Forderungen der Ökonomen:Abschreiben, stunden, ausweiten

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Führende Wissenschaftler halten, egal, welcher Denkschule sie angehören, zielgerichtete Maßnahmen gegen die Corona-Krise für notwendig - und auch ein Aufweichen der schwarzen Null.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

An diesem Mittwoch geht es in Berlin vor allem darum, Bilder zurechtzurücken. Beispielsweise jenes, dass wirtschaftspolitische Kompetenz eine typisch männliche Eigenschaft ist. Es säßen hier zwar sechs männliche Wirtschaftsprofessoren, deutet Peter Bofinger auf die neben ihm in der Bundespressekonferenz sitzenden Kollegen. Aber es habe auch eine Frau mitgeschrieben an dem Forderungskatalog, was die Bundesregierung gegen die Corona-Krise tun müsse. Beatrice Weder di Mauro lehre allerdings in Singapur und könne nicht live mit dabei sein.

Die führenden deutschen Volkswirte, das war schnell klar, wollen mehr Hilfen für die Wirtschaft, um die Folgen der drastischen Auswirkungen des Coronavirus auf das wirtschaftliche Leben zu mildern. Mit dem von der großen Koalition bislang beschlossenen Paket sind sie nicht zufrieden. Lob gibt es für das erweiterte Kurzarbeitergeld und die Erstattung der Sozialbeiträge für die Bundesagentur für Arbeit. Das helfe, Unternehmenspleiten und Massenentlassungen zu verhindern, sodass nach dem Abflauen der Infektionswelle schnell wieder gearbeitet werden kann. Wann das sein wird? Schwer zu sagen, nur so viel: Zwei Monate nach dem Abklingen könnte das Wirtschaftssystem wieder laufen.

Die Wirtschaftswissenschaftler schließen eine Bankenkrise nicht aus

Gerade gerückt wird auch das Bild, dass sich Deutschlands Ökonomen uneins wären, was zu tun ist. Die Forscher auf dem Podium, neben Bofinger sind das Sebastian Dullien, Gabriel Felbermayr, Clemens Fuest, Michael Hüther und Jens Südekum, gehören zwar unterschiedlichen Denkrichtungen von linksliberal bis arbeitgebernah an; beim Coronavirus aber sind sie sich einig. Dagegen helfe kein Investitionsprogramm, sondern nur "zielgerichtete, zeitlich begrenzte und zeitlich koordinierte Maßnahmen". Die Krise verlaufe wegen des sich langsam ausbreitenden Virus von Land zu Land zeitversetzt, sagt Hüther, "das ist so, als wenn immer mehr Züge hintereinander stoppen und falsch stehen. Es dauert, bis die wieder geordnet sind".

Sie fordern, Liquiditätsengpässe bei Unternehmen vermeiden zu helfen, etwa durch verbesserte Abschreibungsbedingungen, die generelle zinsfreie Stundung von Voraus- und Nachzahlungen bei Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer. Sie empfehlen bessere Abschreibungsbedingungen, die großzügige Gewährung des Investitionsabzugs und eine ebensolche Gestaltung des steuerlichen Verlustrücktrags. Es würde Unternehmen spürbar helfen, den Grenzbetrag dazu auf eine Million Euro auszuweiten. Wegen der psychologischen Wirkung fordern die Wissenschaftler die vorzeitige Abschaffung des Soli-Zuschlags zum 1. Juli. Das erhöhe die verfügbaren Einkommen und stärke das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates. Die Koalition müsse die Aufweichung der schwarzen Null hinnehmen.

Einig sind sich die Ökonomen, dass das Coronavirus aufzeige, wie fragil das global durchorganisierte Wirtschaftssystem sei. Hüther bezeichnet die Corona-Krise als "Wasserscheide für die realwirtschaftliche Globalisierung". So wie die Finanzkrise die Wasserscheide für die Globalisierung der Finanzströme gewesen sei. Handelsketten würden neu sortiert, Effizienzgewinne fielen weg, Lagerhaltung nehme zu. Absehbar sei ein deutlicher Einbruch des Wirtschaftswachstums, eine Rezession hierzulande wahrscheinlich.

Die Professoren schließen mittelfristig eine Bankenkrise nicht aus. Italienische, auch deutsche Banken könnten betroffen sein, sagt Felbermayr. Das Bundesfinanzministerium will die deutschen Banken am Freitag zu einem Spitzentreffen rufen. Man wolle unter anderem erörtern, welche Hilfen die von der Viruskrise besonders betroffenen Unternehmen von Banken erhalten könnten, heißt es in Berlin.

Am Dienstag hatten erstmals die europäischen Staats- und Regierungschef einen Gipfel per Video abgehalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte danach, es werde "keine Probleme geben, das von der EU-Kommission vorgesehene Milliardenprogramm zu realisieren". EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant, einen Hilfsfonds von 25 Milliarden Euro aufzulegen.

© SZ vom 12.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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