Europas Haushaltssünder: la Grande Nation:Offene Missachtung

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Frankreich steht zur Verletzung der Stabilitätskriterien und hofft auf Unterstützung Deutschlands

Von Gerhard Bläske

Jean-Pierre Raffarin und Romano Prodi begrüßten sich bei ihrem Treffen am Mittwoch herzlich: Doch was der französische Regierungs-Chef dem EU-Kommissionspräsidenten zu sagen hatte, war alles andere als nach dem Geschmack des Italieners. Er werde keinesfalls eine Sparpolitik verfolgen, die die Konjunktur abwürge, so Raffarin. Seine Priorität gelte der Wachstums- und Beschäftigungspolitik.

Die Botschaft hätte nicht klarer sein können. Frankreichs Haushaltsdefizit wird bestenfalls 2005, vielleicht aber auch erst 2006 wieder unter drei Prozent des Bruttoinlandproduktes sinken. Das Land wird damit im kommenden Jahr zum dritten Mal einen Haushaltsfehlbetrag über der Drei-Prozent-Marke ausweisen: Nach 3,1 Prozent 2002 wird das Defizit in diesem und im kommenden Jahr um die vier Prozent liegen. Gleichzeitig steigt die Staatsverschuldung 2003 mit voraussichtlich 61,8 Prozent über die von Brüssel autorisierten 60 Prozent des Volkseinkommens.

Prodis Antwort ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. "Die Kommission will und wird die Regeln des Stabilitätspaktes strikt befolgen. Defizit und Verschuldung helfen dem Wachstum nicht. Die Rechnung dafür haben zukünftige Generationen zu bezahlen." Paris muss mit einer Strafzahlung rechnen.

Die Wahrheit ist heraus

Brüssel und Paris gehen auf Konfrontationskurs. Doch immerhin ist das Katz-und-Maus-Spiel vorbei und die Wahrheit heraus: Frankreich missachtet schon seit längerem die Regeln des Stabilitätspaktes. Schon für 2003 hatte sich die französische Mitte-Rechts-Regierung als einzige der EU-Mitgliedsländer geweigert, das strukturelle Defizit um 0,5 Prozentpunkte zu senken. Man habe "andere Prioritäten", beschied seinerzeit Wirtschaftsminister Francis Mer seinen Kollegen.

Zwar will die Regierung die Ausgaben 2003 und 2004 auf dem Vorjahresniveau einfrieren, doch dafür brechen die Steuereinnahmen weg. Die schlechte Konjunktur, eine wieder deutlich steigende Arbeitslosigkeit und das wachsende Defizit in den Sozialkassen sind die Hauptgründe dafür.

Doch es gibt auch hausgemachte Ursachen für die Verschlechterung der Haushaltslage: Auf Anweisung von Staatspräsident Jacques Chirac muss Raffarin auch 2004 Steuern und Abgaben weiter senken, wodurch die Einnahmen noch niedriger ausfallen werden. Zudem sind neue Mittel für die maroden Krankenhäuser, die Altenpflege sowie für Schulen vorgesehen. Dass die Rechnung nicht aufgehen konnte, war schon lange klar.

Französischer Wein

Doch Frankreich schenkt Brüssel als erster Staat reinen Wein ein und muss die Prügel auch für andere einstecken. Denn demnächst muss auch Deutschland zum Canossa-Gang antreten. In Paris wird augenzwinkernd darauf verwiesen, dass zwischen Ankündigungen und realer Politik der Bundesregierung eine große Lücke klafft. Schon seit längerem hofft man, mit Deutschland zusammen eine Aufweichung des Stabilititätspaktes zu erreichen, in dem zum Beispiel Ausgaben für Forschung, Infrastruktur und Rüstung bei der Berechnung ausgeklammert werden.

Selbst wenn das Pariser Kalkül aufgehen sollte: Beim Treffen der EU-Finanzminister Anfang September und dem der Regierungs-Chefs im Oktober dürfte sich der Zorn der kleinen, stabilitätstreuen EU-Staaten vor allem gegen Frankreich richten. Paris ist nämlich auch mit strukturellen Reformen etwa des Gesundheitssystems in Verzug und zeigt auch hier wenig Willen, Brüsseler Vorgaben umzusetzen.

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