Gefürchtete Maschinerie:Klagen gegen US-Tabakkonzerne

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Schadensersatzklagen gegen die Tabakindustrie gehören in den Vereinigten Staaten längst zum Gerichtsalltag. Drei Jahre ist es nun her, dass die "Tabakprozesse" ihren Höhepunkt erreichten.

Von Marc Hujer

(SZ vom 7.11.03) — Damals erstritten Anwälte gegen die Tabakindustrie die höchste Schadensersatzsumme der amerikanischen Rechtsgeschichte - 146 Milliarden Dollar. Das entsprach dem Umsatz der fünf größten US-Tabakkonzerne in zehn Jahren.

Damit nicht genug für die Industrie: Nach dem Urteil fühlten sich noch mehr Menschen ermutigt, vor Gericht zu ziehen; die gefürchtete amerikanische Klagemaschinerie lief immer schneller.

Prozesslawine

Entsprechend sahen sich die Konzerne einer Lawine von Verfahren gegenüber, angestrengt von den Hinterbliebenen krebskranker Raucher, von Herzkranken oder von Nichtrauchern, die wegen der Folgen des Passivrauchens klagten.

So gesehen ist das laufende Jahr ein gutes für die amerikanische Tabakwirtschaft. Erstmals verliert sie nicht mehr alle Prozesse. In Florida etwa hob ein Berufungsgericht jenes spektakuläre 146-Milliarden-Urteil auf, aufgrund dessen die Tabakkonzerne Hunderttausenden kranken Rauchern Schadensersatz zahlen sollten.

In Massachusetts wies ein Gericht eine weitere Sammelklage zurück, die Amerikas Tabakkonzerne mindestens zehn Milliarden Dollar gekostet hätte. In Miami wurde die Klage einer Flugbegleiterin nicht zugelassen, die geltend gemacht hatte, jahrelanges Passivrauchen habe ihre Nasennebenhöhlen ernsthaft beschädigt.

Erfolge der Tabakkonzerne

"Unsere Erfolge bei den Klagen sind richtungsweisend für zukünftige Prozesse. Das Risiko, dass uns die Klagen überwältigen, ist deutlich gesunken", erklärte nach diesen Erfolgen im Sommer der Chefjurist des weltgrößten Tabakkonzerns Altria, hinter dem sich der frühere Philipp-Morris-Konzern verbirgt.

Jüngster Erfolg des Tabakriesen: Das oberste Gericht von Illinois ließ seine Berufungsklage gegen ein Urteil vom März dieses Jahres zu. Damals war der Altria-Konzern zu 10,1 Milliarden Schadensersatz verklagt worden, weil er nach Meinung der Richter in seiner Werbung den Eindruck erweckt hatte, Light-Zigaretten seien gesünder als normale Zigaretten.

Noch erhöht werden die Erfolgschancen der Konzerne vor Gericht ausgerechnet durch ihre zunehmend schwierigere wirtschaftliche Lage. Ein Bundesgesetz schützt in den USA verklagte Unternehmen vor dem Bankrott; bevor Konzerne oder Firmen Konkurs gehen, werden auch als berechtigt festgestellte Schadensersatzforderungen erlassen oder zumindest reduziert.

Branche unter Druck

Wie zuletzt vor zehn Jahren sehen sich die Markenhersteller von Zigaretten auch jetzt einer wachsenden Konkurrenz kleiner Billiganbieter ausgesetzt. So besetzen Discount-Marken wie Bronco, Roger und USA Gold bereits zehn Prozent des Marktes - allesamt Marken, die es vor zehn Jahren nicht einmal gab.

"Die Preisstruktur der Branche steht so unter Druck wie noch nie", sagt Jack Maxwell, der seit 40 Jahren als Berater in der Tabakindustrie tätig ist. Im Mai sprach Philip Morris USA das erste Mal vom Bankrott.

Das ist in einem Land, in dem der Gang vor Gericht auch immer als mögliches lukratives Geschäft gesehen wird, keine allzu verlockende Perspektive, um neue Kläger anzulocken.

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