"Frankfurter Rundschau": Krisenkonzept:Adrenalinschub für den Zeitungschef

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Kleiner, praktisch, gut: Die "Frankfurter Rundschau" schrumpft äußerlich, und will so den Weg aus ihrer großen Misere finden. Wie wird man das in Wohngemeinschaften finden?

Christoph Hickmann

Man muss sich das vorstellen wie mit einer Schokoladensorte, passend wäre hier Zartbitter. Die schmeckt bei weitem nicht allen, doch ihre Anhänger sind treu, weil ihnen alles andere zu süß ist, ob mit halben Nüssen, Nougat oder Kokosraspeljoghurt-Füllung.

Uwe Vorkötter, Chefredakteur: Am kommenden Mittwoch (30. Mai) erscheint die "Frankfurter Rundschau" erstmals im Tabloid-Format. (Foto: Foto: dpa)

Der Zartbittermensch ist insofern genügsam, doch dann steht er eines Tages vor dem Supermarktregal und findet seine Sorte nicht. Er sucht lange und macht eine verstörende Entdeckung: Der Schokoladenfabrikant hat etwas verändert. Die Tafel ist nicht mehr eckig, sondern rund. Im Prinzip gibt es nur einen Grund, warum der Fabrikant das tun sollte: Es muss so schlecht stehen um die Sorte, dass nur dieser Weg blieb, um neue Käufer zu finden.

Das Risiko ist hoch, denn der erste Gedanke des Zartbitterfreundes dürfte sein: Was, wenn sie nicht nur die Form verändert haben, sondern auch das Rezept?

Uwe Vorkötter kennt dieses Risiko genau, er ist Chefredakteur der Frankfurter Rundschau (FR), die von Mittwoch an nicht mehr so aussehen wird, wie sie immer ausgesehen hat. Die Rundschau, einst Stammblatt der deutschen Linken, heute stark angeschlagene, doch immer noch zutiefst ernsthafte Vorkämpferin des Linksliberalismus, wird am 30. Mai zum ersten Mal im kleinen Tabloid-Format erscheinen.

Ein Projekt mit Risiko

Das ist nicht weniger als eine kleine Revolution, wird sie doch zu den überregionalen Qualitätsblättern gezählt - obwohl sie nur etwa ein Drittel ihrer Auflage außerhalb der Rhein-Main-Region macht. Markenzeichen dieser Blätter ist bisher das große Nordische Format. Uwe Vorkötter sagt: "Natürlich ist das ein Projekt mit hohem Risiko."

Es ist sogar mehr. Es geht wohl um Alles oder Nichts. Die seit Jahren gesunkene Auflage liegt jetzt bei 150.000 verkauften Exemplaren; im ersten Quartal 2007 verkaufte die FR 11.000 Exemplare weniger als noch ein Jahr zuvor. Von einst mehr als 1.600 Mitarbeitern waren noch 720 übrig, als Ende September der Abbau weiterer 200 Stellen angekündigt wurde.

Zwar steht die Zeitung nicht mehr unmittelbar vor dem Aus wie vor drei Jahren, als die SPD-Medienholding DDVG neunzig Prozent der Anteile und damit etwa 100 Millionen Euro Gesamtverbindlichkeiten übernahm: Im Juli 2006 kaufte der Kölner Verlag M.DuMont Schauberg ( Kölner Stadt-Anzeiger) 50 Prozent der Anteile, zudem machte das Blatt im vergangenen Jahr einen vergleichsweise geringen Verlust von zehn Millionen Euro. Doch für Ende 2008 sind schwarze Zahlen das Ziel.

Das neue Format dürfte die letzte Chance der Rundschau sein.

Vorkötter sagt: "Natürlich ist der Adrenalinausstoß höher als an normalen Tagen." Doch lieber redet er über das, was stapelweise in der Ecke seines Büros liegt: Probeausgaben der neuen Rundschau. Fasst man Vorkötters Ausführungen mit den Eindrücken der Lektüre zusammen, bleibt dies: Das Blatt wird praktischer und überraschender sein.

Praktischer, weil man beim Blättern in der U-Bahn nicht mehr den Sitznachbarn belästigt. Überraschender, weil Beiträge gebündelt und nach Relevanz im Blatt platziert werden, statt wie bisher streng nach Ressorts. Dazu kommt eine stärker magazinartige Optik, doch mit Häppchen-Journalismus hat das nichts zu tun: Anders als im Welt-Ableger Welt Kompakt sollen die Texte nicht kürzer werden. Bei halber Größe bekommt das Blatt doppelt so viele Seiten.

Vorbild Skandinavien und England

In Skandinavien oder Großbritannien haben seriöse Blätter wie der Independent und der Guardian die Umstellung gewagt. Betrachte man dies, sagt Vorkötter, "dann gibt uns der Erfolg dort recht. Die Auflagen sind gestiegen". Man weiß nicht recht, ob ihn das beflügelt, oder ob es provokante Eigen-PR sein soll, wenn er hinzufügt: "Ich glaube ohnehin, dass das Nordische Format keine große Zukunft hat."

Der Medienwissenschaftler Horst Röper vom Dortmunder Formatt-Institut ist skeptischer: "Man kann das nicht vergleichen, weil die ausländischen Erfahrungen nicht helfen. Dort war das Format neu, hier aber gibt es das bereits."

Seit elf Monaten ist Vorkötter, 53, bei der FR, zuvor war er Chef der Stuttgarter Zeitung und dann der Berliner Zeitung. Wenige Wochen nach seinem Wechsel an den Main sprach Verleger Alfred Neven DuMont die Tabloid-Idee an. Vorkötter gefiel sie, dann ging alles sehr schnell. In den vergangenen Monaten herrschte deshalb Hochdruck in der durch Kürzungen, Umzug auf die andere Mainseite und Auflagenschwund gebeutelten Redaktion. Doch mit wem man auch spricht, man spürt neben Unsicherheit viel Optimismus - wenn auch versehen mit dem Zusatz, dass es ja nur besser werden könne.

