Hanfmesse:"Oh! Holy Mary"

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Hanf wird bei vielen verschiedenen Produkten eingesetzt. In Deutschland ist der Handel mit ihnen allerdings illegal. (Foto: Nils Krüger/oh)

Auf der Berliner Hanfmesse dreht sich alles um die Pflanze, die Schmerzen lindern und für Geschäfte sorgen soll. Ein Jugendrichter hat dort auch seinen Auftritt.

Von Julian Erbersdobler, Berlin

Es ist Samstagnachmittag, kurz nach vier, als im Bällebad gerangelt wird - der Junge mit Hanf-Shirt gegen die Frau mit Batik-Top. Es dauert keine zehn Sekunden, dann lassen sie plötzlich wieder die Hände voneinander und beenden ihren Kampf, unentschieden. Um das Bällebad herum stehen vor allem Männer um die 30, die frisch gepressten Orangensaft aus Plastikbechern schlürfen. Menschen, die man auch bei der Eröffnung eines Baumarktes treffen könnte - oder eben auf der "Mary Jane" in Berlin, der "größten deutschen Hanfmesse".

Superlative verkaufen sich. Deswegen haben die Veranstalter vor Beginn der Messe auch immer wieder betont, wie groß das hier alles ist: Gesamtfläche von mehr als 13 000 Quadratmeter, 30 000 Produkte, 250 Aussteller, 25 000 erwartete Besucher in drei Tagen. Schwerpunkt der Messe sind in diesem Jahr Hanf-Produkte mit dem Wirkstoff Cannabidiol, kurz CBD, dem eine schmerzlindernde und beruhigende Wirkung nachgesagt wird.

Wer die Messehalle in Berlin-Treptow betritt, kommt gleich an einem Stand vorbei, der unter anderem Kaffee mit CBD anbietet. Aber das ist nur ein Produkt, für das hier geworben wird. Die Verkäuferinnen sind als Nonnen verkleidet. Und auch auf dem großen Plakat ist eine betende Nonne im Wald zu sehen, über ihr der Slogan "Oh! Holy Mary". Was verkaufen die hier noch? Es ist ein Cannabis-Gleitgel.

Wer rollt den schönsten Joint? Siegen kann man in drei Kategorien

Hierzulande werden nach Schätzungen pro Jahr etwa 200 bis 400 Tonnen geraucht. Aber noch gibt es die Cannabis-Pflanze, die den psychoaktiven Wirkstoff Tetrahydrocannabiol, kurz THC, enthält, in Deutschland nicht legal zu kaufen. Seit 2017 können Ärzte aber Patienten mit Rheuma, Multipler Sklerose, Migräne und vielen anderen Erkrankungen Marihuana verschreiben. Für viele auf der Messe ist das erst der Anfang der Liberalisierung.

Glaubt man den Veranstaltern, dann wächst in Europa keine Hanfmesse so schnell wie die Mary Jane in Berlin. Und mit ihr nimmt die Zahl der Kuriositäten zu. Gleich gegenüber von den Nonnen gibt es einen Black-Jack-Tisch. Drei Männer mit Goldketten und tätowierten Unterarmen bleiben kurz davor stehen. Sollen sie eine Runde spielen? Jetzt lieber nicht, sie verschwinden wieder in der anonymen Masse. Es gibt auch Glücksräder und Gewinnspiele. Bei einem geht es beispielsweise darum, den schönsten Joint zu rollen. In drei Kategorien: Kreuzjoint, Tulpe und Freestyle. Der Gewinner bekommt eine "Goodiebag" und eine Powerbank für das Handy.

Ein paar Meter weiter riecht eine ältere Dame an ihrem Handrücken. Sie hat gerade eine Hanf-Creme getestet. Kosmetik gibt es hier und auch noch an anderen Ständen. Tuben und Dosen, die in Vitrinen stehen und auf Käufer warten. Von der Lotion "für müde Füße" bis zum Mundwasser, alles schick verpackt. Getränke werden natürlich auch verkauft, zum Beispiel ein "Cannabis Maracuja Slushy", 4,50 Euro. Grüne Dosen mit Softdrinks, die sich in einem Regal stapeln. Oder verschiedene Teesorten, eine davon soll besonders gut für die "Entgiftung" sein. Auf der Packung stehen die Zutaten: Hanf, Mate, Pfefferminze, Zitronengras.

An einem anderen Stand gibt es Fachliteratur. Da liegen Bücher aus mit den Titeln "Hydrokultur leicht gemacht", "Weedology - Alles über den Cannabis-Anbau" und "Deine eigenen Stecklinge". Weiter hinten werden Lichtanlagen präsentiert, Zelte und 2400 Euro teure Designschränke, in denen Marihuana-Pflanzen gedeihen können. Aber auch Dünger und Erde in riesigen Behältern.

"Jeder, der wegen Cannabis verurteilt wurde, ist für mich ein Opfer unseres Staates."

Woran erkennt man den klassischen Mary-Jane-Besucher? Manche schon an den Haaren, wenn sie Dreadlocks tragen, die wie Nester aussehen. Andere haben bunte Perücken auf oder Baumwolltaschen um die Schultern. "Grüne Kraft in Berlin", steht darauf. Die Hanf-Pflanze findet sich auch auf vielen Kleidungsstücken wider, Hemden, Shirts, Mützen. Auf der Messe sind auch Familien unterwegs, Mütter, die ihre brabbelnden Babys vorbei an Wasserpfeifen und Blumenerde durch die Gegend tragen. Viele Besucher haben gewaltige Joints in der Hand, deren Geruch sich über das ganze Gelände verteilt. Es wirkt so, als würden die Menschen die Illegalität einfach wegpaffen.

Das Geschäft mit dem Gras boomt, auch auf dem Aktienmarkt. In Kanada ist Marihuana seit Herbst 2018 legal. Kursgewinne von mehreren tausend Prozent sind bei vielen Cannabis-Aktien keine Seltenheit. Aber wie ist die Lage in Deutschland? Wird Cannabis bald auch hier freigegeben? Andreas Müller kämpft dafür. Er steht im Kongressraum und redet sich in Rage. "Jeder der wegen Cannabis verurteilt wurde, ist für mich ein Opfer unseres Staates", sagt er. Saufen dürfe man bis zum Umfallen, Kiffen nicht.

Müller ist ein Jugendrichter, den man auch aus dem Fernsehen kennt, ein Mann mit markigen Sprüchen. "Irgendjemand muss sich ja einsetzen für die Menschen, die keine Stimme haben. Und diese Stimme bin ich." Er schießt schon mal rhetorisch über das Ziel hinaus. An diesem Samstag schafft es Müller sogar, den Kampf für die Legalisierung von Gras mit dem Kampf für die Rechte von Homosexuellen und Frauen in Verbindung zu bringen.

Im Publikum kommt sein Vortrag gut an. Immer wieder gibt es Szenenapplaus. In der vorletzten Reihe sitzt allerdings ein Mann, der sich davon nicht beeindrucken lässt. Er ist anderweitig beschäftigt, baut sich gerade einen Joint.

© SZ vom 24.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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