Europazentrale:Merck kommt nach München

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Der amerikanische Pharmakonzern entscheidet sich gegen Zürich, London und Amsterdam - die bayerische Hauptstadt punktet mit ihrer guten Infrastruktur und moderaten Löhnen.

Kristina Läsker

Die Pharmafirmen haben in jüngster Zeit in Deutschland kräftig entlassen, doch nun gibt es einen Lichtblick: Der amerikanische Arzneimittelhersteller Merck & Co. errichtet seine neue Zentrale für Europa, den Nahen Osten, Afrika und Kanada in Haar bei München, wo sich bereits die deutsche Niederlassung MSD befindet.

Bayerns Wirtschaftsminister Erwin Huber ist erfreut: Ein weiterer Pharmakonzern siedelt sich in Bayern an. (Foto: Foto: AP)

Bis Ende des Jahres will der Konzern aus New Jersey 30 neue Stellen aufbauen. "Wir wollen das regionale Headquarter näher zum Kunden bringen", sagte der zuständige Manager Stefan Oschmann im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Im Vorfeld der Entscheidung hatte Bayerns Wirtschaftsminister Erwin Huber kräftig für den Standort geworben. Und so ist der Minister - trotz der geringen Stellenzahl - "euphorisch", wie er selbst sagt. "Das ist ein großer Erfolg für den Freistaat." Huber sieht in der neuen Zentrale vor allem einen Imagegewinn für Bayern. "Es ist doch gut, dass dann aus der halben Welt Leute hierher reisen."

Standort München

Im Großraum München haben sich, gefördert vom Freistaat, bereits mehr als 100 kleinere Biotechnologie-Firmen und einige Pharmakonzerne wie Roche und Glaxo Smith Kline angesiedelt, worauf Bayern stolz ist. Finanzielle Zugeständnisse an Merck habe es aber nicht gegeben, betonte der CSU-Politiker.

Der Standort München habe sich im Wettbewerb gegen Zürich, London, Brüssel, Amsterdam und Wien durchgesetzt, sagte Merck-Manager Oschmann. "Der wichtigste Faktor für München ist die gute Verkehrsanbindung." Für eine Zentrale in Deutschland hätten im Vergleich auch die moderaten Löhne für Führungskräfte und die niedrigen Wohnkosten gesprochen.

Die hohen Steuersätze hätten die Entscheidung nicht beeinträchtigt. Von München aus will Merck die Märkte in Europa, Afrika, Kanada und dem Nahen Osten steuern, von dort stammt ein Viertel des Jahresumsatzes, der mehr als 22,6 Milliarden Dollar beträgt.

Mitten im Umstrukturierungsprozess

Die krisengeschüttelte Pharmafirma - sie ist nicht verbunden mit dem namensgleichen Unternehmen Merck aus Darmstadt - befindet sich mitten in der Umstrukturierung. Seit Monaten verändert der siebtgrößte Arzneimittelkonzern der Welt die Geschäftsprozesse. Um die Märkte besser zu bedienen, sollen Büros in Europa, Asien und Lateinamerika entstehen.

Allein in diesem Jahr wird dieser Umbau zwischen 300 und 500 MillionenDollar kosten. Bis Ende 2008 streicht der Hersteller zudem jede elfte Stelle, das entspricht 7000 Arbeitsplätzen. Die deutsche Tochterfirma MSD mit etwa 1400 Mitarbeitern sei aber nicht betroffen. "Es wird keinen weiteren Stellenabbau geben", sagte Oschmann.

Intern stehen mehrere Führungswechsel an. Die erst 58-jährige, langjährige Finanzchefin Judy Lewent geht bereits im Juli in Rente. Ein Nachfolger sei noch nicht gefunden, so Oschmann. "Wir suchen intern und extern." Zu den Gerüchten, wonach der Österreicher Peter Löscher schon Ende April den 60-jährigen Firmenchef Richard Clark ablösen soll, wollte sich der Europachef nicht äußern.

Hohe Verluste

Merck & Co. leidet noch immer unter dem Rückzug des Schmerzmittels Vioxx im September 2004. Eine Studie hatte ergeben, dass eine langfristige Einnahme der Pille das Risiko eines Herzinfarkts verstärken kann. Es sind etwa 27.400 Vioxx-Klagen anhängig. Allein für die Prozesskosten hat Merck Rückstellungen über 858 Millionen Dollar gebildet.

2006 waren zudem die Umsätze des milliardenschweren Kassenschlagers Zocors eingebrochen, nachdem der Cholesterinsenker den Patentschutz verloren hatte. So konnte Merck den Umsatz nur um drei Prozent steigern, während der Pharmamarkt weltweit durchschnittlich doppelt so stark wuchs. Das Vorsteuerergebnis von Merck war sogar rückläufig.

Bedrohung durch Generika

Die Konkurrenz durch billigere Nachahmer (Generika) ist eine echte Bedrohung: Bis 2012, so schreibt die Ratingagentur Fitch, verlieren neben Zocor drei weitere umsatzstarke Medikamente den Patentschutz, betroffen seien 56 Prozent des Jahresumsatzes. Auch die in der Entwicklung befindlichen oder frisch für den Verkauf zugelassenen Arzneimittel könnten diesen Umsatzrückgang in nächster Zeit nicht komplett auffangen, meinen die Fitch-Analysten.

Mercks Hoffnungen ruhen auf zwei neuen Produkten: Zum einen ein Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs für junge Mädchen. Das innovative Mittel ist seit Dezember in Deutschland zu haben. Außerdem setzt Merck auf das Arzneimittel Januvia gegen Typ-2-Diabetes, das in den nächsten Monaten auf den deutschen Markt kommt. Die Investmentbank Lehman Brothers erwartet, dass Januvia im Jahr 2012 etwa 1,5 Milliarden Dollar Umsatz einbringen wird.

Für Oschmann geben auch diese beiden neuen Produkte Anlass, die neue Zentrale in Deutschland anzusiedeln. "Beide Medikamente stammen ursprünglich aus deutschen Labors", sagte er. Merck wolle künftig stärker mit jungen Biotechnologiefirmen auch in Deutschland kooperieren. "Die deutsche Pharmaforschung wird wieder stärker."

© SZ vom 24.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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