Geiz-ist-geil:Billig um die Welt

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Rund 60 Billigflieger gibt es in Europa. Die Branche boomt. Doch kleine Flugpreise können die Kosten für die Sicherheit nicht decken.

Von Sibylle Haas

Für viele war es nur eine Frage der Zeit. Jetzt ist soweit: Es gibt die ersten Billigflüge über den Atlantik.

(Foto: Foto: dpa)

99 Euro kostet ein Flug mit Condor nach Amerika, in die Karibik, nach Afrika und nach Asien. Der Preis ist ein Novum. So billig kommt kaum einer von Deutschland in die USA. Bei der Condor-Mutter Lufthansa kostet der Flug beispielsweise nach Florida gut dreimal so viel.

Wie kommt es, dass der Ferienanbieter mit einem Mal so preiswert fliegt?

Es ist der Konkurrenzdruck, das Bestreben, mit einer Sache Erster auf dem Markt zu sein.

Es sind auch hausgemachte Probleme, der Zwang, verlorene Kunden wieder an Bord zu holen. Es ist aber vor allem die Tatsache, dass immer mehr Menschen möglichst vieles am liebsten zum Nulltarif haben wollen. Was zählt, ist der Preis.

Die Passagiere wollen günstig von A nach B kommen — aus diesem anfangs als "einmalig" abgetanen Begehren ist ein Markt entstanden.

Austauschbare Ware

Auf der Kurzstrecke ist der Flug längst zur austauschbaren Ware geworden. So wie durch Massenfertigung Produktionskosten und Preise etwa von Autos gesunken sind, so nutzen auch die Billiganbieter den technischen Fortschritt.

Sie profitieren vom Internet und verkaufen ihre Tickets online. Sie haben kein Essen an Bord, keine Zeitungen, keine Fracht, bieten keine Vielfliegerprogramme, keine Lounges, keine Sitzplatzreservierung.

Sie fliegen nur mit einem Flugzeugtyp und sparen daher Kosten für Wartung und Training.

Kurz: Billigflieger profitieren von der Schlichtheit ihrer Produkte und Prozesse. Im Weglassen liegt ihr Geheimnis.

Pendelverkehr spart Geld

Sie haben gezeigt: mit dem reinen Pendelverkehr zwischen zwei Städten lässt sich enorm viel Geld sparen. Die Flugzeuge können schnell wieder umdrehen, weil sie nicht auf Anschlussgäste warten oder Fracht verladen müssen.

Auf Langstrecken kann zwar nicht all das eingespart werden, wie auf kurzen Flügen, etwa das Essen für die Gäste an Bord. Dennoch gibt es genügend Potenzial, etwa durch die einheitliche Flotte oder indem auf Überflüssiges verzichtet wird.

Flugzeuge in der Wüste

Warum boomt die Billigfliegerei gerade jetzt? Die Wirtschaftskrise hat den Anschub ausgelöst. Die Menschen flogen nicht mehr — zunächst aus Angst vor dem Terror, dann aus ökonomischen Gründen.

Auf dem klassischen Flugmarkt türmen sich deshalb immense Überkapazitäten auf. In der Wüste von Arizona stehen Flugzeuge, die derzeit nicht zu füllen sind. "Normale" Betriebe können ihre Produktionsmittel unterschiedlich nutzen: sie können heute Autos und morgen Gabelstabler bauen — und damit marktgerecht handeln.

Mit Flugzeugen lässt sich dagegen nur eines bewerkstelligen: das Fliegen. Gebrauchte Flugzeuge sind momentan deshalb billig und Piloten ohne Jobs. Da sind Neugründungen einfach. Rund 60 Billigflieger gibt es in Europa, wenn man die Mini-Gesellschaften mit ein oder zwei Maschinen mitzählt. Nicht alle sind überlebensfähig, manche sind nach wenigen Tagen schon wieder weg.

Die Kunden sind die großen Gewinner

Condor beispielsweise bekommt seine Flugzeuge mit den Gästen von Reiseveranstaltern alleine nicht voll. Deshalb wird der Verkauf von Flugtickets über Billigangebote forciert. Das soll die Auslastung der Maschinen steigern und ist auch für die Veranstalter-Kunden vorteilhaft.

Die müssen seit der Krise manchmal mehrmals zwischenlanden, um weitere Touristen an Bord zu nehmen, damit sich die Flieger füllen.

Fliegen wie Taxifahren

Doch wohin kann es führen, wenn die Dinge an Wert verlieren? Wo endet es, wenn ein Flug so viel kostet wie Taxifahren und es deshalb mal eben zum Lunch nach Nizza oder zum Shopping nach Mailand geht?

Billigangebote verführen zu Flügen, die unter bisherigen Umständen nicht gemacht worden wären. Es ist aber unbestritten, dass der Flugverkehr wie jedes Verkehrsmittel zum Treibhauseffekt beiträgt. Er belastet die Umwelt außerdem durch Lärm.

Kein wirtschaftlich denkender Mensch würde den Flugverkehr abschaffen wollen. Denn der Welthandel hängt maßgeblich von der Luftfahrt ab, die deshalb wichtiger Motor für den Wohlstand der Menschen ist. Doch welchen Beitrag dazu leistet bitte sehr der Tagesausflug nach Nizza oder Mailand? Wem nutzt er überhaupt, außer denen, die sich in Frankfurt, Hamburg und München beim Mittagessen und Einkaufen langweilen?

Der Geiz-ist-geil-Trend hat überdies noch eine andere Schattenseite. Er gaukelt den Kunden vor, Fliegen könne immer billiger werden und Sicherheit koste kein Geld. Doch das bloße Einhalten von Vorschriften garantiert nicht automatisch ein hohes Niveau.

Sicherheit gibt es nicht umsonst

Die Billigfliegerei verlockt dazu, auch in diesem Punkt "Überflüssiges" einfach wegzulassen und sich nur an das gesetzliche Mindestmaß zu halten. Ein prominentes, fast vergessenes Beispiel dafür ist ValueJet.

Die Fluggesellschaft startete vor mehr als zehn Jahren mit der Devise, alles legal, aber so billig wie möglich zu produzieren. Im Jahr 1996 stürzte eine Maschine mit mehr als 100 Menschen ab. Der Name verschwand schnell vom Markt, als Berichte über Sicherheitsmängel die Runde machten.

Der Wert eines Produktes sollte sich in seinem Preis widerspiegeln. Flugzeuge sind teurer als Busse oder Autos. Sicherheit gibt es nicht umsonst, und die externen Kosten wie Lärm und Luftschadstoffe gehören eigentlich auch im Preis berücksichtigt. Ein USA-Ticket für 99 Euro tut dies alles nicht. Es ist auch nur begrenzt verfügbar. Ein guter Werbegag ist es aber allemal.

© SZ vom 29.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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