General Motors:Es steht ernst um den behäbigen Riesen

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Der größte Autokonzern der Welt leidet unter hohen Kosten und sinkender Nachfrage - jetzt rächt sich, dass GM die Bedeutung von Marken unterschätzt hat.

Von Karl-Heinz Büschemann

Der Mann hat einen Sinn für Inszenierungen. Deshalb hat Bob Lutz das Opernhaus von Detroit für seinen Auftritt gewählt. Mit röhrendem Motorgeräusch steuert der Technik-Chef von General Motors (GM) ein silbergraues Coupé auf die Bühne.

Das über 80 Jahre alte Theater im Renaissance Stil erbebt, die mächtigen Kristalllüster vibrieren, als 16 Zylinder die 1000 PS aufheulen lassen. Lutz lässt die Tür zufallen, tänzelt um das Luxusgefährt und schwärmt vor den geladenen Journalisten über den neuen Cadillac "Sixteen": "Dieses Auto ist die moderne Übersetzung von allem, was Cadillac einst zum Weltstandard machte und wieder machen kann." Dieses Auto sei "eine Erinnerung an unsere glorreiche Vergangenheit und zugleich eine Darstellung des Fortschritts". GM werde sich "von niemandem auf die hinteren Plätze verweisen lassen".

Die Bühnenshow vom Januar 2003 sollte den Wiederaufstieg von GM, des größten Autokonzerns der Welt, einleiten. Aber nur zwei Jahre später sind die schönen Pläne verflogen. Durch Detroit geistern Gerüchte über die drohende Pleite von GM.

Wie vor vierzig Jahren

Der Autohersteller, der 320.000 Beschäftigte in 32 Ländern hat und im vergangenen Jahr weltweit neun Millionen Autos verkaufte, machte im ersten Quartel mehr als eine Milliarde Dollar Verlust. Der Konzern, zu dem die US-Marken Cadillac, Buick, Pontiac, Oldsmobile, Saturn, GMC und Hummer gehören, der in Europa die Fabrikate Opel, Vauxhall und Saab besitzt und dessen Autos in Australien den Namen Holden tragen, steckt tief in der Krise. Schwache Nachfrage, hohe Rabatte und erdrückende Ausgaben für die Gesundheitskosten der Mitarbeiter und Pensionäre drohen GM zu strangulieren.

Richard Wagoner, 52, der Chef, winkt ab. Eine Pleite stehe nicht an, sagt der groß gewachsene Mann. "Das ist Unsinn". Doch auch er kann den Eindruck nicht wegwischen, dass es ernst steht um GM.

Donnerstag vor einer Woche war wieder so ein Tag der Aufregung. Im Hyatt-Hotel von Dearborn, etwa 20 Meilen außerhalb von Detroit gelegen, hatte Wagoner vor 500 Gewerkschaftern den Ernst der Lage dargestellt.

Die hohen Kosten von 5,6 Milliarden Dollar pro Jahr für die Krankenversorgung der Mitarbeiter und Pensionäre, hätten ein Ausmaß angenommen, dass das Unternehmen bedroht sei. "Die Gesundheitslasten wachsen schneller, als wir unsere Kosten senken können."

Danach ging der Aktienkurs von GM, der schon seit fünf Jahren fällt, mal wieder auf Sturzflug. Inzwischen ist die Aktie wieder dort angelangt, wo sie schon vor 40 Jahren stand. GM ist an der Börse nur noch elf Milliarden Dollar wert. Kein Unternehmen im amerikanischen Leitindex Dow Jones ist so niedrig bewertet.

Das war anders, als Wagoner, im Jahr 2000 den Spitzenjob im 38. Stock der Firmenzentrale bezog. Damals herrschte echte Aufbruchstimmung in dem verstaubten Konzern, wo traditionell nur das Geld im Vordergrund stand und die Größe.

GM war nicht viel mehr als ein Sammelsurium verschiedener Marken, die das Unternehmen im Laufe der Jahrzehnte in der ganzen Welt zusammengekauft hatte. Jetzt sollte wieder die Technik in den Vordergrund gestellt werden, wie bei den erfolgreichen deutschen Autobauern oder bei den Japanern.

