Fondsmanager:Jongleure des Geldes

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Senken in der Londoner City die Fondsmanager den Daumen über ein Land, trifft dies deren Wirtschaft hart - das zeigt jetzt wieder das Beispiel Türkei.

Gerd Zitzelsberger

60 Zentimeter nach links und 60 Zentimeter nach rechts erstreckt sich das Reich von Susanne Gahler. Angestellte ihrer Gehaltsklasse haben in Deutschland üblicherweise zwei Sekretärinnen, ein geräumiges Büro und einen mächtigen Schreibtisch.

Doch beim Geld-Anlegen in großem Stil gibt es hier, in der Londoner City, keinen Komfort. "Direktor" steht auf Gahlers Visitenkarte, aber ihr einziges Privileg ist der Platz am Fenster des Großraumbüros: Zumindest auf einer Seite herrscht Ruhe. Zu Gahlers Linken stapeln sich Fotokopien, Computer-Ausdrucke und Statistiken.

Der Stapel rechts wächst an schlechten Tagen auch auf gute 30 Zentimeter an. Zwischen den beiden Schreibtisch-Hügeln liegt die Krise eines ganzen Landes.

"Es ist wirklich eine Krise", sagt Gahler. Und diese Krise, so stellt sich nach zwei weiteren Stunden vor den beiden Bildschirmen der Bankerin heraus, wird manchen Leuten an die Existenz gehen.

Milliarden in Luft aufgelöst

Die Fondsmanagerin arbeitet in der Londoner Finanzmeile bei F&C Investments, einer der zehn größten Investment-Gesellschaften Europas. Dort jongliert sie für Großanleger acht Fonds, deren Geld vor allem in Anleihen von Schwellenländern steckt.

Damit sitzt Gahler gewissermaßen im Epizentrum der Krise. Und das ist in diesem Fall die der türkischen Wirtschaft. "Schauen Sie mal auf die Graphik", sagt die Managerin und tippt ein Kürzel in ihren Computer.

"Oder auf die", und sie drückt wieder ein paar Tasten. Die diversen Kurven auf den Bildschirmen haben eines gemeinsam: Kurz vor ihrem Ende knicken sie steil nach unten. Das heißt: Die Aktienkurse sind abgerutscht und liegen derzeit um 30 Prozent unter dem Hoch vom Februar; Milliarden haben sich an der Börse Istanbul in Luft aufgelöst.

Am Anleihenmarkt sieht es ähnlich aus, und die türkische Lira hat seit Anfang Mai ein Fünftel ihres Wertes verloren. Es wird die Bevölkerung mit Zeitverzögerung massiv treffen - auch deshalb, weil in der Türkei viele Kredite nicht in der einheimischen Währung, sondern in Euro ausgegeben werden.

20,25 Prozent Leitzins

Tiefer ist die Lira nur deshalb nicht gestürzt, weil die Zentralbank seit Juni das Ruder umgelegt hat: Die Leitzinsen reichen jetzt von 17,25 bis 20,25 Prozent; das ist selbst für ein Land mit zehn Prozent Inflation viel.

Fünf Milliarden Dollar, so heißt es, haben ausländische Anleger zuletzt abgezogen und damit die drastische Erhöhung der Leitzinsen erzwungen. Diese Anleger sitzen vorzugsweise im Umkreis von zwei Kilometern rund um Susanne Gahler: Dort konzentrieren sich Pensionsfonds, die Vermögensverwalter der Versicherungen und die Investmentgesellschaften.

Sie arbeiten mit unvorstellbaren Beträgen: Umgerechnet 4000 Milliarden Euro dirigieren die Fondsmanager der Londoner City. So viel Löhne und Gehälter bekommen alle Deutschen zusammen in vier Jahren nicht. Den Hauptanteil dieser Summe verwalten nur 40 Anlagegesellschaften.

