Französische Staatseisenbahn expandiert:Schnellzug TGV will Europa erobern

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Während der französische Güterverkehr Verluste einfährt, ist der TGV das Erfolgsmodell schlechthin. Nun hat die Staatseisenbahn SNFC die Deutsche Bahn im Visier.

Gerhard Bläske

Bei dem Streik am Montag Abend geht es für die SNCF um viel. "Die Sanierung unserer Güterverkehrssparte wird damit erheblich gefährdet", sagte SNCF-Chef Louis Gallois in Antwerpen. Jeder Streiktag kostet den Frachtbereich der Eisenbahn fünf Millionen Euro.

Fährt auf 1500 Kilometern: der Hochgeschwindigkeitszug TGV (Foto: Foto: afp)

Wenn die Ertragsziele dieses Jahr nicht erreicht werden, dann genehmigt Brüssel die Auszahlung der dritten Tranche eines zur Hälfte vom französischen Staat, zur anderen Hälfte von der SNCF finanzierten Hilfsprogramms von insgesamt 1,5 Milliarden Euro nicht.

Damit wäre aber die Zukunft des Güterverkehrs der SNCF, der 2004 Verluste von 450 Millionen Euro einfuhr, insgesamt gefährdet. Die Hoffnungen der SNCF durch Allianzen etwa mit dem Hafen von Antwerpen oder anderen Eisenbahnen die Vormachtstellung der Deutschen Bahn auf diesem Feld zu brechen, würden sich in Luft auflösen.

Verdreifachung des Netzes bis 2020

Dabei ist die SNCF auf gutem Weg. Zum vierten Mal in Folge wurden im ersten Halbjahr 2005 mit einem Bruttogewinn von 289 Millionen Euro schwarze Zahlen geschrieben. Der Umsatz stieg 2004 um 5,5 Prozent auf 22 Milliarden Euro und wird laut Gallois 2005 um mehr als fünf Prozent wachsen. Nach Rekordinvestitionen von 2,2 Milliarden Euro in diesem Jahr sollen in den nächsten fünf Jahren elf Milliarden Euro investiert werden.

Die guten Ergebnisse hat die SNCF ausschließlich ihrem großen Gewinnbringer, den seit 1981 verkehrenden TGV-Schnellzügen, zu verdanken. Weit über eine Milliarde Reisende haben den TGV bereits benutzt. Frankreich verfügt mit 1500 Kilometern über mehr als ein Drittel des europäischen Schienen-Hochgeschwindigkeitsnetzes.

Es wird erwartet, dass sich das Netz bis 2020 auf 10 000 bis 12 000 Kilometer verdreifacht. Frankreich will seinen Anteil halten, investiert massiv und expandiert zunehmend ins Ausland. "Der große europäische Verkehr muss über Frankreich laufen", sagt SNCF-Generaldirektor Guillaume Pépy. Hauptkonkurrent ist der deutsche ICE.

Endpunkt München geplant

Mitte 2007 rollen TGV-Züge mit 320 Stundenkilometer Richtung deutsche Grenze. Dort ruckeln die schnellen Züge dann mit knapp 150 Stundenkilometer weiter Richtung Frankfurt. Die Deutschen haben kein Geld für den Ausbau auf höhere Geschwindigkeiten.

Das ist den Franzosen zu blöd. Sie lassen die deutschen ICE den Nordstrang über Saarbrücken nach Frankfurt bedienen und bauen ihrerseits den Südstrang über Straßburg aus. Ziel: Sie wollen mit ihren TGV über Stuttgart nach München und irgendwann noch weiter. Die Deutsche Bahn lehnt es aber ab, die TGV über Stuttgart hinaus fahren zu lassen.

Der ICE droht in Europa ins Hintertreffen zu geraten. Im Ausland steuert er heute gerade mal einmal pro Tag Brüssel an. Der TGV fährt dagegen nach Genf und in dem von den Franzosen dominierten Thalys-Konsortium nach Brüssel, Amsterdam und Köln sowie im Eurostar-Konsortium nach London.

Nach Abschluss der Ausbauarbeiten wird London 2007 von Paris in zwei Stunden und 20 Minuten, Amsterdam in drei Stunden und Köln in drei Stunden 10 Minuten erreichbar sein. Der Bau neuer nationaler und internationaler Strecken wie eine Hochgeschwindigkeitsverbindung vom Elsass Richtung Lyon und ans Mittelmeer, die Verlängerung an die spanische Mittelmeerküste, der Ausbau nach Lyon und darüber hinaus ins spanische Baskenland sowie später nach Nizza und durch die Alpen nach Turin sind entweder schon gesichert oder geplant.

Rasanter Anstieg der Unterhaltungskosten

Die SNCF will mit ihrem TGV der dominierende Akteur in Europa sein, wenn spätestens 2010 auch Frankreich seine Grenzen für Konkurrenten im Passagierverkehr öffnen muss. Finanziert werden sollen die Projekte über Privatisierungserlöse aus dem Verkauf der Autobahnen, Staatszuschüsse, Mittel der Schienenwegsgesellschaft RFF, aber auch public-private-partnerships.

Die Finanzierungsprobleme der Deutschen Bahn beim Bau solcher Strecken kommentiert Gallois süffisant mit der Bemerkung: "Ich bewundere es, dass die DBAG eine Milliarde Euro für eine Akquisition in den USA ausgeben kann." Auch der Bau des Milliardenprojekts Lehrter Stadtbahnhof erstaunt viele französische Beobachter.

Der rasche Ausbau des Hochgeschwindigkeitsverkehrs hatte für Frankreich auch Schattenseite. Laut einer Untersuchung der Lausanner Ecole Polytechnique wird in 15 Jahren die Hälfte des bestehenden Schienennetzes unbrauchbar sein, wenn die Mittel für Erneuerung und Unterhalt nicht von zehn Milliarden auf 15,3 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren erhöht würden. Paris stockte die Mittel auf und hat die SNCF beauftragt, bis zum März einen Aktionsplan vorzulegen.

© SZ vom 21. November 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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