Finanzkrise:So wächst Europa zusammen

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Europas Süden bekam den Euro zu schnell. Nun soll der Norden für das marode Portugal, Griechenland, Spanien einstehen? Empörend! Dabei können Süden und Norden zusammen stark sein, wenn jeder vom anderen lernt.

Sebastian Schoepp

Als der französische Außenminister Robert Schuman 1950 in einer Rede die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorschlug, die der Vorläufer der EU wurde, sagte er: "Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen."

Während die Generation iPad im Norden für das Recht auf kostenlosen Download von Musik aus dem Internet demonstriert, geht Südeuropas Jugend für die Reform eines zynischen Wirtschaftssystems auf die Straße - wie hier in Madrid. (Foto: REUTERS)

Als sich 50 Jahre später die Euro-Länder zur Währungsunion zusammenschlossen, taten sie genau das, wovor Schuman gewarnt hatte: Sie schufen eine "einfache Zusammenfassung", eine Ballung unterschiedlicher, teils konträrer Lebens- und Wirtschaftssysteme. Die von Schuman postulierte "Solidarität der Tat" ist erst jetzt, hinterher, gefragt.

Vielleicht liegt es an dieser verkehrten Reihenfolge, dass es mit dieser Solidarität in Europa nicht weit her ist. Und ist es nicht wirklich viel verlangt, ja empörend, wenn europäische Steuerzahler für das unseriöse Wirtschaften spanischer Banken eintreten sollen, die in kalifornischer Zockermanier Habenichtsen Kredite zu 120 Prozent für einen Hauskauf aufschwatzten - und eine Spekulationsblase aufpumpten, die platzen musste?

Ja, es ist empörend, aber es wird wohl nicht anders gehen. Lange kann man darüber lamentieren, dass die Probleme Griechenlands, Italiens, Spaniens und Portugals absehbar waren. Der Norden wollte sie nicht sehen, neben der Hoffnung auf Absatzmärkte waren allerlei romantische Gründe im Spiel, den Süden in die Euro-Zone aufzunehmen. War Griechenland nicht die Wiege der Demokratie, Italien nicht Hort der Kunst? Waren nicht Spanien und Portugal die Seemächte, die einst aus der Neuen Welt das Gold mitbrachten, das auf dem Umweg über mitteleuropäische Kreditgeber den Grundstein für die Industrialisierung der alten Welt legte? Nun muss das, was einst im Impetus romantischer Verklärung geschlossen wurde, in praktische Solidarität münden, wie in einer guten Ehe. Oder man löst die Verbindung.

Spanien, Portugal und Griechenland, die Länder, die auf Hilfe bei der Lösung ihrer Finanzprobleme angewiesen sind, waren vor 30 Jahren arm. Anders als in der nördlichen Verklärung war das Leben im Süden nie leicht. Die Städte waren eng und grau, das flache Land verkarstet und verlassen, die von Diktaturen ererbte Bürokratie marode und statisch. Die auch vom Norden ausdrücklich gewünschte, rasche Angleichung der Lebensverhältnisse führte dazu, dass die Südländer den Euro zuerst in die Versorgung investierten, in Sozialsysteme, Renten, Wohnungsbau, Straßen. Der Umbau zu modernen Produktivgesellschaften hinkte hinterher, das kurzzeitige Wachstum stützte sich auf traditionelle Wirtschaftsformen. So finden sich unter dem Dutzend Großkonzernen, die Spanien hervorgebracht hat, vor allem Banken, Textil- und Baukonzerne - jedoch kein einziges Technologieunternehmen.

Der Süden begann äußerlich zu vernorden, erklärte die Siesta zum Museumsstück und ergab sich einem durchgetakteten Lebensstil zwischen Reihenhaus, U-Bahn und Computerarbeitsplatz. Die Vorstädte von Madrid unterschieden sich äußerlich kaum mehr von denen Amsterdams oder Münchens. Kurzzeitig sah es so aus, als sei Europa eins. Doch hinter den modernen Fassaden lebte die alte Lebensweise fort, die im Süden persönliches Glück weniger im Erreichen individueller Leistungsziele sucht als in der Pflege der sozialen Gemeinschaft.

