Hartz IV:Antreten vor der dritten Gewalt

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Hartz IV ist zwar relativ geräuschlos angelaufen, doch das Gesetz hat seine eigentliche Feuerprobe erst noch vor sich. Denn es ist keineswegs sicher, ob das Reformpaket auch vor Gericht Bestand haben wird. So manches spricht dagegen.

Von Paul Katzenberger

Knapp zwei Wochen nach Einführung der Hartz-IV-Reform ist der Unmmut über die neuen Regelungen verhaltener als viele befürchtet hatten.

Warten auf den Berater: Alg-II-Antragsteller in Leipzig. (Foto: Foto: dpa)

Beim Ombudsrat, der von der Bundesregierung für die Sorgen und Nöte der Empfänger von Arbeitslosengeld II eingerichtet wurde, gingen rund 1300 schriftliche Beschwerden ein. Zudem gab es circa 4500 telefonische Anfragen. Die Hartz-IV-Verantwortlichen hatten mit weitaus Schlimmerem gerechnet.

Im Vergleich zu den Protesten des vergangenen Sommers verlief die eigentliche Einführung von Hartz IV somit recht geräuschlos.

Der Freiburger Anwalt Mario Schmid glaubt allerdings, dass die Gerichte des Landes mit der Reform noch zu tun bekommen werden.

Anzeige bei Google

An Schmids Kanzlei Lamprecht, Schmid, Kern können sich Antragsteller auf Arbeitslosengeld II wenden, deren Anspruch von der Arbeitsagentur inzwischen abgelehnt worden ist. Ihr Klientel finden die Freiburger nicht unmittelbar vor der Haustür - es stammt vor allem aus Ostdeutschland. Doch durch eine Anzeige bei Google finden Klagewillige aus Dresden, Wismar oder Bautzen ihre Rechtsvertreter im Breisgau.

Ähnlich wie bei einer Sammelklage vertritt die Freiburger Kanzlei dabei gleichartige Fälle, um die Kosten für jeden einzelnen Kläger niedrig zu halten.

Allerdings liefen die Verfahren jetzt erst an, erläutert der Anwalt. Denn erst wenn die Widerspruchsbescheide bei den Betroffenen eingetroffen seien, suchten sie in der Regel anwaltliche Hilfe. "Viele Widersprüche sind aber noch gar nicht rausgegangen", so Schmid.

"Der Staat hat das Geld einfach nicht mehr"

Der Berliner Rechtsanwalt Hanno Freimüller räumt Anspruchssuchenden, deren Antrag auf Arbeitslosengeld II abgeschmettert oder runtergerechnet wurde, allerdings verhältnismäßig wenig Chancen vor Gericht ein: "Der Staat hat das Geld einfach nicht mehr." Da Arbeitslosengeld II eine staatliche Fürsorgeleistung sei, die im Gegensatz zum Arbeitslosengeld I keine Beiträge voraussetze, sei dem klammen Staat eine gewisse Absenkung der Leistungen zuzubilligen, argumentiert Freimüller.

Freimüller schließt die rechtliche Angreifbarkeit Hartz IV aber auch nicht aus. Besonders die Absenkung des Arbeitslosengeldes I sei problematisch, wobei dieser Umstand nicht von den Arbeitslosen, aber von den heutigen Beitragszahlern angegriffen werden könne. "Es ist tatsächlich eine berechtigte Frage, ob die Verhältnismäßigkeit zwischen der Höhe der zu zahlenden Beiträge und der von der Bundesagentur erbrachten Leistungen noch gegeben ist", meint der Anwalt.

Freimüllers Zweifel haben politische Sprengkraft. Schließlich gäbe es mit den 26,5 Millionen sozialversicherten Beitragszahlern ziemlich viele Menschen in Deutschland, die das Hartz-IV-Paket torpedieren könnten.

Verfassungsrechtliche Vorgaben

Es erscheint zunächst kaum vorstellbar, dass ein Gesetz, das im Gesetzgebungsprozess so durchleuchtet wurde wie Hartz IV, derart offensichtlich angreifbar sein sollte. Doch auszuschließen ist dies keineswegs. Die Schlecherstellung der Arbeitslosenversicherten geht immerhin so weit, dass der Verfassungsrichter Siegfried Broß im vergangenen Juni beim Deutschen Katholikentag in Ulm vorsichtige Bedenken zur Vereinbarkeit der Hartz-Gesetze mit verfassungsrechtlichen Vorgaben geäußert hatte.

Unter anderem erschließe es sich ihm nicht, "wie die Eigenleistungen der Betroffenen - zum Teil über Jahrzehnte erbracht - behandelt werden", monierte der von der Union nominierte Richter des zweiten Senats damals.

Broß ruderte später zwar zurück und ließ über die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichtes mitteilen, dass er zu keinem Zeitpunkt behauptet habe, dass die Reform verfassungswidrig sei. Doch völlig unbegründet waren die von Broß in Ulm geäußerten Zweifel offenbar nicht.

Denn auch der Rostocker Sozialrechtler Heinrich Lang meldet im Gespräch mit sueddeutsche.de rechtliche Zweifel an den Hartz-Reformen an. So stellt er etwa in Frage, ob die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Beispielrechnung

Unterfüttert werden diese Überlegungen von Wolfgang Spellbrink, Richter am Bundessozialgericht in Kassel. Der Sozialrichter rechnete im vergangenen Jahr in der Juristenzeitung an Hand eines Beispiels vor, dass die Eigenvorsorge inzwischen der Zwangsmitgliedschaft in der Arbeitslosenversicherung überlegen sei.

Spellbrink unterstellt dabei, dass ein 1956 geborener Arbeitnehmer im Jahr 2 der Hartz-Reform, also 2006, arbeitslos wird. Zudem nimmt der Richter in seinem Beispiel an, dass der Betroffene seit seinem 30. Lebensjahr beitragspflichtig beschäftigt war und jeweils den durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienst im produzierenden Gewerbe von 3589 Euro erzielt hat.

Schöpfe er nun seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I vollständig aus, so stehe ihm nach dem allgemeinen Satz ein Betrag von 16.588,80 Euro verteilt über zwölf Monate zu, kalkuliert Spellbrink.

Vergleichbare Absicherung nach fünf bis sechs Jahren

Hätte dieser Arbeitnehmer nun auf die Arbeitslosenversicherung verzichtet und hätte stattdessen das dadurch ersparte Geld auf einem Sonderkonto zu einem Zinssatz von 3,25 Prozent angelegt, so hätte er bereits nach fünf bis sechs Jahren fortlaufender Beschäftigung ein Absicherungsniveau erreicht, wie sie ihm die hartz-verschlankte Arbeitslosenversicherung nun neuerdings nur noch zur Verfügung stellt.

Je länger ein Arbeitnehmer also in die Gesetzliche Arbeitslosenversicherung einzahle, desto größer sei der ökonomische Verlust, argumentiert der Bundesrichter. Bei zehn Jahren Beitragspflicht sei die private Absicherung schon doppelt so hoch, bei zwanzig Jahren betrage sie sogar mehr als das dreifache.

Spellbrink räumt zwar ein, dass Job-Hopper, d. h. immer wieder kurzfristig Beitragspflichtige, durchaus ökonomische Gewinner des "Systems Arbeitslosenversicherung" sein könnten. Ob die rot-grüne Regierung allerdings Gewinner in diesem Sinne produzieren wollte, darf angezweifelt werden.

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