Gebremstes Wachstum:"Neue Normalität"

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Die chinesische Wirtschaft wächst so langsam wie seit Ausbruch der Wirtschaftskrise nicht mehr. Peking hat die Erwartungen bereits zurückgeschraubt: Das Ziel lautet sieben Prozent.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Die chinesische Wirtschaft bleibt rein rechnerisch der Klassenprimus unter den großen Volkswirtschaften. Das Statistikamt in Peking meldete für die ersten drei Monate des Jahres ein Wachstum von sieben Prozent - Bestmarke. So weit die guten Nachrichten für die Regierung in Peking, die mit zunehmender Vehemenz den Druck eines auslaufenden Wirtschaftsmodells spürt. Die jüngste Wachstumsrate reicht zwar aus, um Nordamerika, Europa oder die asiatischen Industrienationen Japan und Südkorea deutlich abzuhängen. Doch hinter der Zahl verbergen sich erhebliche strukturelle Probleme, die bislang nicht gelöst werden konnten.

So hängt die chinesische Wirtschaftsleistung noch immer stark von Staatsausgaben, Exporten und einer großen Nachfrage nach Immobilien ab. Servicesektor und Binnenkonsum legen zwar Jahr für Jahr zu, wie Daten aus dem Statistikamt besagen, doch taugen sie längst noch nicht als verlässliche Stützpfeiler für das fragile Konstrukt. "China sieht sich einem bislang nie da gewesenen konjunkturellem Druck ausgesetzt. Die wirtschaftlichen Fundamente erodieren kontinuierlich", sagt Makroanalyst Liu Xintian vom Research-Center für Rohstoffe aus der Provinz Qingdao.

Peking hat die Erwartungen bereits zurückgeschraubt. Das Ziel lautet sieben Prozent

as Bruttoinlandsprodukt erlebte zwischen Januar und März den schwächsten Zuwachs seit sechs Jahren. Dabei sind die Rahmenbedingungen heute schon deutlich besser als damals, als gerade die globale Wirtschaftskrise ausgebrochen war. "Chinas erfolgreiches Kerngeschäft war lange Jahre die Manufaktur mit billigen Arbeitskräften. Jetzt genießen Länder in Südostasien diese Standortvorteile. Das neue Wachstum ist noch nicht stark genug", sagt Analyst Liu. Schon im vierten Quartal hatte sich die Dynamik auf 7,3 Prozent verlangsamt, weswegen die Regierung ihr gestecktes Planziel für das vergangene Jahr verpasste. Als Reaktion auf die Entwicklung des Vorjahres schraubte Premierminister Li Keqiang die Erwartungen für 2015 weiter herunter und gab sieben Prozent als Ziel aus. Insofern stehen die Daten im Einklang mit der staatlichen Vorgabe. Der Regierungschef machte aber klar, dass ein weiterer Rückgang nicht auszuschließen sei. "China muss auf größere Schwierigkeiten vorbereitet sein", sagte Li.

Die Genossen stellen sich seit einer Weile zwangsläufig auf das Ende ihres Hyperwachstums ein und haben die "neue Normalität" ausgerufen. Doch selbst Normalität tritt nur dann ein, wenn sich China verändert. Die Weltbank hat der Volksrepublik in einer Analyse gerade einen "delikaten Balanceakt" prognostiziert. Die große Herausforderung für Peking bestehe darin, die Wirtschaftsleistung mit diversen Anreizen stabil zu halten, die damit einhergehenden Risiken aber zu kontrollieren. Strukturreformen dürften auf keinen Fall von stimulierenden Maßnahmen unterwandert werden, heißt es seitens der Weltbank. Konkret dürfe vor allem die enorme Verschuldung der Kommunen nicht weiter wachsen.

Hochhäuser wie hier in der Stadt Hefei sind ein Symbol für Chinas zunehmenden Wohlstand, doch das jahrelange Hyperwachstum ist zu Ende. (Foto: Reuters/Stringer)

Analysten erwarten, dass Peking das Risiko eingehen wird, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze für Millionen von Wanderarbeitern und Universitätsabsolventen nicht zu gefährden. Zinssenkungen und geringere Mindestreserven für Banken sind beliebte Werkzeuge der Zentralbank. Zweimal senkte sie seit Herbst vergangenen Jahres die Leitzinsen, um das Volumen der Kreditvergabe zu erhöhen. Doch da lokale Kommunen bei der Kreditaufnahme strenger überwacht werden, ist viel Kapital nicht in der Realwirtschaft gelandet, sondern am Aktienmarkt. Die Börse in Shanghai erlebt seit einigen Monaten eine Renaissance, obwohl die Wirtschaft lahmt.

Um zumindest der Exportwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, ist die Abwertung der Landeswährung Renminbi ein probates Mittel. Vize-Premierminister Wang Yang forderte seine eigene Regierung zu "unmittelbaren Maßnahmen" auf, um den Abwärtstrend im Außenhandel zu stoppen. Der Renminbi hat seit Jahresbeginn am meisten gegenüber dem Euro und dem japanischen Yen zugelegt. Den Exporteuren macht das zu schaffen, weil die Preise für ausländische Kunden steigen. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Wechselkurs abgewertet wird", glauben die Analysten der Investmentbank Goldman Sachs.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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