Emerging Markets:Eine Wette auf die Märkte der Zukunft

Lesezeit: 3 min

Schwellenländer gewinnen innerhalb der globalen Wirtschaft an Bedeutung. Das macht sie für Anleger interessant, denn starkes Wachstum treibt üblicherweise die Aktienkurse. Liebling der Experten ist zur Zeit Indien.

Von Martin Hesse

Argentinien-Pleite, asiatische Grippe oder Russland-Crash - es sind vor allem solche schweren Krisen, an die sich Anleger im Zusammenhang mit Schwellenländern (Emerging Markets) erinnern.

Indische Arbeiter fertigen Honda-Roller in einem Werk bei Neu Delhi. Bei Experten gilt das Land momentan als der Wachstumsmarkt. (Foto: Foto: Reuters)

Immer wieder folgten auf Phasen starken Wachstums ebenso heftige Rückschläge. In den vergangenen Jahren sind die aufstrebenden Volkswirtschaften erneut stark gewachsen, China wurde neben den USA zum Motor für die Weltwirtschaft.

Zusammen mit Indien, Russland und Brasilien erwirtschaftete das Land nach Angaben des Internationalen Währungsfonds - in Kaufkraftparitäten gerechnet - schon Ende 2003 fast ein Viertel des Weltsozialproduktes. An den Börsen aber ist das Gewicht dieser Länder weitaus geringer.

Fünf Prozent im Welt-Aktienindex

Der Anteil börsennotierter Unternehmen ist in den Schwellenländern meist niedriger als in den Industrienationen. Im Welt-Aktienindex MSCI World machen Titel aus den Emerging Markets nur etwa fünf Prozent aus - und an diesem Index orientieren sich viele Investoren, wenn sie ihr Geld über den Globus verteilen.

Doch nicht alle halten sich daran. "Wir haben schon jetzt acht Prozent unseres Aktienportfolios in Emerging Markets angelegt", sagt Maarten-Jan Bakkum, Emerging-Markets-Stratege bei der niederländischen Bank ABN Amro.

Der wichtigste Grund für diesen Ansatz sei die Erwartung, dass die Wirtschaft in diesen Ländern überdurchschnittlich wachse. "Warum sollten in einem globalen Aktienportfolio ausgerechnet die am schnellsten wachsenden Regionen stark untergewichtet sein?", fragt auch Björn Drescher, Geschäftsführer des Fondsberatungs- und Analysehauses Drescher und Cie.

Besseres Kurs-Gewinn-Verhältnis

Ein weiteres starkes Argument ist nach Ansicht der Emerging-Markets-Strategen die Bewertung der Schwellenland-Aktien. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von durchschnittlich zehn liege deutlich unter dem KGV von 15, das etablierte Märkte im Schnitt aufweisen, sagt Bakkum. Vor der Asienkrise 1997 gab es keinen Bewertungsunterschied - es folgte allerdings ein Kurssturz.

Weil das Risiko von Rückschlägen in einzelnen Schwellenländern hoch sein kann, ist nach Ansicht der Experten wichtig, das angelegte Geld zu verteilen.

Haben Anleger insgesamt nur wenig Kapital zur Verfügung, sollten sie einen globalen Aktienfonds kaufen, der nicht nur in etablierte sondern auch in aufstrebende Märkte investiert, rät Drescher. Unter den reinen Emerging-Market-Fonds sei das Risiko bei den weltweit anlegenden Managern am geringsten.

Extrem niedrige Zinsen in den letzten Jahren

In den vergangenen sechs Monaten warfen global investierende Emerging-Market-Fonds Renditen von durchschnittlich knapp 20 Prozent ab. "2004 haben Schwellenländer vom weltweit starken Wachstum und den hohen Rohstoffpreisen profitiert", sagt Karsten Stroh, Portfoliomanager bei der Fondsgesellschaft J.P. Morgan Fleming.