Ein Zeichen für den Kulturwandel sollte auch sein, dass der Konzern kurz vorher seine düstere Sandsteinzentrale aus dem Jahr 1922 verlassen und das 40-stöckige Renaissance Center aus Glas und Stahl am Detroit-Fluss bezogen hatte.

Der zum Himmel strebende Komplex sollte die verblichene Legende vom kraftvollen GM-Konzern wieder beleben. Zugleich sollte die glitzernde Firmenzentrale mit ihren 6000 Mitarbeitern der trostlos verfallenen City der Autostadt wieder neues Leben einhauchen, die mit dem schleichenden Niedergang der heimischen Autoindustrie zum Slum wurde.

Spaß mit der Mig

Der Neue an der Spitze erkannte seine größte Schwäche: Er war selbst nur gelernter Finanzer, der nichts von Autos verstand. Also machte er einen unerwarteten Schritt - und holte Jahr 2001 den damals 69jährigen Bob Lutz ins Haus, einen alten Haudegen der Autobranche, der längst Rentner war.

Das sorgte für gute Schlagzeilen. Denn der Schweizer ist in der US-Autoindustrie ein Superstar. Der 1,90-Hüne hatte in den sechziger Jahren schon bei GM in Detroit angefangen, war bei Opel in Rüsselsheim und verbrachte einige Jahre im BMW-Vorstand. Später war er bei Ford und Chrysler, wo er es bis zum zweiten Mann brachte.

Lutz gilt als so genannter Car Guy, als Mann mit Benzin im Blut, und das Image eines Haudegens hat er auch. Lutz, der als junger Mensch in die USA kam, war für die Amerikaner mehrere Jahre Kampfflieger im Koreakrieg. Noch heute erinnert sein kurzer Haarschnitt und seine gerade Haltung an diese Vergangenheit - und natürlich sein Militärflugzeug.

Lutz hat sich einen gebrauchten Mig-Jet aus tschechischen Rest-Beständen gekauft. Damit donnert er gelegentlich über den Erie-See oder den Staat Michigan. Ins Büro fliegt Lutz, der eine Autostunde von Detroit entfernt ein Haus im Schweizer Chalet-Stil bewohnt, im eigenen Hubschrauber. Und am Wochenende wienert er an den vielen Oldtimer herum, die in seiner Garage stehen - alle fahrbereit und stets sorgfältig an ein Batterieladegerät angeschlossen.

Lutz sorgte bei GM dafür, dass in der obersten Etage wieder über Design und PS gesprochen wurde und nicht nur über den Cash Flow. Doch inzwischen ist der Elan verpufft. Die Nachfrage nach GM-Autos geht weiter zurück. Wagoner und Lutz müssen Krisenmanagement treiben. Wenn sie die Talfahrt nicht stoppen, könnte ihre Zeit bald abgelaufen sein.

Bis in die sechziger Jahren war GM ein echter Ami-Mythos. Jedes zweite Auto, das in den Vereinigten Staaten auf die Straßen rollte, stammte von dem 1908 gegründeten Riesen, und es galt als Volksregel, dass gut für Amerika war, was General Motors nützte.

Die Qualität weggespart

Sportwagen wie die Corvette waren Kultflitzer. Spritsaufende Blechschlitten mit Heckflossen und Weißwandreifen standen für die Nachkriegs-Wundermacht. Das amerikanische Luxusauto schlechthin hieß Cadillac. Die Konkurrenten aus Europa oder Japan waren noch keine Bedrohung. Im Jahr 1978 hatte der Konzern noch 680.000 Beschäftigte.

Heute ist GM hat nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Marktanteil in den USA hat sich auf 25 Prozent halbiert und auch die Belegschaft ist nur noch halb so groß wie vor 30 Jahren. Vor allem die Japaner setzen den amerikanischen Spritsäufern seit 20 Jahren erfolgreich Autos entgegen, die nicht einmal billiger sind, aber viel weniger Sprit verbrauchen und zuverlässiger sind.

