Gründerzeiten:Futter für die Einhörner

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Das Software-Unternehmen Celonis ist eines der wenigen heimischen Unicorns. Davon braucht es mehr in Deutschland.

Von Elisabeth Dostert, München

So richtig kann Bastian Nominacher den Erfolg seiner Firma selbst nicht fassen. Mitte 2011 gründete der heute 34-Jährige gemeinsam mit Alexander Rinke und Martin Klenk das Münchner Softwareunternehmen Celonis. Es analysiert die Daten und digitalen Spuren, die jeder Vorgang in einer Firma hinterlässt, identifiziert die Schwachstellen und gibt Handlungsempfehlungen. "Mit unserer Software lassen sich Prozesse effizienter gestalten. Das spart Geld und Ressourcen", sagt Co-Vorstandschef Nominacher.

Im Fachjargon heißt das Process Mining. Die Firmen sind wie Minen und die Daten die Rohstoffe, die es zu schürfen und zu veredeln gilt. Zu den mehr als 600 Kunden von Celonis zählen Konzerne wie BMW oder Lufthansa, Mittelständler, aber auch US-Firmen wie der Fahrdienstvermittler Uber. "In unserer Cloud verarbeiten wir täglich rund 50 Millionen Datensätze für Uber. Ein einziger kann mehrere Terabyte groß sein. Das ist ein sehr komplexes System", sagt Nominacher. Ein paar "verschenkte" Sekunden bei der Vermittlung eines Fahrdienstes oder - wie bei der Lufthansa - der Abfertigung eines Flugzeuges summieren sich bei Tausenden Vorgängen auf Stunden und Tage.

Celonis beschäftigt mittlerweile mehr als 800 Mitarbeiter. Allein im Geschäftsjahr 2018/2019, das im Mai endete, hat sich die Zahl verdoppelt. Der Auftragseingang überschritt 100 Millionen Dollar. Die ersten Jahre finanzierten die drei Gründer das Wachstum aus der eigenen Tasche, auch weil die Firma von Anfang an profitabel arbeitete. Im Sommer 2016 steckten die Investoren Accel, 83North und einige Business Angels zunächst 27,5 Millionen Dollar in die Münchner Firma. Im Sommer 2018 gaben Accel und 83North noch einmal 50 Millionen Dollar und machten Celonis zum Unicorn, das sind Start-ups, die Investoren mit mehr als einer Milliarde Dollar bewerten. Celonis ist eines der wenigen deutschen Unicorns. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren allerdings gestiegen, weil es einige größere Finanzierungsrunden gab.

Julian Kawohl, Professor für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin, nennt dafür mehrere Gründe. Immer noch sei "sehr viel Kapital" vorhanden, was investiert werden muss, davon profitieren dann auch die ganz großen Start-ups. Deutsche Gründerteams haben Kawohl zufolge bewiesen, dass sie "skalieren" können und die internationalen Investoren trauen ihnen zu, dass sie das auch im globalen Maßstab tun können. Und der dritte Grund: Immer mehr etablierte Unternehmen bauen eigene Unicorns auf, die ihnen ganz oder teilweise gehören. Einer dieser "Zwitter", wie Kawohl es nennt, ist zum Beispiel Nucom Group, in der die Sendergruppe Pro Sieben Sat1 Anfang 2018 ein knappes Dutzend Beteiligungen einbrachte, darunter den Erotik-Versandhändler Amorelie, das Vergleichsportal Verivox und die Partnervermittler Elite Partner und Parship.