So verdienten Russland und Venezuela am hohen Ölpreis, Brasilien und andere lateinamerikanische Staaten bedienten die starke Nachfrage Chinas nach Erz und Kupfer.

"Zu den wichtigsten Antriebskräften für die aufstrebenden Volkswirtschaften zählten in den vergangenen Jahren außerdem die extrem niedrigen Zinsen", sagt Anlagestratege Bakkum. Sie erleichterten den Schuldendienst sowie die Finanzierung von Investitionen.

Zinsanstieg in den USA als Risiko

Ganz so positiv beurteilen die Experten das Umfeld in diesem Jahr nicht mehr. Zwar rechnen sie auch 2005 mit einer überdurchschnittlichen Entwicklung der aufstrebenden Aktienmärkte. Allerdings sehen sie im Vergleich zum vergangenen Jahr wachsende Risiken.

"Die Weltkonjunktur dürfte sich etwas abkühlen", erwartet Stroh. Das sollte auch auf Schwellenländer vorübergehend einen dämpfenden Effekt haben. Oliver Stönner, Emerging-Markets-Analyst bei der Commerzbank, traut jedoch etwa Brasilien und Mexiko Wachstumsraten von drei bis vier Prozent zu. "Asien dürfte die am stärksten wachsende Region bleiben", glaubt Stönner.

Ein Risiko sehen Ökonomen in einem möglichen Zinsanstieg in den USA. In der Vergangenheit zogen Anleger regelmäßig Geld aus Schwellenländern ab, wenn sie in Amerika wieder höhere Zinsen geboten bekamen.

In der Folge stiegen auch in Ländern wie Brasilien die Zinsen, und es wurde schwieriger, die Auslandsschulden zu bedienen oder gar neues Geld aufzunehmen.

Experten: Gefahr eines Rückschlags gering

Dennoch halten die meisten Beobachter die Gefahr eines Rückschlags infolge steigender Zinsen für relativ gering. "Die meisten Schwellenländer sind heute nicht mehr so anfällig für einen Zins-Anstieg wie noch vor einigen Jahren", glaubt Stroh.

Viele Länder, etwa Brasilien, erzielten anders als früher Überschüsse im Außenhandel und seien dadurch weniger auf ausländisches Kapital angewiesen.

In der Frage, welche Region sich denn 2005 besonders gut entwickeln könnte, sind sich die Experten jedoch nicht einig: Während etwa J.P. Morgan Fleming brasilianische und russische Aktien aufstockt und auch bei chinesischen und indischen Titeln nachlegen will, hält Fondsberater Drescher Asien mit Ausnahme von China für besonders attraktiv. Er ist skeptisch, ob die lateinamerikanischen Staaten das hohe Wachstum halten können.

Favorit: Indien

ABN-Amro-Stratege Bakkum schichtete zuletzt von lateinamerikanischen zugunsten asiatischer Titel um. Weitgehend einig sind sich die Experten dagegen bei zwei der größten aufstrebenden Volkswirtschaften: Indien trauen sie wegen hoher ausländischer Direktinvestitionen und der Stärke in den Technologiebranchen eine überdurchschnittliche Entwicklung zu.

Bei Russland dagegen werden die Strategen nachdenklich: "Die Yukos-Affäre hat die Investoren nervös gemacht", sagt Bakkum. Außerdem sei der Markt relativ hoch bewertet.

Die unterschiedlichen Meinungen zu einzelnen Emerging Markets zeigen zweierlei: "Investieren und abwarten ist in diesen Märkten die falsche Strategie", sagt Fondsberater Drescher. Vor allem wenn man in Regionen-Fonds investiere, müsse man sehr genau verfolgen, wie sich der entsprechende Markt entwickle. Zweitens hänge bei Schwellenland-Fonds wegen der Intransparenz der Zielmärkte sehr viel mehr von der Qualität des Managers ab als bei Fonds, die in etablierten Märkten investierten.

© SZ vom 15.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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