Fairer Handel:Der Kunde als Schiedsrichter

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Viele Firmen bezeichnen ihre Produkte als fair produziert. Aber wer kontrolliert das eigentlich? Die Organisation Forum Fairer Handel fordert seit Jahren mehr Transparenz in der Lieferkette.

Von Marcel Grzanna

Auf Kaffee entfällt ein Drittel des gesamten Umsatzes aller fairen Waren. (Foto: Ulises Rodriguez/Reuters)

Fairness ist ein Verhaltenskodex im sportlichen Wettbewerb. Nur in Ausnahmen wird grob gegen ihn verstoßen und dann auch geahndet. Im internationalen Handel ist es genau anders herum. Hier ist Fairness häufig die Ausnahme. Die Wertschöpfungskette basiert oft auf einem Ungleichgewicht. Im Vergleich zum Sport stehen die Verlierer von Beginn an fest. Es sind Kleinbauern, Arbeiter und Kinder, die meistens im globalen Süden die Rohstoffe anbauen, ernten oder produzieren, die für die Versorgung des Rests der Welt mit Gütern aller Art benötigt werden.

Einen Schiedsrichter, der Unfairness auf dem Weltmarkt bestrafen würde, gibt es nicht. Dafür aber zahlreiche Organisationen, die ein wachsendes öffentliches Bewusstsein für das Ungleichgewicht schaffen, Zertifizierer zum Beispiel. Die protestieren nicht gegen Unfairness, aber kennzeichnen dafür Produkte, wenn diese fair produziert und gehandelt werden. Das impliziert, dass viele andere Produkte dies eben nicht sind.

Der Kunde wird zum Schiedsrichter und wird sich dieser Rolle zunehmend bewusst. Die Konsequenz ist eine steigende Nachfrage nach Fair Trade. 2019 stiegen die Umsätze fair gehandelter Produkte in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um fast zehn Prozent auf 1,85 Milliarden Euro. "Insgesamt ist das Bewusstsein für die Ungerechtigkeit des Welthandels in der deutschen Bevölkerung recht ausgeprägt. Jedoch ist es ein großer Schritt, vom veränderten Bewusstsein zum veränderten Handeln zu kommen", sagt die Vorstandsvorsitzende Andrea Fütterer vom Verband Forum Fairer Handel.

Nachhaltigkeit kommt gut an - doch manche Unternehmen schmücken sich nur damit

Aktuell hat die Branche Auftrieb. Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sind Themen, die zunehmend ins Zentrum öffentlicher Debatten rücken. In den vergangenen sieben Jahren verdreifachte sich das Umsatzvolumen des fairen Handels in Deutschland. Den Großteil der Produkte, etwa drei Viertel, machen Lebensmittel aus, vor allem Kaffee, auf den ein Drittel des gesamten Umsatzes aller fairen Waren fällt. Südfrüchte sowie sonstige Lebensmittel, Blumen und Textilien sind weitere Umsatztreiber.

Steigende Zahlen wecken Begehrlichkeiten bei denen, die fairen Handel eher stiefmütterlich behandeln. Immer mehr Unternehmen betonen die vermeintliche oder reale Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätigkeit in ihrer Kommunikation, weil gesellschaftlicher und politischer Druck steigen. Der Verband sieht das grundsätzlich positiv, beobachtet jedoch mit Sorge, "dass Unternehmen als Reaktion darauf ihre eigenen ethischen Labels ins Leben rufen und gegebenenfalls selbst kontrollieren." Der Vorwurf lautet, sie würden damit Verwirrung stiften - sowohl bei Konsumenten, als auch bei Beschaffern.

Eine Kaffeeplantage in San Libertad. (Foto: Ulises Rodriguez/Reuters)

Beispiel Nestlé: Der Schweizer Lebensmittelkonzern teilte im Juni mit, Zucker und Kakao für seine KitKat-Riegel in Großbritannien künftig nicht mehr zu Fairtrade-Konditionen beziehen zu wollen. Stattdessen würde das Milliarden-Unternehmen auf eine konzerneigene Initiative setzen. Kritiker mahnen, dass die externe Kontrolle und damit ein wichtiges Stück Transparenz wegfielen. Leidtragende seien 27 000 Kleinbauern in der Elfenbeinküste, auf den Fidschi-Inseln und in Malawi, die künftig auf mehr als zwei Millionen Euro Fairtrade-Prämien pro Jahr verzichten müssen. "Wer Fairness verspricht, muss das auch nachweisen. Deswegen erkennen wir nur Siegel und Labels an, bei denen von unabhängiger Stelle überprüft wird, ob und wie die internationalen Kriterien des Fairen Handels eingehalten werden" sagt Fütterer.

Eine dieser Stellen ist die Zertifizierungsorganisation Flocert. Sie bewertet nach den Standards, die von internationalen Dachorganisationen wie Fairtrade International, World Fair Trade Organization (WFTO) und European Fair Trade Association (EFTA) definiert worden sind. Dazu zählen Mindestpreise und faire Arbeitsbedingungen, Prämien und Umweltstandards, Vorfinanzierungen und Schulungen für Bauern, langfristige und transparente Handelsbeziehungen sowie Bildungsarbeit und Kontrollen.

Die Herausforderung bei Zertifizierungen ist, dass die Begriffe "Fair" oder "Fairer Handel", anders als Bio, rechtlich nicht geschützt sind. "Was fehlt, sind einheitliche, besser noch gesetzliche Grundlagen, die definieren, was genau unter 'sozial', 'fair' und 'umweltverträglich' zu verstehen ist. Dann könnten nämlich seriöse von unseriösen Anbietern klar abgegrenzt und beim Einkauf erkannt werden", sagt Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale NRW. Auf ihrer Internetseite listen die Verbraucherschützer zwölf Siegel auf, denen Verbraucher vertrauen können, wenn ihnen Fairness am Herzen liegt, allerdings in einigen Fällen mit einer kleinen Einschränkung.

Für Kakao, Tee, Zucker und Orangensaft gilt der sogenannte Mengenausgleich, bei dem konventionelle und fair gehandelte Rohstoffe vermischt werden können. Fairtrade International argumentiert, dass es bei diesen vier Produkten nicht möglich sei, konventionelle und faire Ware im gesamten Prozess der Weiterverarbeitung voneinander zu trennen. Der Kompromiss lautet, dass nur so viel Schokolade mit dem Fairtrade-Siegel verkauft werden darf, wie die entsprechende Menge Fairtrade-Kakao eingekauft wurde. "Die Verbraucherzentralen bewerten den Mengenausgleich und die verhaltene Kommunikation kritisch und sehen ihn nur als kurzfristige Übergangslösung. Wenn 'Fair' drauf steht, muss auch 'Fair' drin sein", sagt Burdick. Der Mengenausgleich ist jahrelang angewendet, aber kaum kommuniziert worden.

Das Forum Fairer Handel fordert seit Jahren ein Lieferkettengesetz, das einen nach ökologischen und sozialen Kriterien ausgerichteten Handel standardisieren und damit eine Differenzierung zwischen fair und konventionell erübrigen würde. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap sprachen sich 75 Prozent der Befragten für ein Gesetz aus, mit dem deutsche Unternehmen künftig dafür sorgen müssten, dass ihre Produkte nicht unter Verletzung von Menschenrechten im Ausland hergestellt werden. "Ein starkes Lieferkettengesetz und das Verbot von unfairen Handelspraktiken wären wichtige erste Schritte zu einer Handelspolitik, die den Menschen und die Natur in den Vordergrund stellt und sich damit als zukunftsfähig erweist", sagt Verbandsvorsitzende Fütterer.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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