Europa am Tropf:Pipeline-Poker

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Europa hängt zunehmend am Tropf der russischen Energiewirtschaft, die einen Großteil der Öl- und Gaslieferungen kontrolliert.

Von Frank Nienhuysen

Es gab dieser Tage zwei kleine Meldungen, die auf den ersten Blick unscheinbar wirkten und doch erhebliche Symbolkraft haben: Der russische Ölkonzern Lukoil will den größten bulgarischen Treibstoffverteiler Petrol kaufen.

Und Lukoil will auch das letzte Aktienpaket seiner Raffinerie-Gesellschaft am Schwarzen Meer in Burgas, das ihm noch nicht gehört, aufkaufen. Russlands Ölmanager sind derzeit viel unterwegs, sie haben alle das gleiche Ziel: den Einfluss der heimischen Energiewirtschaft auf die internationalen Märkte zu mehren.

Wichtiger Machtfaktor

Schon jetzt ist die Kontrolle über das Öl- und Gasgeschäft für Moskau einer der wichtigsten geopolitischen Machtfaktoren. Ob Asien im Osten oder Europa im Westen: Russland liefert in einem Umfang wie selten zuvor.

Im vergangenen Jahr produzierte das Land 421 Millionen Tonnen Erdöl, so viel wie noch nie seit dem Kollaps der Sowjetunion. Für 2004 vermutet Handelsminister German Gref sogar einen Umfang von 460 Millionen.

Das verstärkt Abhängigkeiten. Fast 20 Prozent des Ölimports der Europäischen Union stammt aus Russland, beim Gas liegt der Anteil sogar bei 44 Prozent. Insbesondere die neuen EU-Staaten wie Polen sind massiv auf russische Energielieferungen angewiesen.

Einen Skandal gab es deshalb kürzlich in Polen, als es hieß, ein ehemaliger KGB-Spion habe heimlich mit einem der einflussreichsten polnischen Unternehmer über einen Verkauf der Danziger Raffinerie an den russischen Konzern Lukoil verhandelt.

Die EU-Kommission ist deshalb daran interessiert, dass die neuen Mitglieder der Europäischen Union zusätzliche Quellen für ihre Energieimporte erschließen.

Was Abhängigkeit bedeuten kann, hat der Baltenstaat Lettland erfahren müssen. Seit Jahrzehnten galt dessen Hafen in Ventspils als wichtigster Verlade-Ort für russisches Öl, das aus Sibirien per Pipeline an die Ostsee gepumpt wird.

Anfang vorigen Jahres wurden die Lieferungen von Moskau gestoppt, und die Gründe dafür sind noch immer unklar. Es wird vermutet, dass Russlands staatlicher Pipeline-Monopolist Transneft sich auf robuste Weise in den Hafen einkaufen wollte, dies aber nicht gelang.

Stattdessen verlagerte Russland sein Interesse und baute den eigenen Ostseehafen in Primorsk aus. Die Gewinne bei den Letten brachen ein.

Macht hat also, wer den Energiefluss kontrolliert. Und so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der weltweit dominierende russische Konzern Gasprom bald seine Machtposition weiter ausbaut.

Denn jetzt greift Gasprom nach dem Öl. Ende nächster Woche wird das Filetstück des zerschlagenen privaten Ölkonzerns Yukos versteigert: die Produktionstochter Yuganskneftegas. Allein sie fördert täglich eine Million Barrel Erdöl.

Obwohl Gasprom stets offiziell sein Interesse geleugnet hatte, gilt jetzt ebenso offiziell: Gasprom bietet mit, und die Aussichten, dass der quasi-staatliche Konzern den Zuschlag erhält, sind bestens.

Der Kreml würde somit die gewaltigen Energiereserven noch stärker kontrollieren und somit auch an geopolitischem Einfluss gewinnen. Nach den für Moskau bitteren Ereignissen in Kiew wäre dies wieder einmal eine gute Nachricht für Moskau.

Doch auch Russlands Macht auf dem Energiesektor ist begrenzt - so begrenzt wie die Kapazität seiner ausgelasteten Pipelines. Diese deutlich auszubauen, wäre äußerst teuer, und weil Moskau die Kontrolle über sein Röhrensystem nicht aus der Hand geben will, müsste der Staat schon selber investieren. Der aber ziert sich, noch.

© SZ vom 12.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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