EU-Agrarkommissarin:"Die Wucht der Krise hat uns alle überwältigt"

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EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel über die Folgen der Turbulenzen für Landwirte, die Preise und staatliche Regelungswut.

C. Bolesch und C. Gammelin

Auch die Landwirte sind von der Krise an den Finanzmärkten betroffen, sagt EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel. Sie fordert mehr Marktwirtschaft, aber auch ein Sicherheitsnetz für Milchbauern. Beim Interview in ihrem Büro in Brüssel zeigt sie sich gut gelaunt, und sie wirkt so, als kenne sie keinen Stress. Dabei steckt die 65-jährige Dänin in ihrer härtesten Bewährungsprobe. Sie muss die Landwirte auf weniger Subventionen einstimmen - und sie steckt in den Vorbereitungen für das Agrarministertreffen in dieser Woche.

"Wenn Politiker glauben, sie seien die besseren Bauern, ist das ein Irrweg", sagt EU-Agrarkommissarin Fischer Boel. (Foto: Foto: AFP)

SZ: Leiden auch die Bauern unter der Finanzkrise?

Mariann Fischer Boel: Die Wucht der Krise hat uns alle überwältigt. Auch die Landwirte sind betroffen. Sie bekommen für bestimmte Anschaffungen und Investitionen nicht mehr so leicht Kredite wie früher.

SZ: Die EU-Kommission will die Agrarpolitik marktwirtschaftlicher machen. Aber passt das überhaupt noch in die neue Landschaft? Wenn Banken einen starken Staat brauchen, warum nicht auch Bauern?

Fischer Boel: Ich glaube nicht, dass die Finanzkrise die Reform der europäischen Landwirtschaft in Frage stellt. Wenn Politiker glauben, sie seien die besseren Bauern, ist das ein Irrweg. Nehmen Sie Argentinien. Das Land hat Riesenprobleme, weil die Regierung glaubt, sie könne alles regeln, bis ins Detail, sogar den Preis für Tomaten. Wenn die Preise von oben diktiert werden, gibt es für die Bauern keinen Anreiz mehr, eigene Initiative zu zeigen.

SZ: Aber ist die Produktion von Nahrungsmitteln nicht zu wichtig, um sie dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen?

Fischer Boel: Ich bin eine Anhängerin freier Märkte, aber nicht schrankenlos und zu jedem Preis. In der Landwirtschaft zum Beispiel wird es in Europa immer Regionen und Bewirtschaftungen geben, die besonderen Schutz und besondere Unterstützung brauchen. Zum Beispiel die Milchbauern in den Bergregionen.

SZ: Deutschland fordert einen EU-Milchfonds zur Unterstützung der Milchbauern. Sie sind gegen einen solchen Fonds, haben aber Verständnis für die Milchbauern. Wie passt das zusammen?

Fischer Boel: Ich habe immer gesagt, es gibt kein frisches Geld für einen EU-Milchfonds. Unsere Agrarausgaben sind bis 2013 gedeckelt. Ich werde nicht den Fehler machen, zusätzliches Geld zu beantragen, denn ich werde keins bekommen.

SZ: Aber andererseits finden Sie auch, dass die Milchbauern Unterstützung brauchen. Wie soll die denn aussehen?

Fischer Boel: Ich plädiere für die gezielte Unterstützung besonders betroffener Regionen. Ein Milchbauer in Schleswig-Holstein hat weniger Probleme als ein Milchbauer in den bayerischen Alpen. Unsere Vorschläge erlauben es den Mitgliedstaaten, die Agrargelder gezielt umzuschichten. Wir brauchen auf jeden Fall ein Sicherheitsnetz für die Milchbauern. Aber wir müssen das Geld aus dem vorhandenen Agrartopf nehmen.

SZ: Sie wollen umschichten, indem Sie die direkten Zahlungen an die einzelnen Agrarbetriebe kürzen - je größer ein Betrieb ist, umso höher würden die Kürzungen ausfallen. Deutschland wehrt sich, weil die großen Agrarbetriebe in Ostdeutschland besonders von den Kürzungen betroffen wären. Warum halten Sie dennoch an Ihrem Vorschlag fest?

Fischer Boel: Weil es für die großen Jungs - die großen Betriebe - einfacher ist, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das umgeschichtete Geld geht diesen Betrieben doch gar nicht verloren. Sie kriegen zwar weniger Direktzahlungen, aber sie können Geld aus diesen ländlichen Töpfen abrufen, wenn sie entsprechende Leistungen anbieten. Gerade dann, wenn man die Milchbauern fördern will, führt an den Kürzungen der Direktzahlungen kein Weg vorbei. Ich hoffe, Deutschland sieht das ein.

SZ: Die Agrarminister scheinen im Grundsatz dieses Kürzungsmodell zu akzeptieren. Jetzt aber geht es ans Eingemachte - die konkreten Zahlen. Gibt es für Sie eine rote Linie?

Fischer Boel: Wenn die Kürzungen so gering ausfallen sollten, dass damit die ganze Reform lächerlich würde, macht es keinen Sinn, so ein System überhaupt einzuführen.

SZ: Deutschland fordert einen EU-Milchfonds zur Unterstützung der Milchbauern. Sie sind gegen einen solchen Fonds, haben aber Verständnis für die Milchbauern. Wie passt das zusammen?

