Finanzplatz Deutschland:Land ohne Investoren

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Der Machtwechsel bei der Deutschen Börse demonstriert wie kein Beispiel zuvor den wachsenden Einfluss angelsächsischer Kapitalgeber in der deutschen Wirtschaft.

Von Martin Hesse

Erstmals haben ausländische Fonds die Führung eines Dax-Konzerns verjagt und die Kontrolle über eines der 30 größten börsennotierten Unternehmen des Landes gewonnen.

Einige dieser Fonds zählen zu jenen Finanzinvestoren, die SPD-Chef Franz Müntefering mit Heuschrecken verglich, weil sie in seinen Augen Unternehmen abgrasen und nach kurzer Zeit geschwächt zurücklassen.

Ob die Deutsche Börse geschwächt oder gestärkt aus dem Führungswechsel hervorgehen wird, ist offen.

Richtig ist, dass Hedge-Fonds wie der neue Börsen-Großaktionär TCI in der Regel kurzfristige Anlagestrategien verfolgen und erst neuerdings aktiv in die Unternehmensführung eingreifen.

Darin unterscheiden sie sich von Beteiligungsgesellschaften wie KKR oder Permira, die bereits bewiesen haben, dass sie nicht nur Kosten drücken und mit Finanzierungstricks ihren Gewinn maximieren können, sondern vielfach Arbeitsplätze schaffen.

Fonds nutzen neue Chancen

Angelsächsische Investoren nutzen Chancen, die ihnen deutsche Politiker, Banken und Manager eröffnet haben. Sie kaufen vernachlässigte Konzernsparten und erwerben Infrastrukturfirmen der klammen öffentlichen Hand.

Und es war die Bundesregierung, die im Jahr 2000 den Verkauf von Beteiligungen steuerfrei stellte. So schuf sie Anreize für die Deutsche Bank und andere, jene Aktienpakete abzustoßen, über die sie die Geschicke Dutzender Unternehmen bestimmten und den Einstieg unwillkommener Aktionäre blockierten.

Die deutschen Banken, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Aufstieg Deutschlands zu einer führenden Industrienation finanzierten, ziehen sich zudem als Kreditgeber aus Teilen der Wirtschaft zurück.

Das an vielen Stellen benötigte Kapital kommt nicht zufällig vorwiegend aus dem Ausland. Angelsächsische Beteiligungsfirmen sammeln ihr Geld vorwiegend bei betrieblichen und staatlichen Pensionsfonds und -kassen, auf denen ein Großteil der Altersvorsorge basiert.

Deutsche investieren weniger in Aktien

In Deutschland aber macht die gesetzliche Rentenversicherung etwa 80 Prozent der Altersvorsorge aus. Dieses Geld fließt nicht in Risikoanlagen wie Aktien und außerbörsliche Beteiligungen, sondern wird vom Staat umverteilt.

Stünde bei der Deutschen Börse oder bei DaimlerChrysler in großem Stil die Altersvorsorge deutscher Arbeitnehmer auf dem Spiel, erschiene vielen Bürgern und Politikern das Handeln der Finanzinvestoren in einem anderen Licht. Die Ausrichtung von Unternehmen an den Interessen der Aktionäre käme im Idealfall breiten Bevölkerungsschichten zugute.

Doch hat die Verquickung dieser Shareholder-Value-Philosophie mit der Altersvorsorge schwere Mängel. In den USA bleiben Arbeitslose und Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge weitgehend außen vor.

Verwerfungen durch Aktionärsinteressen

Die Versicherten tragen zudem hohe Risiken. Zweitens hat die vermeintliche Ausrichtung an Aktionärsinteressen in der Vergangenheit zu Verwerfungen geführt: So stand der Wachstumswahn der New Economy unter dem Leitbild des Shareholder-Values.

Heute neigen Unternehmen zu einem anderen Extrem: Sie schütten große Teile der Gewinne an die Aktionäre aus, um deren Ertrag kurzfristig zu maximieren. Unterbleiben deshalb sinnvolle Investitionen, ist das eine Gefahr für die Unternehmen.

Den Zustrom ausländischen Kapitals können und sollten deutsche Politiker nicht bremsen. Es geht darum, nach und nach auch hier einen größeren Teil der Altersvorsorge in produktive Kapitalanlagen umzuleiten.

Erste Voraussetzungen hat die Regierung mit der Rentenreform 2001 geschaffen. Zweitens sollten auch die deutschen Fondsgesellschaften sich aktiver in die Unternehmenspolitik einmischen und gegen eine falsch verstandene Shareholder-Value-Politik stellen.

© SZ vom 11.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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