Und war es nicht genau diese Lebensweise, die der Norden am Süden so gerne verklärte? Der Süden, schreibt der französische Philosoph Edgar Morin, setze dem mechanisierten Denken des Nordens eine poetisch-ganzheitliche Sichtweise entgegen, welche die dem Leben innewohnenden Qualitäten stärker betone als der Quantifizierungsanspruch des Nordens. Es sei genau diese Poesie, kritisiert Morin, welche der Norden nun als Rückständigkeit auslege, oder, in der Urlaubssaison, als Folklore. Der Norden hat sich nie die Mühe gemacht, den Süden zu verstehen. Man dachte, allein durch das leichtere Reisen mit Euros in der Tasche sei man südländischer geworden, weil man ja jetzt Carpaccio esse, sich mediterran einrichte, kleide. Seit der Krise sind jedoch längst überwunden geglaubte Stereotype zurück. Einst als nachahmenswert empfundene Eigenheiten werden zum Gegenstand bösartigen, ja rassistischen Spotts auf beiden Seiten.

Voneinander lernen

Auf Unverständnis fußen die überforschen Forderungen, die im Norden nun an den Süden gestellt werden. Man müsse jetzt mal eben den Arbeitsmarkt und das Rentensystem umbauen, sparen, sparen, sparen, den Kündigungsschutz aufheben, die öffentlichen Investitionen stoppen, kurz: das Erreichte opfern - dann werde schon alles werden, fordern die Technokraten aus Brüssel und Berlin. Dabei wird verkannt, dass man gewachsene Systeme nicht binnen weniger Monate umbaut. Die nachwachsenden Generation des Südens haben damit begonnen, aber sie brauchen Zeit - und sie brauchen gezielte Hilfe, auch finanzielle.

Bevor man nun also vorschnell die Verbindung löst, sollte man auf die Chancen blicken. Die Ideale des Südens sind nur auf den ersten Blick unproduktiv. Dort mag der Tüftel-Ingenieur, der sein Leben auf die Entwicklung eines hochspezifischen Maschinenteils ausrichtet, weniger oft anzutreffen sein als in Schwaben - dafür aber bringen Spanier und Portugiesen die empathischen Fähigkeiten mit, dieses Teil in der Welt zu vermarkten: Mit anderen Worten - Süden und Norden können zusammen stark sein, wenn jeder vom anderen lernt.

Die große Migration, die nun krisenbedingt einsetzt, bringt Süden und Norden zusammen. Spanische Ingenieure und schwäbische Maschinenhersteller haben das längst verstanden. Auf kleiner, kommunaler Ebene laufen in vielen Teilen Nord- und Mitteleuropas Initiativen zur beruflichen Integration, die das bewerkstelligen, woran die große Politik gescheitert ist: Sie führen Europa zusammen. Die Südländer lernen, sich in der kompetitiven Technokratie des Nordens zu behaupten und ihre individuellen Fähigkeiten zu stärken, die das Bildungssystem zu Hause zu lange vernachlässigt hat. Der Norden wiederum kann sich vom hierzulande verloren gegangenen Familiensinn etwas abschauen, der derzeit den Süden am Leben hält.

Ein Beispiel gibt der Süden für Krisenbewältigung. Man mag sich nicht ausmalen, was in Deutschland los wäre, gäbe es hier 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. In Spanien und Portugal protestieren die Menschen, aber sie tun es mit Respekt vor der Demokratie. Und sie sind durch ihre Erfahrungen sensibler geworden für das, was wirklich zählt im Leben. Während die Generation iPad im Norden für das Recht auf kostenlosen Download von Musik aus dem Internet demonstriert, geht Südeuropas Jugend für die Reform eines zynischen Wirtschaftssystems auf die Straße, das auch dem Norden Wohlstand und Sicherheit kosten kann. Möglich, dass er sich dann auf den von Schuman postulierten, südlichen Wert der Solidarität der Tat wird besinnen müssen.

© SZ vom 09.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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