Glücksspiel:Wie Briten auf den Brexit wetten

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EU-Austritt, Theresa May, Essensrationierung - die Briten setzen auf alles und jeden. In den Wettstuben der Nation offenbart sich, woran die Insulaner glauben. Nun kommt der Volkssport allerdings in Verruf.

Von Victor Gojdka, München

Gegner und Befürworter des Brexit treffen aufeinander. (Foto: Matt Dunham/AP)

Nigel Farage war der Spaß anzusehen, als er im Frühsommer 2016 einen Wettzettel mit einem winzigen Bleistift vollkritzelte. Tausend britische Pfund setzte der Brexit-Verfechter darauf, dass die Briten beim Referendum für den Austritt aus der EU stimmen. "Ich bin hergekommen, um ein bisschen Geld zu machen", sagte Farage, grinste und reichte ein Bündel Geldscheine über die Theke.

Die Kampagnenaktion des prominenten Brexitverfechters zeigte: Die Briten wetten nicht nur auf Pferderennen oder Fußballstars, sondern auch auf politische Ereignisse. Wer auf der Insel also wissen will, wie die Chancen für einen Brexit stehen, schaut mitunter weniger in die Zeitung - als auf die Tafeln der Wettanbieter. Denn oft offenbaren die Wettquoten, wie die Briten ticken.

Die aktuellen Wettquoten bieten ein gemischtes Bild: Der Wettanbieter Smarkets bot am Freitag eine Quote von 6/4, dass das Vereinigte Königreich zwischen Mai und August aus der EU austritt. Im Klartext: Wer sechs Pfund gewinnen will, müsste vier Pfund setzen. Umgerechnet dürfte das Königreich also mit 40-prozentiger Wahrscheinlichkeit noch diesen Sommer aus dem Staatenverbund scheiden, wenn man den Spielern Glauben schenkt. In einer anderen Wette sind die Glücksritter jedoch zu mehr als 50 Prozent überzeugt, dass das Königreich an den Europawahlen im Mai teilnehmen dürfte - und sich so auf Jahre an die Union ketten würde. Einem zweiten Referendum über den Brexit billigen die Wettspieler eine Wahrscheinlichkeit von nur 28 Prozent zu. Dass es aufgrund des Brexit-Chaos zu Essensrationierungen kommen könnte, taxieren die Wettanbieter auf acht Prozent.

In Großbritannien sind Wetten ein Volkssport, auch politische Wetten haben Tradition. Schon im späten 18. Jahrhundert wettete der britische Staatsmann Charles James Fox "häufig, mit großen Summen auf die großen sozialen und politischen Erscheinungen", wie später sein Biograf schrieb. In elitären Clubs, Kaffeehäusern oder an Universitäten führten Buchmacher ihre Wettbücher. Zwischen 1910 und 1940 wetteten Banker, Broker und Unternehmer sogar an der Londoner Börse auf Wahlergebnisse. "Die Versicherungsbörse Lloyds of London bot auch Versicherungen auf das Wahlergebnis an", schreibt Glücksspielforscher Paul Rode von der Universität Michigan. Richtig populär wurden die Polit-Wetten aber erst in den Sechzigerjahren, nach ihrer Legalisierung. Allein in der Brexit-Wahlnacht 2016 setzten Spieler auf der Plattform Betfair 182 000 Wetten ab - wohlgemerkt allein in den entscheidenden sieben Stunden.

In dieser Brexit-Wahlnacht haben die Spieler schneller als andere erkannt, dass die Mehrheit der Wähler für einen Brexit gestimmt hatte. Während der Wettmarkt gegen drei Uhr nachts einen Brexit anzeigte, reagierte der Kurs des britischen Pfundes erst eine Stunde später. Und im BBC-Fernsehen sagten die Reporter erst um 4.40 Uhr einen Sieg der Brexiteers voraus. "Es sieht so aus, als hätten die Glücksspieler ein besseres Gespür gehabt, dass die Leave-Kampagne gewinnen würde", sagt Glücksspielforscher Tom Auld von der Universität Cambridge.

So unterhaltsam der Wettfimmel der Briten auch klingen mag, mancher vermutet dahinter ein graues Geschäft. Die Nachrichtenagentur Bloomberg warf schon mehrmals die Frage auf, warum Nigel Farage am Brexit-Wahlabend zuerst hatte verlautbaren lassen, es sehe nach einem Sieg der EU-Befürworter aus - obwohl er etwa um die gleiche Zeit wohl gegenteilige Daten von einer eigenen Umfragefirma bekam. Kritiker vermuten, Hedgefonds und Wettmogule in Farages Umfeld könnten Wetten auf ein fallendes Pfund oder den Brexit nach Farages Statement besonders günstig abgeschlossen haben, weil eben niemand daran glaubte. Bisher haben aber auch die Kritiker nur Indizien für ihre These vorgelegt. Mit anderen Worten: Auch ihre Vermutungen in der Causa sind lediglich Wetten.

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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