Die Voraussetzungen für Unicorns sind nach Ansicht von vielen Experten in Deutschland eigentlich nicht schlecht. Das sieht auch Celonis-Mitgründer Nominacher so. Es gebe viele gut ausgebildete Menschen und talentierte Ingenieure. "Die Hochschulen sind mein wichtigster Lieferant, weil wir unsere gesamte Technologie selbst entwickeln." Auch die Gründerszene habe sich gut entwickelt. 2011 sei er der Einzige in seinem Jahrgang gewesen, der eine Firma gründete. "Heute arbeiten viele meiner damaligen Kommilitonen in wichtigen Positionen bei Start-ups." Nominacher hat an der TU München Wirtschaftsinformatik, Finanzmathematik und International Business studiert. In der studentischen Beratungsfirma Academy Consult München e.V. lernte er seine Mitgründer kennen. In einem Projekt für den Bayerischen Rundfunk optimierten sie die Kundenbetreuung. Daraus entwickelten sie die erste Version ihrer Software.

Mittlerweile gibt es die fünfte Generation, die sogenannte Celonis Intelligent Business Cloud. Die Kunden erwerben Lizenzen für die Nutzung. Diese eignen sich insbesondere für Unternehmen mit einem Umsatz ab etwa 200 bis 300 Millionen Euro. Mit Celonis Snap stellt das Unternehmen seit April eine abgespeckte Version für jedermann kostenlos zur Verfügung. Sie wird mittlerweile bereits von über 5000 Teams weltweit verwendet. Über die App kann dann auch die kleine Pizzeria ihre Prozesse analysieren und optimieren. Warum etwa die Auslieferung einer über die Internetseite bestellten Pizza ein, zwei Minuten länger dauert als die Bestellung per Telefon. Laut Nominacher haben bereits mehr als eine halbe Million Nutzer die kostenlose App heruntergeladen.

Die Dynamik des Wachstums hat die Gründer überrascht. Dabei steckt der Ehrgeiz im Namen

"Als wir anfingen, uns mit dem Thema zu beschäftigen, dachten wir die Software sei vielleicht ein guter Nebenerwerb", sagt der Gründer. "Die Dynamik des Wachstums hat uns selbst überrascht." Dabei steckt der Ehrgeiz schon im Namen. Zelos, das ist ein griechischer Gott, der das eifrige Streben personifiziert. "Zelonis klang dann ein wenig gefälliger", erzählt Nominacher, und dieser Name stand auch anfänglich in den Gründungsdokumenten für den Notar. Die Schwester eines Mitgründers habe das Team dann darauf hingewiesen, dass sie mit einem Z als Anfangsbuchstaben in allen Rankings und Internetsuchen ganz hinten landen. So wurde aus dem Z ein C. "Wir haben das handschriftlich einen Tag vor dem Notartermin geändert."

Die Experten des Marktforschungsunternehmens Gartner halten Process Mining für einen der großen disruptiven Trends. Und der Markt sei noch lange nicht ausgeschöpft, sagt Nominacher: "Wir stehen erst am Anfang." So fällt auch sein Urteil über den Stand der digitalen Transformation in Deutschland nicht gut aus: "Unzureichend." Die meisten Firmen würden ihren Datenschatz nur zu fünf bis sieben Prozent heben. "Die deutschen Firmen adaptieren neue Technologien eher langsam", sagt er. Viel aufgeschlossener seien Unternehmen in den USA.

"Wir haben nicht geplant, ein Unicorn zu werden", erzählt Nominacher. Den Begriff habe es auch 2011 noch gar nicht gegeben. Tatsächlich soll die Investorin Aileen Lee, Gründerin des Kapitalgebers Cowboy Ventures, 2013 das Wort zum ersten Mal für die kostbarsten Jungunternehmen verwendet haben. Sie wollte "eine Sache beschreiben, die wir alle gerne machen würden - eine Firma gründen, für sie arbeiten oder in sie investieren, die die beste der besten ist", sagte Lee später im Interview. Auch Nominacher wirkt so, als könne er sich nichts Besseres vorstellen. Die Gründer halten ihm zufolge immer noch den Großteil der Unternehmensanteile und denken nicht ans Aufhören. "Wir wollen Celonis richtig groß machen", sagt Nominacher. Man könnte auch sagen: noch größer.

© SZ vom 12.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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