Gutes böses Geld:Wie Sandburgen in der Brandung

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Mit vergänglichen Werken setzen Künstler die Regeln der Warenwelt einfach außer Kraft.

Von Catrin Lorch

Ob es ihn als Künstler freue, dass ein Sammler 41 Millionen Euro für eines seiner Bilder geboten habe? Gerhard Richter gilt als teuerster lebender Künstler in Europa, und seine Antwort auf diese Frage in einem Interview mit der Zeit ist bemerkenswert. Er sagte, solche Rekordmeldungen seien "schöne, erfreuliche Nachrichten". Und fügte an: "Die Summe aber, die hat auch etwas Schockierendes. Sie wissen, der Markt für Kunst ist so hoffnungslos überzogen. (...) Wir Künstler bekommen bei so einer Auktion so gut wie gar nichts. Bis auf einen kleinen Obolus fließt der Gewinn an den Verkäufer."

Es spricht Skepsis aus diesem Zitat - und auch eine gewisse Ratlosigkeit. Hat der Markterfolg noch etwas mit der eigenen Arbeit zu tun?

Gerhard Richter gibt den Gegenpol zu einem Künstler wie Damien Hirst, der mit dem Kunstmarkt spielt, ihn befeuert, manipuliert, vor sich hertreibt, indem er selbst Auktionen veranstaltet, zeitgleich Vernissagen auf der ganzen Welt inszeniert und als Investor in der Rolle des Sammlers sein Geld auch in sein eigenes Werk "For the Love of God", den diamantenbesetzten Schädel, steckt. Wie also umgehen mit dem Markt?

Der deutlich jüngere Amerikaner Wade Guyton, 1972 geboren, der zur Generation der weltweit teuer als "Blue Chips" gehandelten Maler gehört, hat versucht, Hand anzulegen an den eigenen Erfolg. Er wurde bekannt, weil er Leinwände, statt sie mit dem Pinsel minutiös zu bemalen, in den Tintendrucker steckt und so in elegante Abstraktionen verwandelt.

Was ankommt: Vor zwei Jahren bot der Versteigerer Christie's ein im Jahr 2005 entstandenes, unbetiteltes Werk zu einem Schätzpreis von 2,5 bis 3,5 Millionen Dollar an. Auf Instagram veröffentlichte Wade Guyton daraufhin Fotos von sich im Atelier, wo er die Datensätze dieser Leinwand aus dem Jahr 2005 wieder in den Drucker einspeiste und ein ganzes Dutzend neue Bilder auf dem Boden auslegte. Sichtbar war die Einmaligkeit des teuer als Meisterwerk ausgepreisten Drucks dahin. Allerdings: Die Guerilla-Auktion störte weder den Verkauf von "Untitled", noch torpedierte Wade Guyton seinen Marktwert.

Womöglich war es dafür auch einfach zu spät? Der Markt, so er einmal in Kunst investiert hat, lässt ungern ab von ihr - wer erfolgreich Gemälde oder Skulpturen verkauft hat, in wen also bereits investiert wurde von Sammlern, Galeristen und Vermittlern, dem wird nicht so einfach gestattet, im Nachhinein die Spielregeln zu ändern oder das Spielfeld zu verlassen. Schließlich würde er nicht nur den eigenen Wert ruinieren, sondern auch den einiger Kollektionen verringern.

Die Skulptur "Pocket Money of my Son" von 2007 ist eine weitere Provokation des Kunstmarkts durch den slowakischen Künstler Roman Ondák. (Foto: Courtesy: The artist and Johnen Galerie, Berlin)

