Gesundheitskarte:Geschäfte mit den Patientendaten

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Bereits 13 Monate vor der geplanten Einführung der Gesundheitskarte bringen sich die Unternehmen in Stellung — denn es geht um eine der größten EDV-Umstellung in Deutschland überhaupt.

Von Michael Kläsgen

Schon bevor die Medizinmesse Medica an diesem Mittwoch in Düsseldorf beginnt, ist klar, welches Thema das weltweit größte Forum von Interessensvertretern des Gesundheitswesen in diesem Jahr dominieren wird: die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland Anfang 2006.

Ein Grund dafür ist die Ungewissheit, ob der Zeitplan überhaupt eingehalten werden kann. Ein Aufschieben wäre nicht nur für Gesundheitsministerin Ulla Schmidt unangenehm, der daran liegt, ein Debakel à la Stolpe bei der Lkw-Maut zu verhindern.

Umstrittene Datensammlung

Natürlich will auch die Industrie Peinlichkeiten vermeiden. Zumal das Risiko des Scheiterns nicht zu unterschätzen ist: Knapp 80 Millionen Karten müssen ausgeteilt, 340.000 Ärzte, 22.000 Apotheken und 2000 Kliniken vernetzt werden.

Sinn des Ganzen ist es, Kosten zu sparen und mit der E-Karte eine Vereinfachung des Informationsaustausches zwischen Ärzten unterschiedlicher Spezialisierung und Ebenen (Hausarzt, Facharzt, Klinik) herbeizuführen. Auf der Karte werden neben den persönlichen Daten des Patienten dessen Krankenakte und Vorbehandlungen gespeichert.

Dadurch soll eine "integrierte Versorgung" ermöglicht, das heißt, Diagnosen beschleunigt und Doppeluntersuchungen vermieden werden. Angeblich werden die Daten nur mit Zustimmung des Patienten registriert. Auch das ist umstritten, Datenschützer sind bislang aber ruhig geblieben.

Für Unternehmen öffnet sich mit dem Eintritt in das neue elektronische Zeitalter, wie die Umstellung pathetisch genannt wird, ein lukrativer Markt. Deshalb bringen sich die Unternehmen, wie die Medica zeigt, bereits 13 Monate vor der geplanten Einführung in Stellung.

Die Rede ist von der größten EDV-Umstellung in Deutschland überhaupt. Die mit der Karten-Einführung verbundenen Kosten sollen etwa 1,5 Milliarden Euro betragen.

Giesecke & Devrient prescht vor

Entsprechend groß ist das Gerangel unter den Unternehmen, die ein Stück davon haben wollen. Am offensivsten hat sich bislang Giesecke & Devrient, Deutschlands größter Banknoten- und Chipkartenhersteller, hervorgetan. Das Unternehmen gab die Parole aus, mindestens ein Drittel des Chipkarten-Volumens ergattern zu wollen.

So offen werden die Ziele meist nicht genannt. Sonst werden die Gefechte eher hinter den Kulissen ausgetragen. So machte sich der Industrieverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) beim Ministerium dafür stark, doch etwas mehr Transparenz bei der Vergabe von Aufträgen walten zu lassen.

Es dürfe schon aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht so sein, dass nur bestimmte Unternehmen Zugang zu Informationen hätten. Andererseits: Irgendwann musste das Ministerium jemanden mit der Ausarbeitung der Leitlinien für die Karte beauftragen. Der Auftrag ging schließlich an ein von IBM geführtes Konsortium. Ein Nachteil für alle Unternehmen, die außen vor blieben.

Der Streit darüber, wer die grobe Richtung weisen darf, geht einher mit der Frage, wo genau die Patientendaten gespeichert werden und wer darauf zurückgreifen darf. Hieran erhitzen sich derzeit die Gemüter.

Kampf um Einnahmequellen

An der Debatte beteiligen sich vor allem auch Ärzte, Apotheker, Kliniken und Kassen. Eine Gruppe will, dass die Patientendaten dezentral gespeichert werden. Ulla Schmidt hingegen bevorzugt die Speicherung über einen einzigen zentralen Server.

Die Entscheidung darüber steht unmittelbar bevor. Ein scheinbar banaler Konflikt, hinter dem sich aber in Wahrheit der Kampf um Einflusssphären und Einnahmequellen verbirgt. Die Frage lautet konkret: Inwieweit müssen etwa die Computer in einzelnen Praxen aufgerüstet werden.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung geht davon aus, dass eine Praxis im Schnitt 2000 Euro investieren muss, um das neue Kartensystem anwenden zu können. Kosten, die die Praxen beim Ausstellen eines elektronischen Rezeptes nach und nach von den Kassen wieder hereinholen.

Ein ähnliches Geschacher findet um die elektronische Signatur statt, die dafür sorgen soll, dass die Verwendung der gespeicherten Daten geschützt wird. Auch da winkt ein lukratives Geschäft. Denn Signaturen werden noch wenig genutzt und sind daher relativ teuer.

Das Kostenszenario schwankt zwischen 70 Cent pro Nutzung und anderthalb Euro pro Jahr, plus etwa dreißig Euro Anschaffungskosten. Es bleibt also viel Gesprächsstoff für die Fachleute auf der Medica.

Erste Erfahrungen werden in den nächsten Wochen bereits Ingolstadt, Leverkusen und Flensburg machen. In diesen Pilotprojekt-Städten hat die Zukunft mit Gesundheitskarte bereits begonnen.

© SZ vom 23.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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