Handys:Telefonieren ist Nebensache

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Mit immer neuen Zusatzfunktionen kämpfen die Handyhersteller um Kunden. Schließlich gilt es, an das phänomenale Jahr 2004 anzuknüpfen. Siemens hat diesen Boom allerdings komplett verschlafen.

Von Antonie Bauer

Sie sind mit zwei Kameras, Blitz und Musikspieler ausgestattet; sie ermöglichen Videokonferenzen, schnelles Surfen im Internet, den Versand von E-Mails und vieles mehr. Demnächst übertragen sie sogar Fernsehprogramme: Bei den neuen Handys, die die Mobilfunkbranche in dieser Woche auf der Messe 3GSM in Cannes vorstellt, ist von Sprache kaum die Rede.

Auf dem 3GSM World Congress gesehen: Digitaler Fernsehempfang per Handy. (Foto: Foto: AP)

Zwar nutzen die 1,7 Milliarden Teilnehmer weltweit ihre Handys immer noch ganz überwiegend zum Telefonieren, doch beim Erwerb eines neuen Geräts schauen die Käufer ganz genau auf die Zusatzfunktionen.

Im vergangenen Jahr war es oft die eingebaute Kamera, die über den Erfolg eines Modells entschied; 2005 setzt die Branche vor allem auf Musik: Allenthalben kündigen Hersteller mit großem Trara an, dass sie demnächst verstärkt Handys ausliefern, die Songs aus dem Internet herunterladen und abspielen. Sony Ericsson wird dafür sogar die ehrwürdige Marke Walkman wiederbeleben.

Anknüpfen an ein phänomenales Jahr

Die Branche müht sich, an ein phänomenales Jahr anzuknüpfen: 2004 hat sie weltweit gut ein Viertel mehr Telefone ausgeliefert als 2003. Das wird sie 2005 kaum wiederholen können, doch Luft nach oben gibt es immer noch.

In Europa tauschen derzeit viele Nutzer ihr altes Gerät gegen ein neues aus, in den Schwellenländern werden sich viele Menschen ihr erstes Handy leisten. Die Marktforscher von Idate prognostizieren der Branche deshalb ein Plus von zehn Prozent auf 710 Millionen verkaufte Mobiltelefone.

Preise kommen unter Druck

Allerdings sollen sie mit 91,5 Milliarden Dollar nur drei Prozent mehr als 2004 einbringen. Der Konkurrenzkampf wird nach Ansicht der Experten noch einmal härter, die Preise kommen unter Druck.

Billigangebote alleine werden den Produzenten allerdings nichts nützen; wichtig sind vor allem attraktive neue Modelle. Das hat sich im vergangenen Jahr gezeigt, als Nokia die Trends verkannt hatte und vorübergehend heftig einbrach; profitiert haben Samsung, LG, Sony Ericsson und Motorola, das nach langer Flaute Ende 2004 mit einem schlagkräftigen Portfolio angriff und nun wieder unangefochtener Branchenzweiter ist.

Neue Hoffnung durch UMTS-Telefone

Nun setzen die Amerikaner massiv auf Telefone für UMTS, den schnellen Mobilfunk der dritten Generation - in der Hoffnung, damit die Verhältnisse umzudrehen. "Das ist eine Gelegenheit, die Landschaft bei den Marktanteilen zu verändern", sagt Vizepräsident Ron Garriques und beansprucht die UMTS-Führerschaft für sich.

"Wir wünschen Motorola viel Glück", meint dazu spöttisch Soren Petersen, der bei Nokia für die Handy-Strategie zuständig ist, "aber wir werden uns wehren".

Bislang hat es der Branchenprimus den Amerikanern mit seinem schleppenden Einstieg recht leicht gemacht. Doch das sei ganz normal, sagt Petersen: Nokia sei noch immer spät auf neue Märkte vorgedrungen, und doch habe es von Technologiewelle zu Technologiewelle seinen Marktanteil vergrößert.

Die Finnen erwarten, dass in diesem Jahr 70 Millionen UMTS-Handys den Besitzer wechseln. Das wäre zwar gut viermal so viel wie 2004, aber dennoch nur ein Zehntel des gesamten Handymarktes.

Siemens hat erst zwei UMTS-Telefone in der Pipeline

Außen vor im neuen Handyboom bleiben erst einmal die Deutschen, denn Siemens hat den Trend bislang komplett verschlafen. Noch hat der Konzern gar keine UMTS-Telefone, im Lauf des Jahres will er zwei auf den Markt bringen. Damit ist auch Lothar Pauly, Chef der Kommunikationssparte, nicht zufrieden: "Ich glaube nicht, dass es viel bringt, 16 Varianten einzuführen", erklärte er in einem Seitenhieb auf Motorola, "aber ich hätte gerne mehr als zwei".

Aufholjagd wird schwer

Die Münchner stehen in letzter Zeit auf der Verliererseite, die Aufholjagd wird schwer. Nach Daten von Idate waren Siemens und Nokia im vergangenen Jahr die einzigen unter den sechs großen Handyherstellern, die Marktanteile verloren haben; die Finnen sind aber bereits dabei, ihre Produktpalette zu überholen, und legen in jüngster Zeit wieder zu. Noch seien sie allerdings nicht da, wo sie hin wollten, sagt Petersen; das werde wohl bis 2006 dauern.

Doch die Krise bei Siemens geht tiefer. Die Handysparte kostet das Unternehmen täglich eine Million Euro, das Management diskutiert derzeit vier Varianten: die Schließung, was Pauly gerne verhindern würde, denn sie würde "zu viel Wert zerstören"; den Verkauf, die Suche nach einem Partner oder die Sanierung der Sparte.

Mit der Sanierung angefangen

Mit der Sanierung haben die Münchner bereits angefangen, schließlich können sich die anderen Lösungen des Problems hinziehen. Siemens arbeite an scharfen Kostensenkungen und einer Produktoffensive, verspricht Pauly.

In Cannes ist allerdings davon nicht viel zu sehen. Die Deutschen präsentieren zwar eine neuartige Datenkarte für das schnelle Surfen vom Laptop aus, doch bei neuen Handys trumpft derzeit nur die Konkurrenz auf.

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