Jetzt rächen sich die Fehler der Vergangenheit. Die GM-Manager haben es nie verstanden, ihre Marken attraktiv zu halten. Bis die Kunden merkten, dass die Autos im GM-Haus einander immer ähnlicher wurden - und immer langweiliger. Oldsmobile war bald so heruntergewirtschaftet, dass GM die Marke einstellte. Jetzt muss Wagoner dementieren, dass er auch noch Buick dicht machen will.

Ähnlich trostlos ist die Entwicklung in Europa, wo GM 1928 Opel gekauft hatte. In den neunziger Jahren stürzte die Marke, die einst für Zuverlässigkeit stand, in der Kundengunst so ab, dass horrende Verluste entstanden.

Die Kostenkiller in Detroit hatten den Rüsselsheimern ihren Kern weggespart: die Qualität. Die Kunden gingen zur Konkurrenz. Opel wurde zum Sanierungsfall, in Deutschland wird gerade jeder dritte von 30.000 Arbeitsplätzen gestrichen, obwohl der Golf-Konkurrent Astra als ein gutes Auto gilt.

Noch trister geht es bei der schwedischen Marke Saab zu, die die gefräßigen Amerikaner 1989 übernahmen. GM hat es nie geschafft, die Klassiker-Marke in die Gewinnzone zu bringen. Jetzt soll eine Radikalkur helfen, die die alte Handschrift von GM verrät.

"Die haben Saab kaputtgemacht"

Aus Kostengründen werden Saab-Mittelklasseautos demnächst bei Opel in Rüsselsheim gebaut. Zum Ausgleich dürfen die Schweden ein paar tausend Cadillacs im Jahr für Europa fertigen. Für Markenexperten ist dieses Produktionsdurcheinander eine Todsünde. "Die haben Saab kaputtgemacht", sagt ein früherer Opel-Manager.

GM kann die alte Kultur offenbar nicht abschütteln. Auch Wagoner tappte in eine Falle, die für GM typisch ist, seit der Konzern den ewigen Rivalen Ford vor 1931 bei den Stückzahlen erstmals überholte und nur noch das Ziel kannte, an der Spitze zu bleiben. Das war im Jahr 2000.

Der alte Rivale schickte sich gerade an, GM wieder einzuholen. Also beschloss Wagoner, beim italienischen Konkurrenten Fiat einzusteigen. Der Pakt wurde zum Desaster. Fiat entpuppte sich als Sanierungsfall. Wagoner musste sich teuer aus dem Vertrag herauskaufen. Gesamtschaden für GM: Vier Milliarden Dollar.

Besonders tückisch war die zweite Falle, in die der Konzern nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 lief. Der Schock war groß, den Menschen war die Lust zum Autokaufen vergangen - doch GM bot patriotische Hilfe, die vor allem den eigenen Absatz steigern sollte: "Haltet Amerika in Gang", hieß das Rabatt-Programm von GM.

Es gab zinslose Kredite für GM-Autos. Die Nachfrage sprang wieder an. Die Konkurrenz musste nachziehen. Doch damit setzte GM auf dem US-Automarkt eine fatale Rabattspirale in Gang. Erst geriet Chrysler ins Schleudern, dann wurde Ford zum Sanierungsfall. Jetzt schlagen die Verluste auch bei GM ein. Der Konzern muss Fabriken schließen.

Zum Beispiel in Linden im Bundesstaat New Jersey. Am Mittwoch ertönte im GM-Werk der Stadt, die 40 Kilometer von New York entfernt liegt, die finale Sirene, als der letzte Chevrolet Blazer, ein weißer Geländewagen, vom Band lief. Die Fabrik in dem 40.000 Einwohner großen Ort macht nach 68 Jahren dicht. Schon vor drei Jahren flogen 1000 Mitarbeiter raus.

Jetzt ist ganz Schluss mit der Autofertigung, und die letzten 1000 müssen gehen. Guy Messina, ein Gewerkschafter, der 37 Jahre lang bei GM war, hat eine ganz persönliche Konsequenz aus der traurigen Schließung gezogen. Er hat sich gerade einen neuen Blazer-Geländewagen gekauft: "Den behalte ich für immer."

© SZ vom 23.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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