Hannover Messe:Hand in Hand

Lesezeit: 4 min

Gas, Öl und ganz viel Kohle - Kanzler Schröder und Präsident Putin zelebrieren auf der Hannover Messe ihre gewinnbringende Freundschaft

Von Ulrich Schäfer

Vom "lupenreinen Demokraten", wie der Kanzler ihn nennt, ist nichts zu sehen. Wladimir Putin ist verschwunden in einem Pulk aus Fotografen, Kameraleuten und Bodyguards, inmitten von ein paar hundert Männern in dunklen Anzügen, die sich durch die ansonsten menschenleere Halle 13 der Hannover Messe schieben.

"Oh Gott", sagt Bernd Mützelburg, der Sicherheitsberater des Kanzlers, als die Menschenmasse sich auf ihn zu bewegt und er an die Wand eines Ausstellungspavillons gedrückt wird. Oh Gott.

Wladimir Wladimirowitsch Putin, Seine Exzellenz, den Präsidenten der Russischen Förderation, interessieren an diesem Morgen nicht die Lage in Tschetschenien, die Zustände in den Gefängnissen, die Menschenrechte in den fernen Winkeln seines Landes.

Dem Gast aus Moskau geht es ums Geschäft: um Öl und Gas, um Mähdrescher, Flugzeuge von Iljuschin oder ICE-Schnellzüge, die zwischen Moskau und Helsinki pendeln sollen. Gemeinsam mit seinem Freund Gerhard Schröder eröffnet er die größte Industriemesse der Welt, deren Partnerland diesmal Russland ist.

"Proleten aller Länder"

Es ist ein Albtraum für die Fotografen und die Sicherheitsleute. Während das Volk vor den verschlossenen Glastüren warten muss, schiebt sich drinnen das Knäuel aus Menschen, in deren Mitte die beiden Regierungschefs stecken, unaufhaltsam durch die engen Gänge der Russland-Halle, vorbei an Lastwagen, Schiffsmodellen und Flugzeugfahrwerken.

"Das ist hier nicht zu handlen", bellt einer der Bodyguards in deutsch-englischem Kauderwelsch in sein Mikrofon, das an einer dünnen Schnur vom linken Ohr baumelt. 15 Stationen hat das Protokoll vorgesehen. 15 Mal Hände schütteln.

15 Mal erklärt ein stolzer Firmenchef sein Produkt. 15 Mal loben Putin und Schröder die Leistungen russischer, deutscher und manchmal auch gemeinsamer Ingenieurskunst. So - wenn auch nicht so voll - muss es gewesen sein, als einst Erich Honecker in Leipzig die größte Produktschau der DDR eröffnete.

Ein derartiges Gedränge jedenfalls haben selbst erfahrene Besucher in Hannover noch nicht erlebt. Es muss an der ganz besonderen Freundschaft dieser Länder liegen, die Schröder und Putin zelebrieren und die nicht zuletzt auf ihrer beider Freundschaft beruht.

Man kennt sich. Man spricht deutsch und lässt die Dolmetscher meist beiseite. "Nur bei Journalisten brauche ich die", frotzelt Putin am Abend zuvor beim Dinner in der Gastwirtschaft Wichmann. Und er verbessert einen Übersetzer, der Schröders Worte von Karl Marx mit "Proleten aller Länder" weitergibt. "Proletarier" müsse es heißen, sagt er.

Bis ein Uhr in der Früh sitzen die beiden zusammen, erst mit einigen deutschen und russischen Journalisten, dann zu zweit. Der Küchenchef serviert Geflügelhupf von Gänsestopfleber, danach souffliertes Steinbuttfilet und Salzwiesenlamm.

Dazu gibt es pfälzischen Riesling und Spätburgunder. Gemeinsam schmunzeln die beiden, als ein russischer Chefredakteur zu später Stunde Putin-Schröder-Witze erzählt. Und als ein anderer berichtet, der amerikanische Präsident George W. Bush habe einst Trotzki studiert. Das glaube er nicht, sagt Schröder. Und Putin merkt an: "Trotzki in Texas. Das gibt's dort gar nicht."

Am nächsten Morgen ist den beiden der lange Abend nicht anzusehen. Auch beim Messe-Rundgang lachen und scherzen sie. Der gut gebräunte Kanzler grinst noch ein wenig breiter als sein Gast, während die Fotografen schubsen und drängeln. Freund Gerd und Freund Wladimir wollen eine optische Botschaft ihrer Verbundenheit in die Welt senden.

