Google:Genieße und arbeite

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Die Väter der Suchmaschine haben ihren Mitarbeitern bislang extremen Luxus gegönnt. Mit dem Börsengang des Unternehmens wird das schwieriger.

Von Antonie Bauer

Das Schlaraffenland der Moderne verbirgt sich in einem unauffälligen Ensemble in Mountain View, mitten im Silicon Valley. Dort liegt der Googleplex, die Zentrale der weltberühmten Suchmaschine und eine der letzten Bastionen der gelebten Liebe zu Mitarbeitern.

Brin und Page — die Gründerväter von Google. Foto: AP (Foto: N/A)

Den Männern und Frauen hier fliegen zwar nicht die gebratenen Täubchen in den Mund, aber sie können sich problemlos durch den Tag schlemmen. Statt Kantinenfraß gibt es Feinschmeckerkost, und die Kaffeeküchen borden mit Naschwerk vom Müsliriegel bis zur Apfelkaramelle schier über.

Mitarbeiter werden massiert

So mancher Club bietet seinen Feriengästen auch nicht viel mehr als Google seinen Mitarbeitern: kostenlose Massagen und Yoga, einen Fitnessraum samt Sauna, einen Billardtisch und Rollerhockey-Spiele beispielsweise.

Damit aber ist die Liste der Vergünstigungen, mit denen das Unternehmen neue Arbeitskräfte lockt und alte motiviert, noch lange nicht zu Ende.

Google lässt den Zahnarzt gratis ins Haus kommen, es hütet Kinder, organisiert Skiausflüge und unterstützt sogar Adoptionen finanziell.

All das ist vermutlich ein Klacks im Vergleich mit den Aktienoptionen für Mitarbeiter, die so manchen bald zum Millionär machen könnten.

Schön für die Beschäftigten - aber auch für den Rest der angehenden Aktionäre? Immerhin will die weltgrößte Suchmaschine in einigen Monaten an die Börse gehen und Geld von Anlegern einsammeln.

Doch wie sie es ausgibt, will sich das Management offenbar nicht vorschreiben lassen. In einer ungewöhnlichen "Gebrauchsanleitung" haben die Gründer Larry Page, 31, und Sergey Brin, 30, die Investoren gewarnt, dass sie auch künftig ganz sicher nicht auf Kosten der Belegschaft sparen werden.

"Ihr könnt erwarten, dass wir im Lauf der Zeit eher noch zusätzliche Leistungen anbieten als die alten kürzen", schreiben die jungenhaften Stanford-Absolventen, die mit dem Börsengang in den Club der Milliardäre aufrücken dürften.

Das finden nicht alle Anleger witzig. Hinter vorgehaltener Hand fallen auch schon mal Begriffe wie "Selbstbedienungsmentalität".

Nicht zeitgemäß

Pia Hellbach etwa, Fondsmanagerin bei Union Investment, fühlt sich fatal an die Tage der Internet-Blase erinnert, als Firmen noch mit dem Geld anderer Leute um sich warfen, um die eigenen Mitarbeiter zu verwöhnen: "Es schaut so aus, als ob man den Geist der damaligen Zeiten aufleben lässt. So geht es nicht, das ist nicht zeitgemäß."

Auf das Geld, das man Hellbach anvertraut hat, werden Brin und Page demnach wohl verzichten müssen: "Wenn sie dabei bleiben, ist die Aktie für uns nicht interessant."

Hauptsache, die Bezüge stimmten insgesamt, meint dagegen DWS-Fondsmanager Frederic Fayolle: "Wenn sie die Besten der Besten locken wollen, müssen sie auch was bieten."

Keine Zeit fürs Billard

Die Latte liegt bei Google hoch. Nur wenige der vielen Tausend, die Woche für Woche hoffnungsfroh ihre Lebensläufe schicken, werden sich künftig rund um die Uhr an kostenlosen Müsliriegeln laben können.