Dass diese Regeln allerdings von Künstlern außer Kraft gesetzt werden können, dass man sie unterlaufen, herausfordern und thematisieren kann, das beweist beispielsweise das Werk eines Künstlers wie Tino Sehgal. Der 1976 in London geborene Sehgal gilt als einer der bedeutendsten Künstler seiner Generation, Arbeiten von ihm sind auf der Documenta zu sehen, in Venedig erhielt er, als einer der jüngsten Künstler überhaupt, einen Goldenen Löwen. Dabei stellt er Sammler und Museen vor eine gewaltige Aufgabe - indem er ihnen Performances verkauft. Anders als bei seinen Vorgängern, gibt es dazu keine Skizzen, keine Filme, keine Fotografien. Nicht einmal ein Zertifikat. Museumsdirektoren verzweifeln daran, dass einer wie Sehgal auch keine Verträge unterschreibt, wo Tausende Dollar oder Euro gezahlt werden, damit in der Sammlung ein Museumswärter wie ein Hampelmann springen darf oder ausgebildete Sängerinnen laut "This is so contemporary" anstimmen dürfen. Dass Tino Sehgal, statt die Kunstakademie zu besuchen, eine Ausbildung zum Tänzer absolvierte und sich nebenbei für Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben hatte, zeigt, dass er nie vorhatte, seinen künstlerischen Erfolg in der seit Jahrhunderten eingespielten Weise auch in Marktwerte umzumünzen.

Niemand ist gezwungen, künstlerischen Erfolg in Marktwert umzumünzen

Es ist die Konzeptkunst, die Sehgal dabei vorgearbeitet hat. Denn das Verhältnis von Kunst und Markt wurde im zwanzigsten Jahrhundert eben nicht nur dort befragt, wo Andy Warhol mit dem Sieb in seiner Factory Dollarnoten auf die Leinwand drucken ließ. Sondern auch da, wo Künstler in der Nachfolge von Marcel Duchamp und seine als Ready-mades in die Kunst geschleusten Alltagsgegenstände aufhörten, Dinge zu produzieren. Als Dada, Aktionskunst, Happening nur noch auf den Moment zielten - und der Nachwelt häufig nicht mehr als Relikte ihrer Aufführungen hinterließen - blutbeschmierte Leinwände, Fotografien, Filme oder Videos. Das meiste ließ sich nicht einmal signieren - und auch wenn ein Hermann Nitsch irgendwann das Blutrot seiner Rituale und Mysterienspiele auf Leinwand auswalzte und signierte, so kümmerten sich Kollegen wie Günter Brus oder Rudolf Schwarzkogler nicht vordringlich darum, der Welt auch Objekte zu hinterlassen.

Andere, wie Gustav Metzger, boykottieren grundsätzlich die Zusammenarbeit mit dem Kunstmarkt und fordern eine Autodestruktive Kunst, die keine Dauerhaftigkeit beanspruchen darf: Auch Monumente und Denkmäler sollten sich, bestenfalls durch Rost und Verfall, nach ein bis spätestens zwei Dekaden auflösen.

Die Konzeptkunst der Sechziger- und Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts befreite sich endgültig vom Objekt. Künstler wie Lawrence Weiner, Robert Barry oder Joseph Kosuth dematerialisierten die Kunst - ihnen war die Idee allein genug. Ian Wilson ging so weit, das gesprochene Wort allein zum Werk zu erklären, wobei diese Gespräche eben weder aufgezeichnet noch veröffentlicht werden durften. Lediglich ein vom Künstler signiertes Zertifikat über Zeit und Ort des Geschehens konnte käuflich erworben werden.

Doch auch dafür brauchte es Mitspieler, die bereit waren, Geld einzusetzen und die Werke als solche anzuerkennen. Die Geschichte der Sammlung Daled, die im Jahr 2011 erstmals überhaupt ausgestellt wurde im Haus der Kunst in München, ist insofern für die Kunstgeschichte ein beispielhaftes Kapitel. Der Belgier Hermann Daled, ein Naturwissenschaftler, und seine Frau Nicole, die als Anwältin arbeitete, begegneten der Avantgarde ihrer Zeit mit großzügiger Ernsthaftigkeit und waren beispielsweise bereit, für ein einstündiges Gespräch mit Ian Wilson ein paar Tausend Franc zu zahlen oder mit Marcel Broodthaers am Strand von De Haan Burgen zu bauen, die als Sektionen des "Musée d'Art Moderne, Department des Aigles" gleich wieder von der Flut verschlungen werden. Als Niele Toroni Geld brauchte, kaufte ihm Herman Daled zwei Jahre nach einem ersten Ankauf das gleiche Bild noch einmal ab, dieses Mal zahlt er mehr, die gesteigerten Lebenshaltungskosten wurden eingerechnet.

