Fernsehen:Kölner Chaostage

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Hire and Fire in Rekordzeit: Der Sender RTL bietet ein buntes Programm - Geschäftsführer Marc Conrad wurde nach nur hundert Tagen gefeuert.

Von Ulf Brychcy und Hans-Jürgen Jakobs

Es war sein erstes und sein letztes Interview als Chef von RTL Television in Köln. Früher habe der Privatsender den Zuschauern mit Formaten wie Tutti Frutti das Korsett geöffnet, heute aber sei "Politik der neue Sex", sagte er und redete von der Fruchtfolge auf dem Bauernhof, von "Märchenstruktur" und der Dschungelshow als "moderner Oper".

Marc Conrad (Foto: Foto: dpa)

Ein Satz lautete, er sei als Unternehmer und Produzent Anfang November 2004 "mit leeren Händen gekommen und nicht mit fertigen Konzepten". Sind so leere Hände?

Das war nicht gerade das, was die Spitzenkräfte des Gütersloher Medienkonzerns Bertelsmann und der RTL Group vom Leiter ihrer wichtigsten Firma erwarten. Am Mittwoch erschienen auf zehn Seiten die Glaubensbekenntnisse des Marc Conrad in epd medien, dem Branchenblatt des Evangelischen Pressedienstes. Am Donnerstag war der Manager seinen Job los - bizarre Bilanz der ersten hundert Tage.

RTL-Group-Chef Gerhard Zeiler hat ihm einen Schlüsselsatz gesagt: "Ich habe es mir komplett anders vorstellt." Am Mittwoch referierte der Österreicher zusammen mit Conrad vor den entsetzten Betriebsräten, dass sich ihre Wege wieder trennen müssten.

Zeiler übernimmt wie früher die Leitung des deutschen RTL-Senders gleich mit, wobei er durch Anke Schäferkordt entlastet wird: Die Chefin des Kanals Vox übernimmt weitreichende Aufgaben in der RTL Group und wird Vize-Chefin in Köln.

Ein bisschen Explosiv, ein bisschen Strafgericht, ein bisschen Frei Schnauze: So viel Wahnsinn war nie bei RTL und im deutschen Privatfernsehen.

Hire and Fire in Rekordzeit: Die Kölner machen den Eindruck, als sei die Dramatik mancher ihrer Serien aufs Management übergegangen. "Manchmal kommt es anders, als man es sich wünscht", kommentiert Zeiler.

Man habe gemeinsam die Entscheidung gefällt und bleibe persönlich befreundet. RTL wolle selbstverständlich weiter mit dem TV-Produzenten Conrad und seiner Firma Typhoon arbeiten.Zu den Gründen des Rauswurfs mag Zeiler nichts sagen.

Gerhard Zeiler (Foto: Foto: ddp)

Weder das epd-Interview noch Warnsignale von Bertelsmann hätten eine Rolle gespielt. Nur so viel sagt er: "Man macht so etwas ja nicht aus Jux und Dollerei." Und: "Die Verantwortung liegt bei mir."

Das stimmt. Monatelang hatte Zeiler den früheren RTL-Programmchef Conrad bekniet, zurückzukehren an die alte Wirkungsstätte. Zweimal sagte der Umworbene ab. Bei RTL wurde der 44-Jährige dann erwartet wie der Messias.

Das Frohsinn-Fernsehen dort war längst umwölkt von Problemen. Klassiker wie Wer wird Millionär? wurden schwächer, große Innovationen fehlten weitgehend. Gegenüber dem Hochjahr 2003 verloren die TV-Macher im Januar bei den 14- bis 49-Jährigen fast vier Prozentpunkte - der aktuelle Marktanteil von 15,9 Prozent gilt in Gütersloh als kritischer Wert.

Bei allen Zuschauergruppen hat RTL die Marktführerschaft an die ARD verloren.

Verantwortlich für den Niedergang ist Zeiler, der auch nach Conrads Start in Köln sehr präsent blieb. "Der hat eine Bruchbude hinterlassen", sagt ein Beteiligter. Von Conrad hörte man viele Wochen nichts und die Bertelsmann-Eigentümerin Liz Mohn fragte intern schon mal nach: "Was macht Conrad?"

