Gründer:Stimmungsbarometer

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Kristina Wilms entwickelte eine App, die Menschen mit einer Depression Unterstützung bietet. Die junge Gründerin weiß, wie schwierig der Kampf gegen diese Krankheit ist: Sie hat viele Jahre selbst darunter gelitten.

Von Marlene Thiele, München

Kristina Wilms ist ganz offen, was ihre Seelenlage anbelangt: "Eigentlich war ich schon immer sehr unglücklich." Es ist inzwischen sechs Jahre her, dass sie sogar in eine Klinik ging, weil sie ihre Traurigkeit nicht mehr ausgehalten hat. Die Ärzte diagnostizierten damals eine chronische Depression. Im Nachhinein weiß Wilms, dass sie schon zuvor jahrelang depressiv war, sich aber nicht überwinden konnte, zum Arzt zu gehen. "Wer über einen längeren Zeitraum Bauchschmerzen hat, sucht sich professionelle Hilfe. Bei einer Depression ist dieser Schritt riesig."

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass allein in Deutschland vier Millionen Menschen unter einer Depression leiden. Viele der Betroffenen gehen nicht zum Arzt, aus Angst, als labil oder nicht belastbar stigmatisiert und im Beruf ausgegrenzt zu werden. Oder weil ihnen schlicht die Kraft fehlt. Kristina Wilms findet das schade - aus eigener Erfahrung. Sie wünscht sich, dass die Depression als eine normale Krankheit wahrgenommen wird, die man heilen oder zumindest in den Griff bekommen kann. Die 31-Jährige möchte Betroffene unterstützen. Aus diesem Grund entwickelte sie Arya.

Das Programm liefert auch Anregungen für Aktivitäten

Das Hauptelement der Selbsthilfe-App ist die Selbstbeobachtung: Im selbstgewählten Rhythmus hält der Nutzer seine Stimmung fest, notiert körperliche Symptome und beschreibt seine aktuelle Situation und seine Gedanken. "Wie bei der kognitiven Verhaltenstherapie geht es darum, sich selbst zu reflektieren und Verhaltensmuster zu erkennen", sagt Wilms. Sie hat selbst während ihrer Therapie Fragebögen ausgefüllt. "Ich fand das furchtbar unpraktisch und indiskret, die Zettel immer mit mir herumschleppen zu müssen, und dachte mir damals schon, dass es eine technische Lösung dafür geben müsste."

Der Ansatz führte Kristina Wilms nach erfolgreich abgeschlossener Therapie zu einem Hackathon, einem organisierten Event, bei dem Teams innerhalb weniger Tage eine Software programmieren. Dort lernte sie Purcy Marte kennen. Der Architekturabsolvent wollte seine Fähigkeiten für etwas Sinnvolles einsetzen. "An dem Wochenende haben wir einen Prototyp der App entwickelt, und Purcy und ich haben beschlossen, ein Unternehmen zu gründen", sagt Wilms. Arya App ist kostenlos im iTunes-Store erhältlich. Das Team aus inzwischen vier Leuten finanziert sich über Crowdfunding und diverse Sponsoren.

Ihr Ansatz: Arya wurde für als Unterstützung während einer ganz realen Therapie entwickelt. Auf keinen Fall dürften sich Betroffene auf die App verlassen, sagt Wilms. Ein weiteres Element der App ist deshalb die sogenannte Psychoedukation, durch die die Nutzer umfassender über die Krankheit informiert werden. Außerdem schlägt Arya ihnen verschiedene Aktivitäten vor, die das Wohlbefinden steigern. Etwa einen Ausflug ins Grüne, Kaffeetrinken, ein Telefonat mit einer Freundin - alles ist natürlich individuell einstellbar, denn nicht jedem Menschen gefallen die gleichen Dinge. Kristina Wilms selbst hilft sich mit Bewegung, sie geht jeden Morgen joggen. Inzwischen fühlt sie sich stabil: "Ich habe meine Konfliktfelder gefunden, und weiß, wie ich mit ihnen umgehen kann." Trotzdem achtet sie auf sich und hat sich noch ein paar der verordneten Therapiestunden aufgespart, quasi für den Notfall. Denn bei zwei von drei Betroffenen kehrt die Depression im Lauf ihres Lebens zurück. In diesem Jahr startet ein Forschungsprojekt, um die App so zu optimieren, dass sie Rückfälle erkennt. "In etwa zweieinhalb Jahren soll eine künstliche Intelligenz bemerken, wenn es dem Nutzer schlecht geht, und ihm ganz individuelle Vorschläge machen, um damit umzugehen", sagt Wilms. Denn Betroffene merken das meist erst, wenn die depressive Episode sie schon wieder gefangen hat.

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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