Grand Theft Auto IV:Neuerfindung einer Erfindung

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Es gibt nichts in der globalen Unterhaltungsindustrie, das dem Verkaufserfolg von GTA IV am Tag der Veröffentlichung gleichkäme: Mit einem Computerspiel lässt sich viel mehr Geld verdienen als mit einem Kinofilm.

Bernd Graff

Wenn sich das Computerspiel Grand Theft Auto IV an nur einem Tag 3,6 Millionen Mal verkauft, dann müssen die Werbe- und PR-Abteilungen des Spieleproduzenten wohl sehr viel richtig gemacht haben. Zumal es sich eigentlich nicht um eine besonders neue Erfindung handelt.

Millionenseller: das Computerspiel GTA IV (Foto: Foto: AP)

Denn tatsächlich ist dieses Spiel, abgekürzt GTA IV oder GTA 4, nicht die vierte, sondern bereits die neunte Lieferung aus der seit 1997 bekannten Grand-Theft-Auto-Reihe. Insgesamt wurden schon 65 Millionen GTA-Titel weltweit abgesetzt. Dem Hersteller "Rockstar Games", einem Tochterunternehmen des Softwareverlags "Take 2 Interactive", gefällt es allerdings, nur seine mutmaßlich großen Würfe fortlaufend zu nummerieren. Und ihr vorerst letzter ist wirklich groß.

Denn es gibt nichts in der globalen Unterhaltungsindustrie, das dem Verkaufserfolg von GTA IV am Tag der Veröffentlichung gleichkäme. Und deswegen konnte Strauss Zelnick, der Vorstandsvorsitzende von "Take 2 Interactive", mit dem Räuspern des Understatements verkünden: "Unseres Wissens hat keine Neuerscheinung im Bereich Film oder Musik jemals bessere Zahlen eingespielt."

In der Tat: Den geschätzten 310 Millionen-Umsatz für das Spiel am "Tag eins" stehen etwa 35 Millionen Erst-Tages-Einnahmen des ebenfalls scheppernd angekündigten Kinofilms "Iron Man" der Paramount Pictures gegenüber - der also kaum mehr als ein Zehntel eingebracht hat. Im Wochenverlauf bessert sich diese Relation für den Film mit fast 122 Millionen Dollar Einnahmen gegenüber den 500 Millionen Dollar für das Spiel. Doch muss man eine halbe Milliarde Dollar Wochen-Umsatz für ein einzelnes Computerspiel erst einmal verkraften.

Blockbuster, die den Namen verdienen, sucht man künftig wohl besser in der Computerspielbranche. Zumal GTA IV anscheinend auch noch sehnsüchtig erwartet wurde. Denn über die Hälfte der sechs Millionen verkauften Exemplare der ersten Woche gingen am Erstverkaufstag über die Ladentheken - zu einem Zeitpunkt also, da noch niemand das Spiel kannte und Erfahrungsberichte kaum eine Rolle gespielt haben können.

Vorbereitet auf das Spiel war die Klientel indes: In kaum einer Metropole der westlichen Hemisphäre wird in diesen Tagen nicht mit exorbitanten Werbemitteln auf das Spiel hingewiesen. Fassadenhoch ist etwa die Figur Lola zu sehen, ein lasziv naschendes Lollipop-Girl - das in den weiten Arealen des Spiels allerdings nicht aufzufinden ist. Weswegen eine Internet-Community bereits den "Findet-Lola!"-Preis ausgelobt hat.

Die analoge Welt spielt nun ein Spiel, das nicht als jugendfrei gelten kann - und hierzulande auch "Ohne Jugendfreigabe" eingestuft wurde. Es ist noch erschwinglich: In den USA kostet es 60 Dollar, hierzulande sogar 65 bis 70 Euro, je nach Konsolenversion. Gut und gerne so viel wie acht Kino-Karten.

Die New York Times, die ja auch eine Lokal-Zeitung der Stadt New York ist, schreibt in ihrer Rezension von GTA IV unumwunden: "Liberty City ist so akribisch gebaut, dass es fast wie New York riecht." Erstaunliche Eindrücke von einer synthetischen Urbanität. Düster, das ist sie allerdings. Denn das auch diesmal wieder von den regieführenden Produzenten Sam Houser und Dan Houser entworfene Szenario zeigt New York von seiner schlechteren Seite. Auch wenn der reale Karl Lagerfeld angeblich als DJ Karl die im Spiel anwählbare Radiostation K109 moderiert. Man erfährt aber vor allem - im Wortsinn - die Abenteuer des Immigranten Nikolai "Niko" Bellic in "Liberty City".

Denn die Geschichte des Serben Niko kommt einem ausufernden Verschleiß von Vehikeln aller Art gleich, in deren Besitz er nur selten legal gelangt ist. So durchkreuzt er die Nachtschattenseiten der Metropole, um abwechselnd der russischen und der italienischen Mafia sowie Gangs anderer Provenienz in zweifelhaften Aufträgen zu dienen. Es wird also gemordet, gedealt, gehurt und gestohlen - ganz so, als ob man konventioneller Fernseh-Unterhaltung, etwa der Serie "24", beiwohnen würde. Nur dass man in einem Computerspiel seinen Agenten selber steuert - ein quasi erlebter Flirt mit dem Verbrechen, der nicht unwesentlich zum Thrill der Serie beiträgt.

Und doch steckt - anders als in dem TV-Serie - in GTA IV auch eine gehörige Portion Satire. Hinter dem Willen, die Stadt so perfekt wie möglich zu zeigen, ist immer auch der Spott seiner Produzenten erkennbar, denen nichts und niemand heilig ist - vor allem nicht der amerikanische Traum. Und so treiben sie ihr Spiel mit einem Spiel, das einen eigentlich schon längst überalterten Markt neu erfunden hat.

© SZ vom 10.5.2008/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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