Für Irritationen sorgten dann Spekulationen, der Neue könne den einstigen RTL-Patron Helmut Thoma nachziehen, worüber die SZ berichtete. Das aber wollen die Konzern-Verantwortlichen offenbar nicht. Zeiler dementierte mit harschen Worten in der Frankfurter Allgemeinen.

Die Kölner Chaostage wurden offensichtlich. Thoma sagte Spiegel Online, Conrad müsse "sehr erschrocken" gewesen sein von dem, was er bei RTL vorgefunden habe - "schlicht und einfach gar nichts". Zeiler habe "inhaltlich noch nie etwas getan" und einen geholt, "der die Kastanien aus dem Feuer holen sollte".

Zunächst kümmerte sich Conrad um viele Details. Verschob Sendungen im Programm. Stimulierte das Projekt "politische Talkshow". Wohnte einem Treffen der RTLGroup in Kitzbühel mit Bertelsmann-Chef Gunter Thielen bei. Für die nötige Entwicklung neuer TV-Filme oder Serien habe er jedoch kaum Geld loseisen können, erzählt ein Geschäftspartner. Sein Büro wirkte leer. Irgendwo hing eine Zirkusdirektor-Jacke, die ihm andere Produzenten geschenkt hatten.

Viel Zeit gaben sie ihm nicht bei Bertelsmann. Man wartete auf kraftvolle strategische Aussagen und nicht auf Debatten um Programmqualität oder auf "Micromanagement", wie es einer ausdrückt.

Conrad sei auf dem Planeten RTL nicht angekommen. Er brachte etwa eine Neuauflage der Verbrauchershow Wie bitte? ins Spiel, die bei Werbekunden unpopulär war. Eigentümer Bertelsmann aber geht es um weiter sprudelnde Gewinne. RTL könne "kaputtgespart" werden, warnt ein Manager. Zeiler will von einer Negativbilanz nichts wissen.

Die Senderfamilie rund um RTL - mit RTL2, Vox, SuperRTL und n-tv - liege mit 37 Prozent Marktanteil klar vor der Pro-Sieben-Gruppe (29 Prozent). Es sei gelungen, kleine Kanäle zu stärken - "in den nächsten Monaten aber wird der Fokus wieder stärker auf dem Hauptsender RTL liegen", so Zeiler.

Sicher, man habe nicht mehr "fünf Runden Vorsprung, sondern nur noch drei" - eine Krise aber sei das nicht. Durch den Erfolg von DVDs seien beim Zuschauer nun mal US-Filme nicht mehr so gefragt und aufgrund des Werbeeinbruchs habe man nicht mehr so viel Geld für Sportrechte. Zudem liefen Samstagabend-Sendungen bei RTL nicht wie gewohnt.

Solche Probleme will der neue alte Chef von RTL Television nun angehen. Es geht ihm um Beständigkeit, um mehr hilfreiche Reality-Formate à la Super Nanny sowie um ein breiteres Familienprogramm: Versuche wie Beauty Queen, eine Schmonzetten-Serie rund um Schönheitschirurgen, gelten als gescheitert.

Für Zeiler beginnt eine neue Bewährungsprobe. In Gütersloh wird ihm der Conrad-Crash durchaus angelastet. Die Lösung mit TV-Super-Nanny Schäferkordt sieht der RTL-Gewaltige "nicht als Notkonstruktion, sondern als eine auf Jahre tragfähige Konstellation". Tatsächlich soll die Managerin wohl lernen, RTL Television allein zu steuern.

Marc Conrad muss sich über den Imageschaden mit der Abgeltung der Restlaufzeit seines mehrjährigen Vertrags erfreuen. Sein Freund Stefan Aust aus der Spiegel-Chefetage erkundigte sich ebenso schnell nach dem Unfall wie Focus-Zampano Helmut Markwort. Conrad ist in der Branche sehr geschätzt.

Viele lesen sein erstes, letztes Interview nun noch mal - und lernen immer wieder dazu: "Insgesamt leben wir heute in einer Stresssituation, in der man schnell aufeinander losgeht", so Conrad: "Die Einschläge haben den Mittelstand erreicht." Getroffen.

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