherte suchen Fluchtwege

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Nach der Arbeitsmarktreform verzeichnen deutsche Lebensversicherer die zunehmende Verunsicherung ihrer Kunden. Versicherte entschließen sich immer häufiger, ihren Vertrag kündigen, um den Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht zu verlieren. Die vorzeitige Auflösung einer Lebensversicherung ist allerdings ein schlechtes Geschäft.

Von Stefan Weber

Bei vielen Lebensversicherungskunden wächst die Sorge, wegen der bald verschärften Auszahlungsbedingungen von Arbeitslosengeld gezwungen zu sein, ihren Vertrag zu kündigen. Dem wollen sie mit einer Auflösung der Police zuvorkommen, um den Erlös vor dem Zugriff des Staates zu verbergen.

"Es gibt viele Anfragen, ob der Vertrag nicht so geändert werden kann, dass er bei der Ermittlung des Vermögens nicht angerechnet wird", beobachtet Michael Westkamp, Vorstandsvorsitzender der Aachener und Münchener Versicherungen (AMV).

Gesunkener Beratungsbedarf

Auch andere von der Süddeutschen Zeitung befragte Gesellschaften wie die Allianz, Axa oder die Ergo-Gruppe (Victoria, Hamburg-Mannheimer) berichten von einem stark gestiegenen Beratungsbedarf.

Bei der Berechnung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II gilt ein Freibetrag von 200 Euro pro Lebensjahr. Ein 50-Jähriger darf somit höchstens 10 000 Euro besitzen, um den Anspruch auf Förderung nicht zu verlieren.

In diese Berechnung gehen auch Kapital-Lebensversicherungen ein. Der Freibetrag erhöht sich um 200 Euro je Lebensjahr, sofern das Kapital nicht vor dem 60. Geburtstag des Versicherten ausgezahlt wird.

Begrenzte Umgehungsmöglichkeiten

Die Möglichkeiten, diese so genannte Schonvermögens-Regelung zu umgehen, sind sehr begrenzt. Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) weist auf die Möglichkeit hin, die Lebensversicherung in eine Immobilienfinanzierung einzubinden.

Eine zur Hypotheken-Tilgung eingesetzte Versicherung muss nicht gekündigt werden", sagte Ulrich Brock, der Vizepräsident des BVK, der Süddeutschen Zeitung. Auch könne ein Vertrag so geändert werden, dass die Kapitalauszahlung erst nach dem 60. Geburtstag erfolgt.

So werde zumindest der erhöhte Freibetrag ausgeschöpft. Mitunter empfehlen Kundenberater Ratsuchenden auch, ihren Vertrag für eine bestimmte Zeit beitragsfrei zu stellen, damit das angesparte Vermögen den Freibetrag nicht überschreitet.

"Angst lähmt das Geschäft"

Immer häufiger werden Versicherungsvertreter jedoch mit dem Thema "Kündigung" konfrontiert. "In drei von vier Kundengesprächen geht es um eine Auflösung des Vertrages", berichtet Brock.

Dabei seien es nicht so sehr die jungen Langzeitarbeitslosen, die eine Police kündigen wollten, um den Anspruch auf Förderung nicht zu verlieren. Sehr viel öfter zweifelten Arbeitnehmer im Alter zwischen 45 und 60 Jahren, ob es sinnvoll sei, den Vertrag weiter laufen zu lassen.

Zudem werde es immer schwieriger, junge Leute von der Notwendigkeit von Neuabschlüssen zur Altersvorsorge zu überzeugen, sagte der BVK-Vize. Sie befürchten nach seinen Angaben, im Fall der Arbeitslosigkeit ihre Ersparnisse aufbrauchen zu müssen.

Verschärfte Nachfrage erwartet

Weil die steuerliche Förderung der Lebensversicherung für ab 2005 abgeschlossene Verträge deutlich kleiner ausfällt, rechnet die Branche mit einer verstärkten Nachfrage bis Ende dieses Jahres. Brock sagt jedoch: "Davon ist kaum etwas zu spüren. Die Angst vor Harz IV lähmt das Geschäft."

Wenig bekannt ist, dass Arbeitslose nicht in jedem Fall zum Verkauf ihrer Lebensversicherung gezwungen werden können, um den Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht zu verlieren: Die Verluste aus dem vorzeitigen Verkauf dürfen nicht mehr als zehn Prozent der eingezahlten Beiträge ausmachen.

Rückkaufwert

Das ist vor allem bei Verträgen der Fall, die erst vor wenigen Jahren abgeschlossen worden sind. Bis der Rückkaufwert einer Versicherung die eingezahlten Beträge erreicht, vergehen nach Schätzung von Fachleuten im Durchschnitt zwölf Jahre.

Somit dürften vornehmlich ältere Arbeitslose mit vergleichsweise lang laufenden Verträgen unter Druck geraten, diese zu kündigen. Das ist für die Betroffenen ein schlechtes Geschäft, denn in der Regel sorgen Boni und Schlussgewinne dafür, dass eine Police gerade in den letzten Jahren vor der Auszahlung an Wert gewinnt.

Wenn vorzeitig gekündigt wird, ist der Verlust entsprechend groß — nicht in Relation zu den einbezahlten Beiträgen, sondern im Verhältnis zu den zu erwartenden Auszahlungen.

In Verbindung mit den Arbeitsmarktreformen berichten die Versicherer erst vereinzelt über vermehrte Vertragsauflösungen. AMV-Vorstandschef Westkamp sieht bei der in seinem Haus im ersten Halbjahr um 0,8 Punkte auf 7,8 Prozent gestiegenen Stornoquote zwar "einen Zusammenhang mit Harz IV".

Konjunkturelle Flaute

Eine Rolle spiele aber auch die konjunkturelle Flaute. Nach Ansicht der Allianz lassen sich mögliche Folgen der Arbeitsmarktreformen erst in einigen Monaten an den Stornozahlen ablesen. "Die Diskussion ist noch zu frisch. Zudem ziehen die Stornoquoten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer an", sagte ein Sprecher.

© SZ vom 21.08.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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