Güterverkehr:"Langsamer als ein Eisbrecher in der Ostsee"

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Durch den Lkw-Maut will die rot-grüne Regierung den Güterverkehr auf die Schiene bringen. Doch der Anteil der Bahn am Güterverkehr durch Europa sinkt.

Lange Lkw-Schlangen an Grenzübergängen, Stillstand auf den Autobahnen und hoffnungslos verstopfte Innenstädte - wenn dem Straßenverkehr in Deutschland und Polen, in Österreich und Tschechien "Engpässe" bescheinigt werden, ist das schon heute eine Untertreibung. Und es kommt noch schlimmer: Prognosen zufolge wird sich allein der grenzüberschreitende Güterverkehr zwischen den Beitrittsländern und den derzeitigen EU-Mitgliedern zwischen 1997 und 2015 verdreifachen.

Mehr Fracht auf die Bahn, lautet deshalb die Forderung, die sich die EU-Staaten längst auf die Fahnen geschrieben haben und die auch auf der ersten euopaweiten Schienengüterverkehrs-Konferenz "EurailFreight" in dieser Woche in München wieder laut werden wird.

Doch in der wirklichen Welt des Warentransports kann davon bisher keine Rede sein.

Schon zwischen 1995 und 2001 schwoll allein die zwischen Deutschland und Polen und Deutschland und Tschechien transportierte Gütermenge von gut 40 Milliarden auf 50 Milliarden Tonnen an. Doch während der Warenverkehr auf der Straße um 46 Prozent zulegte, ging der Transport per Bahn im selben Zeitraum um drei Prozent zurück.

Der Trend geht zur Straße

Die Hoffnung, dass die EU-Osterweiterung durch die traditionelle Stärke der Bahnen in den Beitrittsländern dem Schienenverkehr in der gesamten EU zu einem neuen Boom verhelfen könnte, hat sich zerschlagen.

Eine Studie der Europäischen Umweltagentur zur Verkehrsentwicklung in den Beitrittsländern kam im vergangenen Jahr zu erschreckenden Ergebnissen: Auch dort geht nun - wie seit langem in der EU - der Trend weg vom Güterzug und hin zum Lastwagen.

Das hat viele Gründe: Die Handelsströme haben sich zunehmend Richtung Westen verlagert, wo das Schienennetz weniger dicht ist. Zum Erhalt oder Ersatz von veralteten Waggons und maroden Gleisen fehlt das Geld. Schließlich dringen immer mehr private Autobesitzer und Spediteure auf den vorrangingen Ausbau der Straßen - und nicht der Schienenwege.

Güterzügen, die Grenzen überqueren, werden überdies massive Hindernisse in den Weg gestellt: Lokomotiven und Lokführer müssen gewechselt werden, endlose Kontrollen fallen an - das gilt selbst innerhalb der EU. In ihrem Weißbuch zum Verkehr bemängelte die Europäische Kommission im September 2001, mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 18 Kilometern pro Stunde seien Güterzüge im grenzüberschreitenden Verkehr "langsamer als ein Eisbrecher in der Ostsee".

Ohne schnelle politische Gegenoffensive werde deshalb nach der EU-Osterweiterung die gesamte zusätzliche Güterlawine "auf der Straße über uns hereinbrechen", warnt Dirk Flege, Geschäftsführer der Initiative Allianz pro Schiene, der neben Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherverbänden auch Wirtschaftskonzerne wie Siemens und die Deutsche Bahn angehören. Die Folgen für Menschen und Umwelt - mehr Lärm, mehr Abgase, mehr Unfälle - wären aus seiner Sicht "katastrophal". Auch die volkswirtschaftlichen Kosten wären immens.

Schon heute verursacht der Dauer-Stau auf Deutschlands Straßen pro Jahr nach Schätzungen Schäden im Umfang von 100 bis 130 Milliarden Mark. Dringend müssten Schienenverbindungen nach Osten geplant und gebaut werden, fordert Flege. Doch seien im gesamten Bundesverkehrswegeplan für Schienenprojekte nach Polen und Tschechien bis 2015 nur 266 Millionen Euro vorgesehen - "das ist ein Witz".

Hochgeschwindkeitsnetz existiert nur auf Plänen

Aber nicht nur in Deutschland hakt es. Auch die Europäische Union ist von ihrem ehrgeizigen Ziel, den Anteil der Schiene am Frachtverkehr von derzeit acht Prozent bis 2020 auf 15 Prozent anzuheben, noch weit entfernt.

Ebenso wie der überwiegende Teil des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes TEN-T existiert dessen 100 Milliarden Euro teure Ausdehnung nach Osten, genannt TINA, bislang fast ausschließlich auf dem Papier - "und bei der Schiene kommt man noch langsamer voran als bei der Straße", seufzt Flege.

"Den Güterverkehr auf der Straße durch eine europaweit einheitliche Lkw-Maut teurer machen und mehr Geld in den Ausbau der Schienennetze stecken", fordert deshalb Daniel Kluge vom Verkehrsclub Deutschland. "Das wäre sinnvoller, als mit EU-Mitteln mehrspurige Schnellstraßen in kleine portugiesische Dörfer zu bauen.

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