Nun ist es nicht so, dass sich die Googler, wie sie sich selbst nennen, ständig dem süßen Leben hingäben. Am frühen Nachmittag ist der Billardtisch ebenso verwaist wie der Fitnessraum. Einige Männer und Frauen genießen noch die letzten Bissen ihres Mittagessens, die meisten sitzen schon längst wieder am Schreibtisch.

20 Prozent Zeit zum Spinnen

Manche tüfteln an neuen Ideen, die dem Unternehmen vielleicht einmal Millionen bringen werden — wahrscheinlich aber gar nichts. 20 Prozent seiner Arbeitszeit darf jeder Googler auf selbst gewählte Zukunftsprojekte verwenden, die mit dem Tagesgeschäft nichts zu tun haben.

Aus dieser Zeit zum freien Herumspinnen ist beispielsweise der neue Nachrichtendienst geboren. Auch das wollen sich die Gründer von Kapitalmärkten nicht verbieten lassen.

Damit hat Mark Mahaney, Analyst bei American Technology Research, wenig Probleme. Für ihn zählt, was herauskommt. Bei Google ist das viel Geld: 2003 blieben von 962 Millionen Dollar netto 106 Millionen Dollar übrig. Operativ waren es sogar 347 Millionen Dollar, doch die Steuern auf das Aktienoptionsprogramm schmälern den Gewinn.

"Angesichts der starken Fundamentaldaten sollte vielleicht jedes Unternehmen eine 20-Prozent-Regel und üppige Leistungen haben", schlägt Mahaney vor.

Anleger bleiben kühl

Googles Wachstum und Margen finden auch Kritiker eindrucksvoll. Dennoch: Viele institutionelle Anleger bleiben seltsam kühl, während der Rest der Welt im Google-Fieber glüht. Die Branche sei skeptisch, bestätigt Fayolle.

Dabei geht es nicht nur um Schlaraffenleben, Müsliriegel und kostenlose Zahnarztbesuche, es geht nicht einmal unbedingt darum, dass die Suchmaschine schon heute nicht mehr ganz so einmalig ist, wie sie es einst war. Denn Yahoo hat sein Konkurrenzprodukt mittlerweile heftig aufpoliert.

Es geht vor allem um die Kontrolle des Unternehmens. Das Management, das sich stolz zu dem Motto "Tu nichts Böses" bekennt, will sich den Gepflogenheiten der Wall Street nicht unterwerfen. Das diene der Stabilität, glauben die Väter der knapp sechs Jahre jungen Firma, die das Besondere an ihrem Baby bewahren wollen.

"Google ist kein normales Unternehmen. Wir haben nicht vor, eines zu werden", heißt es in der Gebrauchsanleitung, einem Manifest des Google-Kapitalismus.

Deshalb sollen die neuen Anteilseigner nur mit einem Zehntel der Stimmrechte ausgestattet werden, die das Management bekommt. Prognosen für die Quartalsergebnisse?

Nicht mit Page und Brin, die sich auf die lange Frist konzentrieren wollen: "Wenn ein Management-Team sich von einer Reihe kurzfristiger Ziele ablenken lässt, ist das so sinnlos, wie wenn jemand, der eine Diät macht, jede halbe Stunde auf die Waage steigt."

Mehr Transparenz

So etwas empfinden die professionellen Geldmanager als starken Tobak. Schließlich messen sie Firmen auch daran, wie sie ihre eigenen Prognosen einhalten. "Keine Quartalsziele vorzugeben, ist bei einem Unternehmen dieser Größe nicht haltbar", sagt Fondsmanagerin Hellbach und fordert größere Transparenz.

Durchhalten können Page und Brin ihren ganz eigenen Kurs zwar schon, doch es dürfte sie einiges kosten. Nach Schätzung von Fayolle könnte Google, wenn es sich nicht den üblichen Spielregeln fügt, um 20 bis 30 Prozent niedriger bewertet werden als vergleichbare Firmen. Das könnte an die zehn Milliarden Dollar ausmachen - ein stolzer Preis für etwas mehr Unabhängigkeit.

© SZ vom 08.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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