Weltweit gesehen ist die Geld-Macht nicht gleichmäßiger verteilt: Nach einer Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft PwC managen 80 Investmenthäuser 7000 Milliarden Euro.

Tatsächlich ist die Konzentration eher noch höher: Im Fall Türkei beispielsweise sitzen die Londoner Investmentmanager fast allein am Hebel: Die Wall Street hält sich hier zurück. "Für die liegt die Türkei halb im Irak", sagt Gahler.

Nach Machtmensch sieht sie gleichwohl nicht aus, und so tritt die Frau auch nicht auf: Kein Überbleibsel des Jahresbonus dekoriert ihren Hals.

Wenn sie redet, behauptet sie nicht, sondern argumentiert; jedes Mal fischt Gahler dabei aus den Stapeln auf der Seite eine Tabelle heraus: Investmentmanager müssen immer irgendjemand überzeugen - gelegentlich die Kunden, vor allem aber ihre Kollegen. Bei F&C jedenfalls - bei anderen Fondsanbietern ist es ähnlich - stellt kein Manager allein die Weichen; die großen, strategischen Entscheidungen fallen immer im Team, und möglichst einstimmig.

In der Praxis führt dies dazu, dass Fonds selten über Nacht ihren Kurs drehen: "Von uns wird erwartet, dass wir vorausschauend denken. Wenn einer heute das Gegenteil dessen verkündet, was er gestern gesagt hat, hat er ein Problem", erzählt die Managerin.

Beinahe täglich bespricht sie mit ihren Kollegen die Lage, vorbereitet wird das Treffen mit vielen E-Mails und Telefonaten rund um die Welt. Allerdings, "wenn es richtig haarig wird, dann lässt man PC und Handy auf der Seite und redet persönlich miteinander."

Gahler gehört nicht zu den risikohungrigen Mittdreißigern, die oft bei Investmentfonds das Sagen haben. Die 53-Jährige hat sich nach dem Studium in München und Stanford ihr ganzes Berufsleben auf die Schwellenländer konzentriert und schon viele Märkte boomen und stürzen sehen.

Und damit will ihr Arbeitgeber punkten: Große Finanzhäuser wie F&C weisen in Werbebroschüren für Großkunden gerne auf die lange Erfahrung ihrer Fondsmanager hin.

Alles auf dem Spiel

So hat sie auch die Türkei-Krise gut gemeistert. "Wir hatten viele Brasilien- und Asien-Anleihen in den Portefeuilles, aber in der Türkei waren wir schon vorher unterinvestiert." Auf deutsch: Der Rutsch traf sie wenig, denn in ihren Fonds lagen nur wenig Türkei-Anleihen.

Jetzt profitiert sie doppelt von der Krise: Zum einen schneiden ihre Fonds damit besser ab als der Durchschnitt, und genau darauf achtet die Branche. Zum anderen ist der Markt wieder interessant geworden: Seit fünf Jahren, bis Anfang 2006, herrschten bei Schwellenländer-Anleihen goldene Zeiten.

Aber dann büßten sie an Attraktivität ein. Der Renditevorsprung gegenüber den Anleihen großer Industriestaaten schmolz zum größten Teil weg. Noch dazu drückten die Zinserhöhungen in den USA und Europa weltweit auf die Kurse. Für einen Fondsmanager bedeutet das: Alles steht plötzlich auf dem Spiel, sein Einkommen, sein Prestige, selbst der Arbeitsplatz.

Inzwischen sehen die Graphiken für die Türkei-Werte wieder besser aus. Aber Gahler bleibt vorsichtig: "Ich bin nicht sicher, ob die Turbulenzen schon vorbei sind", sagt sie. Privat ist sie risikofreudiger: Jeden Morgen schlängelt sie sich zwischen Doppeldeckern, Lieferwagen und Motorradfahrern quer durch die Stadt ins Büro - auf dem Fahrrad.

© SZ vom 15.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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