Wahrscheinlich konnte nur jemand von außen all das anschieben, doch Vorkötter hat auch gemerkt, was man als Neuling besser bleiben lässt: Die Online-Ausgabe der Welt zitierte ihn im April mit der sinngemäßen Aussage, die Redaktion sei "wohngemeinschaftlich organisiert" und arbeite mit zu geringer "Schlagzahl". Die Redaktion war erbost, es gab eine lange Aussprache. Zum einen, weil man so etwas als Chef nicht öffentlich sagt. Zum anderen hatte die Erregung wohl auch damit zu tun, dass Vorkötter einen wunden Punkt getroffen hatte: Viel zu lange hatte man sich darauf verlassen, die Stammleser zu bedienen, und darüber so ziemlich alle Neuerungen in der Zeitungsbranche verschlafen.

Wie reagiert der klassische Linke?

Heute stellt man sich den klassischen Leser als einen mit Strickweste und Birkenstock-Sandalen angetanen Geographielehrer oder als Gewerkschafter vor, zumindest was die Auflage außerhalb des Rhein-Main-Gebiets angeht. Es spricht für sich, wenn Vorkötter sagt: "Wir wollen mit dem neuen Format vor allem jüngere und weibliche Leser gewinnen." Und zwar ohne bei der direkten Konkurrenz zu wildern: "Der überregionale Markt besteht aus 70 Millionen Menschen. Die überregionalen Zeitungen haben zusammen nicht einmal eine Million an Auflage. Es gibt ein großes Potential im Nichtlesermarkt, aus dem man schöpfen kann." Das ist eine Absage an all jene Experten, die der FR seit Jahren empfehlen, sich als reine Regionalzeitung zu positionieren.

Will Vorkötter aber Erfolg haben, darf er die alten Leser nicht verlieren, die Freunde von Zartbitter. Die Redaktion hat daher die Änderungen im Blatt ausführlich angekündigt. Dass die Gefahr dennoch besteht, hat die Marktforschung bestätigt: Zwar liege die Zahl derer, die eine Abbestellung angekündigt hätten, "im kleinen einstelligen Prozentbereich", sagt Vorkötter, aber: "Am skeptischsten waren die langjährigen Abonnenten der überregionalen Ausgabe."

Einen Teil von ihnen wird man verlieren, so viel ist klar. Deshalb sollen genau diese Leser so schnell wie möglich merken, dass nur die Form verändert wird.

Ein paar Meter von Vorkötters Büro entfernt sitzt einer von denen, die das garantieren sollen. Stephan Hebel, 51, ist Textchef der Rundschau, er hat hier vor 32 Jahren als freier Mitarbeiter seinen ersten Artikel geschrieben. Er saß in den siebziger Jahren an der hochpolitisierten Frankfurter Universität als Sponti-Vertreter in der Fachbereichsgruppe Neuere Philologien und hat in einem besetzten Haus des Frankfurter Westend gewohnt.

Sein Volontariat hat er im zweiten Anlauf bekommen, weil er zum ersten Vorstellungsgespräch im besudelten Hemd erschienen war. Stephan Hebel hat eine Biographie, wie sie viele seiner Stammleser haben dürften, er ist neben Richard Meng vom Berliner Büro einer der Autoren, die am deutlichsten für die klassische Rundschau stehen. Weniger im Sinn von Vorkötters WG, sondern im besten Sinn als einer, der auch dann nicht aufhört, gegen Sozialkürzungen anzuschreiben, wenn sie im öffentlichen Diskurs längst als unumgänglich akzeptiert sind.

Junge Leute hinterm Ofen

Hebel hat an diesem Nachmittag einen Kommentar zum Umgang mit den Gegnern des G-8-Gipfels geschrieben. Er sagt: "Da habe ich mir vorher noch mal sehr intensiv Rechenschaft abgelegt, in welche Richtung es gehen soll." Soll heißen: Er hat sich klargemacht, wofür die FR steht. Das wird wichtig sein in den nächsten Wochen.

Mit jedem Kommentar von Hebel, mit jeder Reportage über Globalisierungsverlierer und jedem Wirtschaftsbericht, in dem es nicht nur um Ökonomie, sondern auch um Ökologie geht, wird eine indirekte Botschaft verbunden sein: Seht her, wir sind noch die Alten! Wir kämpfen weiter für Gerechtigkeit und Weltfrieden, auch wenn das jetzt anders verpackt ist! Hebel sagt: "Neulich hat mir ein Marketingmann gesagt, mit dem linken Zeug könne man keinen von den jungen Leuten mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Ich glaube das nicht."

Auch er hat sich über das Wohngemeinschaft-Zitat geärgert, doch er sagt: "Es hat wirklich eine Art Routine gegeben hier, in der sich der eine oder andere eingerichtet hat." Aber: "Das gilt nicht für alle. Diese Redaktion wird von vielen maßlos unterschätzt." Sie hat nun Zeit, das zu beweisen, intern ist von einer "großzügigen Frist" die Rede. Laut Vorkötter dagegen hat der neue Eigentümer DuMont keine Zeitvorgabe gemacht: "Die erste Bilanz ziehen wir im vierten Quartal dieses Jahres. Bis dahin soll die Auflage gestiegen, mindestens aber stabilisiert sein."

Einen Plan B, sagt er, gebe es nicht.

© SZ vom 29.5. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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