EU-Osterweiterung:Gefährlicher Großmut

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Die Europäische Union nimmt Rumänien auf, obwohl das Land überhaupt nicht reif dafür ist.

Von Alexander Hagelüken

Es wird Zeit, einen Saal für den feierlichen Augenblick in Luxemburg zu dekorieren. Die EU-Außenminister können dort in knapp zwei Wochen die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien im Jahr 2007 oder wenig später besiegeln.

Der Weg ist frei, nachdem das Europäische Parlament der Erweiterung am Mittwoch zustimmte. Die Abgeordneten taten dies im Falle Rumäniens trotz zahlreicher Bedenken, und ihr Plazet kommt fast zwei Jahre vor dem Beitritt verfrüht.

Es sendet ein zu freundliches Signal an einen Kandidaten, der noch nicht reif ist für die EU. Die Parlamentarier haben die Chance verpasst, zum Wohle ihrer Wähler berechtigte Zweifel zu artikulieren.

Unbestritten mangelhaft

Rumänien rangiert auf internationalen Korruptionsbarometern weit oben. Diese Wertung bedeutet: In dem Karpatenstaat wird so viel geschmiert wie im Senegal oder der Dominikanischen Republik.

Das Land ist noch kein guter Ort für die mehr als 40 Milliarden Euro Subventionen, die von der EU in den kommenden Jahren an die beiden Neulinge überwiesen werden. Auch die Justizreform lahmt, und es gibt Defizite in der Psychiatrie, im Umweltschutz und im Kampf gegen das Verbrechen.

Das Erstaunlichste daran ist: Niemand bestreitet diese Mängel, weder die Brüsseler Kommission noch die EU-Regierungschefs. Beide Institutionen wollen den rumänischen Zögling schon in der Mitte des Schuljahres versetzen, obwohl seine Zensuren ungenügend sind. "Im Zweifel für den Kandidaten", fordert Erweiterungskommissar Olli Rehn.

Warum eigentlich? Rehn stützt sich auf die Hoffnung, bis zum Beitritt werde schon alles irgendwie in Ordnung kommen. Das ist selbst für einen frisch berufenen Kommissar zu viel der Naivität.

Durch ihre voreilige Zustimmung geben die EU-Gremien das letzte Druckmittel aus der Hand und lockern den Reformzwang für Bukarest. Was, wenn die neue Regierung unter Calin Tariceanu ihre Versprechen nicht erfüllen will oder kann?

"Beitritt auf Krücken"

Seit Mittwoch steht fest: Sie darf trotzdem in die Union. Die Aufnahme kann höchstens noch um ein Jahr verzögert werden.

Der Parlamentarier Klaus Hänsch spricht von einem "Beitritt auf Krücken". Die Gemeinschaft lädt sich den problematischen Patienten in einem Moment auf, der ungünstiger kaum sein könnte. Selten klopften so viele an das EU-Haus. Und selten trafen sie auf Bewohner, die so erweiterungsverdrossen waren.

Ob die Ukraine, Serbien oder Kroatien: Immer mehr Länder drängen in die Wohlstandsunion. Dabei wird deren Mitgliedern zunehmend bewusst, dass solche Kandidaten weniger zum klassischen Europa passen als die Neuzugänge Tschechien oder Ungarn.

Die Causa Türkei, der Beitrittswunsch jenes ebenso armen wie andersartigen Anwärters, prägt die Stimmung. Bei der Erweiterung empfinden viele Bürger, vorsichtig gesagt, eher Sorge als Vorfreude.

Es ist ja noch nicht einmal klar, ob die heutige EU mit ihren 450 Millionen Bewohnern und 25Regierungen funktionieren wird. Am negativsten aber dürfte das Gefühl wirken, das viele Alt-EU-Bürger angesichts der billigen Arbeitskräfte aus dem Osten befällt. Die Westeuropäer haben Angst um ihren Job - nicht immer zurecht, doch sehr vehement, wie die Anti-Haltung vieler Franzosen gegen die EU-Verfassung zeigt.

In dieser Situation will sich Europa um 22 Millionen Rumänen erweitern, die das Kontingent günstiger osteuropäischer Arbeitskräfte in der Gemeinschaft um ein Viertel vergrößern.

Es sind ausgerechnet die Staats- und Regierungschefs der EU, die trotz der Defizite Bukarests auf eine schnelle Aufnahme drängen - allen voran Jacques Chirac und Gerhard Schröder, die derzeit so heftig gegen billige Polen und Tschechen polemisieren.

Das EU-Parlament hat es versäumt, dieses doppelte Spiel zu stoppen und klarzustellen: Rumänien darf erst beitreten, wenn es Europa nicht zur Last fällt.

© SZ vom 14.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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