Fischer Boel: Ich habe immer gesagt, es gibt kein frisches Geld für einen EU-Milchfonds. Unsere Agrarausgaben sind bis 2013 gedeckelt. Ich werde nicht den Fehler machen, zusätzliches Geld zu beantragen, denn ich werde keins bekommen.

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SZ: Aber andererseits finden Sie auch, dass die Milchbauern Unterstützung brauchen. Wie soll die denn aussehen?

Fischer Boel: Ich plädiere für die gezielte Unterstützung besonders betroffener Regionen. Ein Milchbauer in Schleswig-Holstein hat weniger Probleme als ein Milchbauer in den bayerischen Alpen. Unsere Vorschläge erlauben es den Mitgliedstaaten, die Agrargelder gezielt umzuschichten. Wir brauchen auf jeden Fall ein Sicherheitsnetz für die Milchbauern. Aber wir müssen das Geld aus dem vorhandenen Agrartopf nehmen.

SZ: Sie wollen umschichten, indem Sie die direkten Zahlungen an die einzelnen Agrarbetriebe kürzen - je größer ein Betrieb ist, umso höher würden die Kürzungen ausfallen. Deutschland wehrt sich, weil die großen Agrarbetriebe in Ostdeutschland besonders von den Kürzungen betroffen wären. Warum halten Sie dennoch an Ihrem Vorschlag fest?

Fischer Boel: Weil es für die großen Jungs - die großen Betriebe - einfacher ist, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das umgeschichtete Geld geht diesen Betrieben doch gar nicht verloren. Sie kriegen zwar weniger Direktzahlungen, aber sie können Geld aus diesen ländlichen Töpfen abrufen, wenn sie entsprechende Leistungen anbieten. Gerade dann, wenn man die Milchbauern fördern will, führt an den Kürzungen der Direktzahlungen kein Weg vorbei. Ich hoffe, Deutschland sieht das ein.

SZ: Die Agrarminister scheinen im Grundsatz dieses Kürzungsmodell zu akzeptieren. Jetzt aber geht es ans Eingemachte - die konkreten Zahlen. Gibt es für Sie eine rote Linie?

Fischer Boel: Wenn die Kürzungen so gering ausfallen sollten, dass damit die ganze Reform lächerlich würde, macht es keinen Sinn, so ein System überhaupt einzuführen.

SZ: Im Europaparlament schlägt man vor, erst bei solchen Agrarbetrieben anzufangen, die mehr als 10.000 Euro im Jahr an Subventionen bekommen. Sie wollen aber schon bei 5000 Euro ansetzen. Ist der Vorschlag des Parlaments so ein Schritt in die Lächerlichkeit?

Fischer Boel: Ja. Denn wenn man das macht, würden ganze Länder aus dem System herausfallen, weil dort kaum ein Agrarbetrieb mehr als 10.000 Euro jährlich bekommt.

SZ: Ein anderes Problem könnte den Bauern noch viel mehr Sorgen bereiten als die Kürzung von Subventionen. Vielen geht das Futter für ihre Tiere aus, weil es immer weniger Importe von genverändertem Soja nach Europa gibt. Warum ist das so?

Fischer Boel: Die Fachleute der nationalen Regierungen, die mit mir im zuständigen Ausschuss über neue Zulassungen entscheiden, stimmen immer 50 zu 50 ab. Es gibt keine klare Mehrheit, es geht nicht voran. Ich verstehe nicht, warum manche Länder sich in so einer wichtigen Frage immer enthalten. Wir sollten rational entscheiden und nicht auf Gefühle setzen. Denn die Blockade belastet die Bauern. Wenn sie auf Soja ohne Gentechnik ausweichen wollen, müssen sie viel mehr bezahlen. Das heißt, die Bauern haben Nachteile im Wettbewerb, sie können immer weniger Fleisch produzieren. Stattdessen führen wir dann Fleisch aus Ländern ein, die ihre Tiere mit genau dem genveränderten Soja füttern, das wir bei uns nicht zulassen. Als Konsument würde ich mich da ziemlich betrogen fühlen.

SZ: Der frühere Agrarminister Horst Seehofer hat vorgeschlagen, die Politiker sollten sich ganz aus der Gen-Debatte zurückziehen. Es sollte nur noch die EU-Lebensmittelbehörde (EFSA) über die Zulassung entscheiden.

Fischer Boel: Das ist für mich keine Option. Ich setze weiter darauf, dass es Politiker sind, die entscheiden. Aber diese Beschlüsse müssen rational sein. Die EFSA macht Empfehlungen. Wenn das wissenschaftlich geprüft und nachvollziehbar ist, habe ich keine Bedenken, dem zu folgen.

SZ: Horst Seehofer war einer ihrer größten Gegenspieler im EU-Agrarrat. Nun wird er Bayern regieren. Werden Sie ihn in Brüssel vermissen?

Fischer Boel (lacht): Der Agrarrat ist etwas Besonderes. Wir treffen uns so regelmäßig, und oft über mehrere Tage, dass ich manche der Minister häufiger sehe als meinen eigenen Mann. Natürlich gewöhnt man sich aneinander und ist enttäuscht, wenn vertraute Gesichter verschwinden. Aber so ist das Leben. Es hat nur einen einzigen Minister gegeben, bei dem ich froh war, dass er ging - und den Namen werde ich Ihnen nicht verraten.

© SZ vom 27.10.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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