Größter zivilrechtlicher Wirtschaftsprozess:Richter bringt Telekom in die Defensive

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Der Vorsitzende der Frankfurter Landgerichtskammer zweifelt am Verfahren für die Bewertung der Immobilien beim Börsengang.

Von Gerhard Hennemann

Zum Auftakt des bisher größten zivilrechtlichen Wirtschaftsprozesses in Deutschland, bei dem es um einen Streitwert von etwa 100 Millionen Euro geht, wurden die Anwälte der klagenden T-Aktionäre sowie der beklagten Deutschen Telekom AG mit einer ersten vorläufigen Einschätzung des Gerichts in den zentralen Punkten des Verfahrens konfrontiert, das zunächst in zehn Musterverfahren weitergeführt werden soll.

Aufgrund der großen Zahl der Beteiligten wird es einige Zeit dauern, bis die mündliche Verhandlung fortgesetzt werden kann. Erst nach längerer Diskussion konnten sich alle Seiten auf 21. Juni 2005 als nächsten Termin verständigen.

Um der Klageflut Herr zu werden, bemühte sich der Vorsitzende Richter beim Landgericht Frankfurt, Meinrad Wösthoff, zunächst gemeinsam mit den Prozessbeteiligten um eine - wie er sagte - "rote Linie", um das Verfahren überhaupt praktikabel zu machen. Das Aktenvolumen entspreche ziemlich genau dem Pensum einer Kammer für die Dauer von zehn Jahren, betonte Wösthoff.

Da jeder Kläger in Deutschland Anspruch auf ein individuelles Verfahren habe, sei dem Gericht zunächst nichts anderes übrig geblieben als inhaltsähnliche Klagen zunächst im Rahmen von zehn Musterverfahren zu bündeln und bis dahin die übrigen Einzelklagen zunächst ruhen zu lassen.

Wösthoff schlug dabei den Parteien vor, die Musterverfahren gleich vor der nächsthöheren Instanz - dem Oberlandesgericht Frankfurt - zu führen und zuvor lediglich die zu klärenden Fragen festzulegen.

Kurssturz der T-Aktie

Aus der Sicht des Kammervorsitzenden steht dabei eindeutig der Vorwurf im Vordergrund, dass die Telekom noch unmittelbar vor ihrem dritten Börsengang Mitte 2000 ihr Immobilienvermögen zu hoch bewertet und mit der kurz darauf folgenden Wertberichtigung maßgeblich zum Kurssturz der T-Aktie in den Folgemonaten beigetragen habe.

In einer ersten vorläufigen und vorsichtigen Einschätzung sei auch die Kammer nach Sichtung aller Akten der Kläger und der Beklagten zu der Auffassung gelangt, dass sich der Bonner Konzern nicht ohne weiteres auf die Rechtmäßigkeit der von ihm angewandten Bewertung berufen könne.

Das so genannte Clusterverfahren, das man bei der Aufstellung der Gründungsbilanz der Deutschen Telekom AG Anfang 1995 bei rund der Hälfte der Konzernimmobilien angewandt habe, sei weder aus Zeit- noch aus Kostengründen zwingend notwendig gewesen.

Er habe ähnliche Schwierigkeiten mit dieser Bewertung wie offenbar die Bonner Staatanwaltschaft, die sich mit diesem Problem schon seit Jahren herumschlage, sagte Wösthoff.

Es sei keine Rechtsgrundlage erkennbar, dass die Telekom hier von der zwingenden handelsrechtlichen Vorschrift der Einzelbewertung habe abweichen dürfen.

Wösthoff legte jedoch Wert auf die Feststellung, dass sich das Clusterverfahren, mit dem Gruppen ähnlich strukturierter Immobilien pauschal bewertet wurden, nicht zwangsläufig zu signifikant falschen Ergebnissen habe führen müssen.

Es sei jetzt die Aufgabe der Kläger, dies nachzuweisen und damit ihren Schadensersatzanspruch zu begründen. Für eine Beweislastumkehr sehe er jedenfalls keinen Grund, so dass die Kläger im Falle einer umfänglichen Beweisaufnahme mit einem Kostenrisiko bis zu 20 Millionen Euro rechnen müssten.

Vergleichsweise geringe Chancen sieht Wösthoff bei einer Reihe zusätzlicher Klagen, die sich zum Teil persönlich gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Ron Sommer, gegen den Großaktionär Bund, gegen die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie gegen die Deutsche Bank als Konsortialführer des Börsengangs 2000 richten.

Bei den meisten dieser Klagen - angefangen von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Gründungsbilanz von Anfang 1995 über den umstrittenen Voicestream-Erwerb bis hin zu den von einigen Aktionären als verschwiegenes Risiko eingestuften Erwerbs der UMTS-Lizenzen - ist nach Einschätzung des Richters nur äußerst schwer ein relevanter Zusammenhang mit der späteren Kursentwicklung der T-Aktie herzustellen.

Auch hier liege die Beweislast eindeutig bei den Klägern und nicht bei der Telekom. Dies gelte auch für die Behauptung einiger Kläger, dass sich die Telekom im Börsenprospekt als ein Unternehmen "mit staatlichem Netz" und somit als relativ risikoarm präsentiert habe.

Auch für die Anschuldigung, die Telekom habe ihre Umsatz- und Ertragseinbußen nach der Marktöffnung Anfang 1998 verharmlost und dadurch die Anleger getäuscht, gebe es im Börsenprospekt keine Anhaltspunkte.

© SZ vom 24.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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