Exportweltmeister:Titel ohne Wert

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Der starke Euro lässt auf kuriose Weise den Deutschlands Exportstrom anschwellen.

Von Helga Einecke

(SZ vom 16.10.2003) — Die Deutschen sind wieder wer — Exportweltmeister. Das zumindest legen internationale Statistiken nahe. Für den August meldet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) deutsche Ausfuhren im Wert von 62 Milliarden Dollar — und das ist mehr, als die Vereinigten Staaten exportieren.

Diese Monatszahl und ihren Vergleich mit den USA kann man möglicherweise als Tendenz für das gesamte Jahr hochrechnen. Aber allein daraus Rückschlüsse für die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Wirtschaft zu ziehen, wäre verkehrt.

Die OECD rechnet nämlich die in Euro ermittelten deutschen Ausfuhren in Dollar um. Weil der Eurokurs im Laufe des vergangenen Jahres um 15 bis 20 Prozent zugelegt hat, steigen die in Dollar bezifferten Warenströme zwangsläufig. Vor allem der starke Euro macht die Deutschen also zur Nummer Eins des Welthandels.

Die Volkswirte der Bundesbank sehen für Siegerposen keinen Grund. Sie berufen sich lieber auf eigene Berechnungen. Die Bundesbank erhebt die Weltmarktanteile der Ausfuhren, die sie in einem ihrer Monatsberichte um die Wechselkurse bereinigt hat.

70 Prozent aller PKW gehen ins Ausland

Am besten standen die deutschen Exporteure in der ersten Hälfte der 80er Jahre mit einem realen Anteil von elf Prozent da. Danach ging es bergab bis zu einem Anteil von unter neun Prozent, vor allem der Wiedervereinigung wegen.

Bis 2001 waren wieder mehr als zehn Prozent erreicht. Vergleicht man Deutschland nur mit den anderen Industrieländern, die an die aufstrebenden Marktwirtschaften Handelsanteile abgeben mussten, erreichen Produkte made in Germany mit 16 Prozent sogar alte Rekordstände.

So beeindruckend die Stellung der deutschen Industrie an den Weltmärkten sein mag, sie allein hilft der deutschen Wirtschaft nicht aus der Stagnation.

Zwar gehen 70 Prozent aller hierzulande hergestellten Autos ins Ausland. Die Maschinenbauer liefern 60 Prozent ihrer Anlagen über die Grenzen. Aber in Deutschland mangelt es trotzdem an Investitionen und Kaufkraft. Nach einem klassischen Konjunkturmuster springt erst die Nachfrage aus dem Ausland an und greift dann auf den Binnenmarkt über.

Die Volkswirte der Dresdner Bank etwa glauben daran, dass der deutsche Konsum im kommenden Jahr deutlich zunimmt. Sie rechnen mit einer Entlastung der Löhne durch Steuerreform und sinkende Krankenkassenbeiträge um 17 Milliarden Euro. Voraussetzung ist natürlich die Umsetzung der Reformen, also der Anreiz des Staates für die Binnennachfrage.

Bei einem weiter steigenden Eurokurs könnte im Übrigen dem so genannten Exportweltmeister über kurz oder lang die Puste ausgehen. Die Volkswirte sind sich weitgehend einig, dass bei einem Euro-Kurs von dauerhaft über 1,20 Dollar deutsche Produkte für viele Abnehmer am Weltmarkt zu teuer werden.

Das gilt zwar nur für Kunden außerhalb des Euroraums, aber die nehmen rund zwei Drittel der hiesigen Waren ab. Das ist keine Einbahnstraße: Je günstiger die Waren der Konkurrenten am Weltmarkt, desto mehr drängen deren Einfuhren nach Deutschland - erst recht, wenn hierzulande Konsum und Investitionen zulegen.

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