Und wo lässt sich die besser dokumentieren als in des Kanzlers Heimatstadt, wo besser als auf dieser Messe. Die globalen Fragen dieses Jahrhunderts hängen schließlich alle mit Geld zusammen. Es geht um die wirtschaftliche Vorherrschaft - und um die Ressourcen, die zum Erhalt dieser Vorherrschaft nötig sind.

So stehen der Präsident der Energienation Russland und der Regierungschefs des Exportweltmeisters schließlich vor einer großen Landkarte, die auch eine Karte der deutsch-russischen Beziehungen sein könnte.

Ganz rechts, im Nordosten Sibiriens, sieht man ein paar dicke, gelbe Flecken, die Gasfelder; im Westen ist Europa, mittendrin Deutschland, und darüber liegt ein dichtes, rotes Spinnennetz mit Pipelines, ergänzt durch eine gestrichelte Linie in der Ostsee. "In Planung", heißt es zu der Strichellinie am Rande.

Schröder und Putin treiben das Milliardenprojekt einer Gas-Pipeline auf dem Grund der Ostsee seit bald zwei Jahren voran. Und nun wird es allmählich Wirklichkeit: So dürfe, kündigt Putin in Hannover an, der Ludwigshafener BASF-Konzern als erstes ausländisches Unternehmen die russischen Gasfeld ausbeuten; zudem werde BASF damit fast die Hälfte der Pipeline-Anteile übernehmen.

Die Beziehungen beider Länder erreichten dadurch "eine ganz neue Qualität. Schröder sieht dies genauso. Während anderswo auf der Welt die Spannungen wachsen, sei der Energielieferant Russland "ein außerordentlich stabiler und zuverlässiger Partner", sagt er.

Putin ist anzumerken, wie sehr er den gemeinsamen Auftritt mit Schröder genießt. Er lässt sich bei jedem Aussteller Zeit, bleibt stehen, fragt nach. Schnell gerät der Zeitplan aus den Fugen.

Außerhalb des Pulks kann man nur erahnen, welches Exponat die beiden Regierungschefs gerade bestaunen. "Ich denke, den nächsten Bundeskanzler sollten wir nach der Größe auswählen. Dann haben wir mehr davon", frotzelt ein Manager, der auch mal einen Blick erhaschen will.

Wenig später klettern die beiden Regierungschefs in die Fahrerkabine eines gewaltigen, fünf Meter hohen Traktors mit vier beinahe mannshohen Doppelreifen. Das Gefährt mit der Typennummer 930 wird von dem Allgäuer Unternehmen Fendt-Agco und der Moskauer Agromash Holding gemeinsam produziert, Putin hat es bereits vor zwei Jahren eigenhändig über einen russischen Acker gesteuert.

"Wir machen das ruck-zuck, dong-dong"

Diesmal bleibt der Motor stumm. Stattdessen heben Putin und Schröder die Daumen, der Kanzler verscheucht mit der rechten Hand einige an langen Angeln aufgehängte Fernseh-Mikrofone. Und später steigen sie auch noch auf einen gelben Mähdrescher.

Währenddessen bereitet sich Klaus Kleinfeld im Saal Brüssel der Halle 1 auf seinen ersten wirklich politischen Auftritt als neuer Siemens-Chef vor. "Wir machen das ruck-zuck, dong-dong", erklärt er den Protokollbeamten. Wenn der Vertrag über die Lieferung die 60 ICE-Züge an die russische Staatsbahn unterzeichnet sei, wolle er schnell noch einen Koffer mit einem ICE-Modell an Putin überreichen, "sozusagen als erste Lieferung".

Aber weil der Koffer danach nur störe, werde er ihn sofort wieder mitnehmen. Dann kommen Putin und Schröder. Kleinfeld und der Chef der russischen Eisenbahn setzen ihre Unterschriften unter die Verträge.

Der Siemens-Chef überreicht den Koffer. "Sozusagen als erste Lieferung", sagt er wie angekündigt und will den Koffer dann Putin wieder abnehmen. "Nee, nee, der Koffer muss hier bleiben", sagt Schröder, "so geht das ja nicht". Jedenfalls nicht mit guten Freunden.

© SZ vom 12.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: