Fünf Jahre DaimlerChrysler:Der Stratege lässt Kritik nicht zu

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Jürgen Schrempps "Welt AG" stößt auf immer neue Schwierigkeiten. Das soll aber keiner sehen.

Von Karl-Heinz Büschemann

(SZ vom 14.11.2003) — Die Nachricht aus Japan kam für Jürgen Schrempp in einem ungünstigen Zeitpunkt. In diesen Wochen häufen sich auf dem Schreibtisch des Chefs von DaimlerChrysler schon Medien-Berichte über die Misere des US-Autoherstellers Chrysler, mit dem sich Daimler-Benz auf Betreiben von Schrempp vor fünf Jahren zusammengeschlossen hat.

Und jetzt das: Der japanische Autobauer Mitsubishi, an dem sich DaimlerChrysler im Jahr 2000 mit 37 Prozent beteiligt hat und der von den Stuttgartern geführt wird, ist wieder in die Verlustzone zurückgefallen - und das gleich mit 615 Millionen Euro in einem halben Jahr.

Statt des erwarteten Gewinns wird zum Ende des Geschäftsjahres am 31. März 2004 ein Verlust heraus schauen. Schrempp kann die Sanierung des viertgrößten japanischen Autoherstellers nicht wie geplant im Frühjahr abhaken. Statt dessen teilt Rolf Eckrodt, sein Vertrauter auf dem Mitsubishi-Chefsessel, mit: "Der Turnaround verzögert sich."

Schrempp der aus Mercedes, Chrysler und Mitsubishi eine Welt AG bilden wollte, die in Europa, den USA und in Asien gleichermaßen vertreten ist, erlebt einen Rückschlag nach dem anderen. Doch Kritik an seiner Arbeit lässt er nicht zu: "Der Erfolg einer Strategie erweist sich erst mittel- und langfristig."

Aktienkurs gesackt

Es begann offiziell am 17. November 1998. An jenem Dienstag wurde die Ehe zwischen Daimler-Benz und dem US-Konzern Chrysler im New Yorker Börsensaal gefeiert. "Diese Ehe wurde im Himmel geschlossen", jubelte Konzernschmied Schrempp.

Schon in zwei Jahren, da war sich der ehrgeizige Daimler-Chef sicher, werde er die Früchte dieser glücklichen Verbindung einfahren können. Ungeahnte Kosten ließen sich durch den Zusammenschluss sparen. Mercedes werde auf dem amerikanischen Markt noch erfolgreicher sein. Chrysler-Autos würden in Europa Marktanteile gewinnen. Fünf Jahre später ist die Bilanz allerdings ernüchternd.

Die DaimlerChrysler-Aktie hat in den fünf Jahren der Gemeinsamkeit rund 60 Prozent an Wert verloren. Ähnlich stark wurde nur noch der Konkurrent Ford abgestraft. Der aber gilt als Sanierungsfall.

Zum Vergleich: Die Aktie von BMW legte in der gleichen Zeit um mehr als 30 Prozent zu. Toyota-Anteilsscheine gewannen in den zurückliegenden fünf Jahren etwa zehn Prozent. "War der Zusammenschluss ein Fehler", fragt das New Yorker Wirtschaftsmagazin Business Week auf seiner Titelseite.

Und das Wall Street Journal wüsste gerne, "ob die Hochzeit von Chrysler und Daimler bessere Ergebnisse bringen kann als die beiden Unternehmen allein". Die angesehenste Branchenzeitschrift Automotive News führt die Fusion in der Rubrik "Fehlschlag" auf.

Doch Schrempp bleibt standhaft: "Die Erfolge sind jetzt schon zu sehen, wenn man sie nur sehen will." Chrysler habe seit dem Zusammenschluss 7,6 Milliarden Euro zum Konzernergebnis beigetragen.

Mühen des Alltags

Von Anfang an hat Schrempp seinen Milliardendeal als strategische Glanztat verkauft. Die Medien waren beeindruckt, Schrempp wurde als Visionär gefeiert. Doch kaum waren die Flitterwochen vorbei, begannen die Mühen des Alltags. DaimlerChrysler erlebte bislang nur ein gutes Jahr. 1999 brachte Chrysler noch einen Gewinn von 5,08 Milliarden Dollar ein.

Schon im Jahr 2000 lieferte die US-Gesellschaft nur noch einen schmalen Überschuss von 470 Millionen Dollar. Das Jahr drei der Ehe brachte dann einen Horrorverlust von 4,7 Milliarden Dollar. Anschließend warf 2002 wieder einen kleinen Gewinn von 640 Millionen Dollar ab.

Und das laufende Jahr wird nur mit viel Glück zu einem positiven Ergebnis führen. Die Fusion von Daimler und Chrysler entwickelt sich zum Albtraum. Nur Konzernschmied Jürgen Schrempp scheint zufrieden: "DaimlerChrysler ist glänzend aufgestellt. Wir sind einmalig".

Eine mutige Einschätzung. BMW-Chef Helmut Panke hält zum Beispiel das Zusammenleben eines Luxus-Autoherstellers und eines Herstellers von Massenautos unter einem Dach für nicht sinnvoll.

