Gesundheit am Arbeitsplatz:Kränkelnde Studie

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Krank durch Stress? Daran glaubt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft nicht - und wird dem aktuellen Forschungsstand nicht gerecht. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft glaubt nicht an Stress am Arbeitsplatz.

Von Christoph Dorner

Am vergangenen Sonntag war Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, noch im Iran, um mit Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) eine Vertretung der bayerischen Wirtschaft zu eröffnen. Als Teil einer 100-köpfigen Delegation dürfte die Reise das gewesen sein, was Arbeitnehmer landläufig als stressig bezeichnen. Insofern erschien Brossardt durchaus geeignet, am Donnerstag eine Studie zum Einfluss von Arbeitsbedingungen auf die psychische Gesundheit vorzustellen, die seine Vereinigung beim Max-Planck-Institut für Psychiatrie in Auftrag gegeben hatte.

Der Hintergrund ist schon aus ökonomischer Perspektive ernst: Allein in Bayern beliefen sich die Lohnfortzahlungen aufgrund psychischer Erkrankungen für die Arbeitgeber im vergangenen Jahr auf 316,7 Millionen Euro. Durch Produktions- und Arbeitsausfälle entstünden Kosten in Höhe von 3,47 Milliarden Euro, sagte Brossardt. Wenig Einigkeit herrscht dagegen über die Verursacher psychischer Erkrankungen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte zuletzt wiederholt Sanktionen für Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten nicht vor Stress schützen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte deshalb im Herbst 2014 mit der Einführung einer Anti-Stress-Verordnung geliebäugelt, jedoch eine Absage von Angela Merkel kassiert. Selbst Experten wie der Arbeitssoziologe Günter Voß sind skeptisch, dass eine solche Verordnung jenseits von Grenzwerten für Schadstoffe oder Lärmbelastungen wirksam greifen könnte.

Die Studie der Arbeitgeber will versachlichen. Dabei ignoriert sie den Forschungsstand

Die als repräsentativ angekündigte Studie des Max-Planck-Instituts solle ein "wissenschaftliches Fundament" liefern, um die Diskussion um die Entstehung psychischer Krankheiten zu versachlichen, betonte Brossardt. Dies dürfte vorerst ein Wunschdenken der bayerischen Arbeitgeber bleiben, lautet der zentrale Befund doch wenig differenziert: Die Arbeitsbedingungen haben keinen nachweisbaren Einfluss auf die psychische Gesundheit. Ein Befund der nicht nur gestresste Arbeitnehmer einigermaßen staunen macht, steht er doch entgegengesetzt zu den wissenschaftlichen Ergebnissen, die von Psychologen und Soziologen in schöner Regelmäßigkeit erhoben werden. Erst 2013 hatten bei einer Studie der Techniker Krankenkasse zwei Drittel der Befragten die Arbeit als größten Belastungsfaktor angegeben.

Die Längsschnittstudie, für die nur Menschen aus München in einem Zeitraum von 20 Jahren befragt wurden, behilft sich mit der Verengung auf einen rein psychiatrischen Erklärungsansatz. Tatsächlich haben Faktoren wie Traumaerfahrungen in der Kindheit, die Neigung zu Alltagsstress oder ein anfälliges Temperament in der Psychologie eine hohe Beweiskraft. Soziale Faktoren lässt die Studie dagegen völlig außer acht, als würde das Arbeitsschutzgesetz von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht täglich vielfach unterlaufen. Den Anstieg psychischer Erkrankungen mit all ihren ökonomischen Folgekosten führt die Studie vor allem auf eine Enttabuisierung innerhalb der Gesellschaft zurück. Dagegen spricht jedoch bereits, dass Arbeitnehmer aus Angst vor beruflichen Nachteilen weiterhin davor zurückschrecken, psychische Erkrankungen dem Arbeitgeber zu melden.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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