Spätestens um acht Uhr beginnt Michael Hinterleitners Börsentag. Der Wiener fährt seinen PC hoch, schaut auf die Tendenz der asiatischen Märkte und beobachtet die europäischen Vorbörsen. Am Abend zuvor hat er die amerikanischen Märkte analysiert und Aktien herausgesucht, deren Kursverlauf auf einen baldigen Ausbruch hindeutet.
Um neun Uhr gehen seine Orders in den Markt. Meist hält er die Positionen mehrere Tage, manchmal aber kauft und verkauft er aber auch noch am selben Tag. Seit mehr als fünf Jahren handelt der 27-Jährige ausschließlich mit Differenzkontrakten, sogenannten CFDs - und finanziert so seinen Lebensunterhalt.
CFDs sind, sowohl was ihr Risiko als auch die Notwendigkeit von Erfahrung betrifft, mit Terminkontrakten wie Futures zu vergleichen. Ungefähr 35.000 Personen handeln in Deutschland regelmäßig mit CFDs, besagt eine Studie der Steinbeis Hochschule Berlin. Experten sehen das Potential bei über 250.000 Kunden. Das per Hebel erzeugte Volumen lag 2008 bei knapp 500 Milliarden Euro - und damit trotz Finanzkrise um die Hälfte höher als im Vorjahr.
Broker wittern ein Riesengeschäft
CFDs eignen sich nach Meinung Hinterleitners auch für Privatanleger: "Sie sind einfach zu verstehen, transparent und günstig. Außerdem eignen sie sich sowohl zum Spekulieren als auch zum Absichern bereits bestehender Positionen." Gut möglich, dass Broker und Börse hier ein neues Riesengeschäft wittern: Viele Privatanleger haben nach der Lehman-Pleite viel Geld mit Zertifikaten verloren, die ihnen zuvor von Banken als sicher verkauft worden waren. Die Umsätze der Branche haben sich fast halbiert, von 140 auf knappe 80 Milliarden Euro. Da denkt wahrscheinlich mancher, dass sich den Anlegern statt Zertifikaten nun in großem Stil CFDs verkaufen lassen.
"Optionsscheine und Zertifikate sind für Trader suboptimal", sagt Hinterleitner. "Sie bilden die Bewegungen der Aktien viel zu ungenau ab. Außerdem wird bei der Kursfestlegung oft getrickst." Das sei bei CFDs anders.
Aber auch beim Handel mit diesen Derivaten kam es oft zu Problemen: Gerade aktive Privathändler beschwerten sich oft über die Broker, die ihre Order zu anderen Kursen ausführten als angezeigt. Doch eine Kontrollinstanz oder börsliche Standards für diesen Handel existierten bisher nicht.
Während Aktien an der Börse und Zertifikate beim Emittenten gehandelt werden, gab es bisher für CFDs nur den außerbörslichen Handel. Der war dominiert von angelsächsischen Anbietern. Der Broker sucht in diesem Fall für den Käufer einen passenden Verkäufer. Findet er keinen, nimmt er manchmal sogar selbst die Gegenposition ein. Dies aber macht Betrügereien bei der Kursfeststellung wahrscheinlicher. Schließlich ist in diesem Fall der Verlust des Kunden der Gewinn des Brokers.
Verlust kann das eingesetzte Kapital übersteigen
Die Einführung einer speziellen Börse soll nun Standards hinsichtlich Transparenz und Preisfeststellung setzen. Contrex heißt die Plattform der Bayerischen Börse, auf der CFDs gehandelt werden. Dort werden unter anderem Xetra-Kurse garantiert. Auch können ausgeführte Kurse rückwirkend überprüft werden.
Das Pikante am Handel mit CFDs ist: Theoretisch ist nicht nur der Totalverlust des eingesetzten Kapitals möglich, sondern sogar ein Vielfaches dessen. CFDs gibt es seit Anfang der Neunziger. Damals entwarf die Schweizer Bank UBS ein Produkt, mit dem in Großbritannien die so genannte Stempelsteuer umgangen werden konnte, die bei allen Aktientransaktionen anfällt. Der Trick: Anstatt die Aktien an der Börse zu handeln, wird mit einem Kontrahenten ein Vertrag geschlossen, in dem sich dieser dazu verpflichtet, die Differenz zwischen Kauf- und späterem Verkaufskurs in bar zu begleichen.
Daraus ergibt sich jedoch auch, dass die jeweiligen Interessenten die Aktien nicht tatsächlich kaufen, sondern lediglich eine Wette auf Kursveränderungen abschließen. Der Käufer wettet auf steigende, der Verkäufer auf fallende Kurse. Da aber gewettet wird und keine Wirtschaftsgüter den Eigentümer wechseln, müssen die Parteien, anstatt den vollen Preis zu bezahlen, nur eine Sicherheitsleistung beim Broker hinterlegen. Sie heißt "Margin" und beträgt je nach Broker zwischen einem und 30 Prozent des Aktienwerts.
Produkt für erfahrene Trader
Genau dies macht die Produkte besonders riskant. Denn durch die geringe Sicherheitsleistung entsteht eine Hebelwirkung: Wenn Aktie XY 100 Euro kostet, muss der Kunde, um einen CFD auf die Aktie zu kaufen, lediglich eine Margin von zehn Prozent hinterlegen. Also zehn Euro. Steigt die Aktie um fünf Prozent auf 105 Euro, liegt der Gewinn des Anlegers bei satten 50 Prozent - schließlich musste er ja lediglich zehn Euro investieren, um fünf Euro Gewinn zu erzielen.
Was aber passiert, wenn die Aktie fällt? Bei einem Kurs von unter 90 Euro ist die Sicherheitsleistung von zehn Euro aufgebraucht. Der Broker verlangt weitere Sicherheiten. Für den Inhaber des CFDs bedeutet dies: Läuft die Aktie in die falsche Richtung, droht mehr als der Totalverlust. Es muss sogar Kapital nachgezahlt werden.
"Ein CFD gehört in die Königsklasse der Finanzvehikel", sagt Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung der Bayerischen Börse. "Unser Angebot richtet sich deshalb auch explizit an erfahrene Trader, die über Disziplin und Expertenwissen verfügen. Es ist klar, dass es sich um ein riskantes Produkt handelt." Deswegen ist Betz nur verhalten optimistisch, was die Wachstumschancen des Marktes betrifft: "Die CFD-Umsätze werden in Deutschland wahrscheinlich gering bleiben."
Die Börse Contrex tritt nicht selbst als Wettpartner auf, sondern leitet die Aufträge an den Partner FXDirekt weiter. Kritisiert wird in Foren von CFD-Händlern zum einen die einseitige Partnerschaft mit FXdirekt, zum anderen die hohe Spanne zwischen An- und Verkaufspreis. Auf dem außerbörslichen Markt liegen diese sogenannten Spreads meist zwischen zwei und vier Cents, bei Contrex bei bis zu 14 Cents. Gerade durch die Hebelwirkung können solche kleinen Unterschiede eine große Wirkung erzielen, kritisieren Trader.