Die Münchner haben diesen Fehler 1994 gemacht, als sie den britischen Autohersteller Rover erwarben und an dessen Verlusten fast zugrunde gingen. BMW korrigierte den Fehler und verkaufte die britische Tochter im März 2000. Schrempp behauptet dagegen vor Publikum gerne, er hätte die Verluste von Rover in den Griff bekommen.

Angst vor dem Imageverlust

Wie stark sich Mercedes und Chrysler gegenseitig beim Kostensparen helfen, ist undurchsichtig. In den ersten beiden Jahren hätten die Synergieeffekte je 1,4 Milliarden Dollar betragen, heißt es.

Über die heutigen Resultate soll nichts mehr nach außen gelangen. "Wir haben uns vorgenommen, nicht mehr darüber zu reden", sagt ein Stuttgarter Manager. Jedes Jahr ließen sich die Kosten um fünf Prozent senken. Daimler-Mitarbeiter räumen aber ein, dass die technisch möglichen Spareffekte zwischen Daimler und Chrysler bei weitem nicht ausgeschöpft werden.

Die exzessive Verwendung von gleichen Teilen bei Mercedes und Chrysler, so die berechtigte Sorge in Stuttgart, würde die Mercedes-Kunden verschrecken, die teure Marke mit dem Stern würde beschädigt, ihre Profitabilität würde unweigerlich leiden.

Nicht einmal veraltete Mercedes-Technik wollen die Deutschen dem amerikanischen Bruder zur Zweitverwertung überlassen, wie geschehen beim Chrysler-Crossfire, einem neuen Sportwagen der Amerikaner, der auf der Technik des auslaufenden Mercedes Zweisitzers SLK beruht. "Das ist ein einmaliger Vorgang", sagt Jürgen Hubbert, der Vorstandsvorsitzende von Mercedes-Benz. Kunden, so meint Hubbert, reagierten "auf Markenverwässerungen außerordentlich empfindlich."

Fusion der Konkurrenten

So kann Schrempp die Möglichkeiten nicht nutzen, die zum Beispiel Renault und Nissan haben. Renault hat sich 1999 an dem krisengeschüttelten japanischen Autohersteller Nissan mit 36,8 Prozent beteiligt. Seither können Japaner und Franzosen kostensparend gleiche Motoren und Plattformen einsetzen.

Sie sind beide im Massenmarkt vertreten, in dem das Markenimage weniger wichtig ist als im Luxussegment. Zwei Jahre nach dem Einstieg der Franzosen war Nissan wieder profitabel. Auch der Zusammenschluss von Citroën und Peugeot aus dem Jahr 1976 gilt als erfolgreich. Beide Marken bedienen dasselbe Kundensegment und greifen in dieselben Regale.

Dagegen erweist sich die Zusammenführung einer gehobener Marke und eines Massenfabrikats als schwierig. Die Übernahme von Saab durch General Motors im Jahr 1990 gilt als erfolglos, gleiches gilt für die Allianz von Jaguar und Ford.

Neue Achse USA - Japan

Schrempp hatte auch Pech. Kaum hatte er Chrysler übernommen, rutschte die Welt-Autoindustrie in eine massive Absatzkrise. In Nordamerika ging die Nachfrage nach US-Autos kräftig zurück. Die Preise verfielen geradezu dramatisch.

Chrysler und die anderen US-Hersteller müssen heute schon Rabatte von 4000 Dollar auf Neuwagen bieten, wenn sie überhaupt einen Kunden gewinnen wollen. Da fällt es schwer, Gewinne zu machen. Im Jahr 2001 musste Chrysler-Chef Dieter Zetsche ein Sanierungsprogramm starten, das 30.000 Mitarbeitern den Job kostete.

In jüngster Zeit kam Chrysler regelrecht unter die Räder. Der Absatz der Marke lag im September um 14 Prozent unter dem Vorjahreswert. Bei den Pkw ging der Absatz sogar um 21,8 Prozent zurück. Allein in den zurückliegenden zwölf Monaten verlor Chrysler in den USA fast zwei Prozent des Marktanteils.

Aber auch der Pacifica, ein völlig neu entwickelter Geländewagen und Hoffnungsträger, lief schlecht an. Tapfer erklärt Dieter Zetsche, der seit drei Jahren Chef von Chrysler ist: "Die ganze Mannschaft ist davon überzeugt, dass wir wieder auf dem Erfolgspfad sind."

"Falsch eingeschätzt"

Verstärkt setzt Schrempp daher auf eine Zusammenarbeit von Chrysler mit Mitsubishi, die beide auf dem so genannten Volumenmarkt tätig sind, und ohne Probleme gleiche Teile bis hin zu Motoren oder Getrieben nutzen könnten. Etliche Projekte sind angelaufen.

Doch das japanische Unternehmen ist noch zu stark mit eigenen Problemen beschäftigt, um für DaimlerChrysler schon eine Hilfe zu sein. Im Gegenteil: Mitsubishi hätte gerne aus Stuttgart eine kräftige Finanzspritze.

Offenbar hat DaimlerChrysler vor dem Einstieg die wirkliche Lage bei Mitsubishi zu rosig gesehen. Ein DaimlerChrysler-Manager sagt dazu: "Da hat man wohl manches falsch eingeschätzt".

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