Ist Alicja Kwades "Kohle" so wertvoll wie der aktuelle Goldkurs? Oder als Kunstwerk unabhängig vom Materialwert? Das Verhältnis von Kunst und Markt wird immer wieder in Frage gestellt. (Foto: Alicja Kwade / SOR Rusche Sammlung Oelde/Berlin)

Eine bloße Idee behauptet künstlerisch den selben Rang wie Marmor und Leinwand

Die Daleds begriffen, dass hier ein anderes Spiel gespielt wurde, das nicht nur Form und Funktionieren der Kunst und ihres Marktes unterläuft, sondern alle bisher geltenden Regeln des Warenwerts. Sie verstanden sich als Kollaborateure dieser Kunst, nicht nur, weil sie Seth Siegelaub halfen, dessen "Artist's Reserved Rights Transfer and Sale Agreement" zu übersetzen, das Künstlern Rechte auch nach dem Verkauf sichert. "Es war wichtig, das zu kaufen, für einen reellen Preis", sagt Herman Daled, "damals", im Jahr 1968, als Lawrence Weiner in drei Sätzen ankündigte, dass Kunst - Satz eins - durchaus vom Künstler realisiert werden kann, aber, zweitens, auch von anderen und, zum Dritten, gegebenenfalls auch überhaupt nicht ausgeführt werden muss. Auch wenn das Werk nur in ein paar anleitenden Sätzen oder einer Skizze bestand, behauptete es vor der Kunstgeschichte den gleichen Rang wie Marmor und Großleinwand.

Und es war zuerst an den Sammlern, diese Behauptung in der Realität einzulösen, indem sie bereit waren, die gleiche Summe für die Idee zu bezahlen, wie für ein paar Quadratmeter Öl auf Leinwand. "Ich hätte den Künstlern auch monatlich einen Betrag überweisen können", sagt Herman Daled, "aber es ging eben nicht um Anerkennung, sondern um Werte."

Seine Sammlung wurde schlussendlich geschlossen an das Museum of Modern Art verkauft - womit die Rechnung aufging: Konzeptkunst ist inzwischen anerkannt und sogar zuweilen hoch gehandelt. Ob sich die Investition für das Ehepaar Daled finanziell gelohnt hat, ist schwerer zu bilanzieren.

Wie auch fraglich ist, ob die Werke von Tino Sehgal, der sie mit den Akteuren selbst einstudiert und dann - in der Tradition des Bühnentanzes - wie eine Choreografie lebendig halten möchte, sich wirklich je werden handeln lassen. Dass die Öffentlichkeit empfindlich reagiert, wo es um Werte geht, erlebte der slowakische Künstler Roman Ondák, als die renommierte Londoner Tate Gallery ein Werk von ihm auf der Kunstmesse Frieze ankaufte: "Good Feelings in Good Times" besteht darin, dass sich eine Schlange von Menschen unerwartet formiert - innerhalb eines Museums oder auch an irgendeinem anderen Ort.

Während das Publikum Tabubrüche um Sex oder Gewalt höchstens neugierig goutiert, reagiert es empfindlich, wo es materielle Werte verletzt sieht, der Ankauf durch das Museum für ein paar Tausend Pfund war der Aufreger eines langen Kunstherbstes in den englischen Medien. Roman Ondák legte nach: "Pocket Money of my Son" besteht in einem kleinen Haufen Münzen. Die Skulptur ist, was der Titel verspricht - das Geld, das sich in der Hosentasche eines kleinen Jungen gefunden hat.

Es hängt vom Erfolg des Vaters als Künstler ab, wie hoch die Dividende auf das Taschengeld ausfallen wird, eines Tages.

"Gutes böses Geld. Eine Bildgeschichte der Ökonomie" ist eine Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (bis 19. Juni). Durchgeführt in Kooperation mit Casino, Stadtmuseum und Theater Baden-Baden. Die Süddeutsche Zeitung begleitete die Ausstellung in den vergangenen Wochen mit einer Artikel-Serie, die mit diesem Beitrag endet. Fortgeführt wird hingegen die Gesprächsreihe in Baden-Baden mit bedeutenden Ökonomen: Am 3. Mai diskutiert die SZ mit Clemens Fuest in der Kunsthalle über gutes und böses Geld, am 7. Juni mit Marcel Fratzscher über Ungleichheit. Weitere Informationen: www.kunsthalle-baden-baden.de

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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